Energieversorgung:Wenn Moskau kein Gas mehr liefert

Russian And Ukrainian Gas Pipelines As Ukraine Gas Debt Raises Concern

Russland ist für Deutschland der wichtigste Gaslieferant - was geschieht, wenn der ausfällt?

(Foto: Bloomberg)
  • Russland ist mit einem Anteil von knapp 40 Prozent für Deutschland der wichtigste Gaslieferant.
  • Etwa die Hälfte der russischen Exporte kommt über Leitungen nach Europa, die durch die Ukraine führen - ein Krisengebiet, das nicht zur Ruhe kommt.
  • Was würde passieren, wenn Moskau den Gashahn zudreht?

Von Simone Boehringer, Silvia Liebrich und Jan Willmroth

Christoph Urbaniak braucht starke Nerven. Konzentriert blickt er auf sechs Bildschirme. Was für Laien aussieht wie ein Wirrwarr aus bunten Schaltkreisen und unzähligen Zahlenkolonnen, hilft ihm, den Überblick zu behalten. Den Überblick über einen Großteil der Leitungen, durch die Erdgas quer durch Deutschland fließt. Männer wie Urbaniak sorgen dafür, dass der Nachschub nie versiegt und in den Häusern der Deutschen auch an Weihnachten die Heizung läuft. Ein heikler Job - erst recht in einer Zeit, in der sich die politischen Beziehungen zum wichtigsten Gaslieferanten Russland dem Gefrierpunkt nähern. Das lässt auch viele Verbraucher nicht kalt.

Urbaniak bleibt nicht viel Zeit, darüber nachzudenken. Die Gasströme aus Russland zu überwachen ist für ihn Routine. 88 Prozent des in Deutschland verfeuerten Erdgases kommen aus dem Ausland; Russland ist mit einem Anteil von knapp 40 Prozent vor Norwegen der wichtigste Lieferant. Urbaniak ist auch für die besonders kritischen Leitungen zuständig, die über die Ukraine nach Europa führen. Sie münden in Waidhaus an der bayerisch-tschechischen Grenze ins deutsche Netz. Immerhin etwa die Hälfte der russischen Gasexporte kommt auf diesem Weg nach Europa, durch ein Krisengebiet, das nicht zur Ruhe kommt. Es wäre nicht das erste Mal, wenn Russland den Brennstoff als politisches Druckmittel einsetzt und diese Strecke für den Gastransport ausfällt.

Urbaniak würde das als einer der Ersten merken. "Eine rote Warnlampe haben wir dafür aber nicht", sagt er. Ihm genügt ein Blick auf einen der Bildschirme, links oben steht dort die Zahl 2,2. So viele Millionen Kubikmeter Gas strömen in der Stunde über Waidhaus ins deutsche Fernleitungsnetz - Urbaniaks Welt ist damit in Ordnung. Kritisch wird es erst, wenn an dieser Stelle eine Null steht. "Aber auch das muss noch nichts Schlimmes bedeuten. Wir wissen dann nur, dass kein Gas kommt, aber das kann ja verschiedene Gründe haben." Einen Defekt an der Leitung zum Beispiel.

Der Weg des sibirischen Gases ist kompliziert geworden

Etwa ein Dutzend Kollegen überwachen mit Urbaniak die Gasströme bei Deutschlands größtem Fernnetzbetreiber Open Grid Europe, hervorgegangen aus der einst mächtigen Ruhrgas AG. Kaum jemand weiß, was hinter der schmucklosen Glasfassade der Essener Zentrale passiert. Drei Viertel der in Deutschland verbrauchten Gasmenge strömen durch die Fernleitungen der Essener, aus denen sich regionale Netzbetreiber bedienen und den Brennstoff zu Endkunden transportieren.

Der Weg des sibirischen Gases zum deutschen Hausanschluss ist seit der Deregulierung des Marktes vor mehr als zehn Jahren kompliziert geworden. Damals wurden Unternehmen wie Ruhrgas in mehrere Einheiten aufgespalten. Der Handel mit Gas, der Transport durch die Leitungen, der Verkauf an Endkunden - all das musste fortan getrennt betrieben werden. Das soll für mehr Wettbewerb sorgen. Seitdem können Verbraucher den Anbieter wechseln, wie sie wollen. Wie das Gas in ihre Heizungsanlage kommt, wissen jedoch die wenigsten.

Allein das sorgt für Verunsicherung.

Regionale Energieversorger wie Energie Südbayern (ESB) bekommen das zu spüren. Das Unternehmen versorgt rund 160 000 Haushalte in Ober-und Niederbayern mit Erdgas. Die ESB ist ein typischer Kunde von Fernleitungsnetzbetreibern. Als die Lage in der Ukraine im Sommer ernster wurde, meldeten sich besorgte Kunden: Kann es passieren, dass ich bald nicht mehr warm duschen kann? "Die können wir beruhigen", sagt ein Sprecher. Versorger kaufen ihre Gasmengen lange im Voraus, derzeit schließen sie erste Verträge für 2017 ab. "Die Situation ist viel entspannter als noch vor Jahren, die Versorgung ist flexibler geworden", heißt es bei der ESB. Solche Sätze hört man bei Gashändlern und Netzbetreibern in diesen Tagen häufig, sie passen so gar nicht zum Schreckensszenario eines russischen Lieferstopps.

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