Süddeutsche Zeitung

Energieversorgung:Die Russen kommen

Die Gaspipeline Nabucco soll Europas Abhängigkeit von Russland mindern. Doch Moskau arbeitet dagegen - und verhandelt mit Verbündeten aus Deutschland.

Markus Balser

In Verdis Oper Nabucco wird geliebt und gehasst, gemordet und auferstanden, intrigiert und versöhnt. Ob der Name des Werks ein gutes Omen für ihr Gasprojekt war, werden sich inzwischen auch die Manager der geplanten 3300 Kilometer langen Pipeline nach Asien fragen. Längst ist klar: Das Milliardenprojekt hat mit der Oper viel mehr gemein, als sich ihre Bauherren wünschen können. Denn das geplante Röhrenwerk mit dem Schauplatz Asien nimmt ebenfalls dramatische Züge an.

Beim großen Spiel auf dem Rohstoffmarkt geht es um die Vorherrschaft über wertvolle Ressourcen. Unter dem schillernden Titel will Nabucco eine Antwort auf die wachsende Rohstoff-Abhängigkeit Europas von Moskau geben. Die Pipeline eines Konsortiums um den Energieversorger RWE und den österreichischen OMV-Konzern soll an Russland vorbei Gas aus Ländern wie Turkmenistan und Aserbaidschan gen Westen transportieren. Doch das Projekt hat einen mächtigen Rivalen: Moskaus Energieriesen Gasprom. Der will sich den Einfluss nicht nehmen lassen und plant parallel ein ähnliches Projekt: Auch die Pipeline South Stream soll in fünf Jahren zentralasiatisches Gas nach Europa transportieren - natürlich via Russland.

Mit großer Spannung verfolgen Politik und Wirtschaft, wer sich im mit harten Bandagen geführten Zweikampf durchsetzt. Das von Brüssel favorisierte Nabucco-Konsortium oder die vom Kreml forcierte South-Stream-Lösung. Denn in einem sind sich Experten einig: Selbst wenn der westeuropäische Erdgasbedarf wie erwartet stark steigt, dürfte nur für eines der beiden Vorhaben wirtschaftlich Raum bleiben.

Die Investitionskosten für Nabucco werden auf acht Milliarden Euro geschätzt. South Stream würde noch deutlich teurer. Allein der 900 Kilometer lange Untersee-Teil durch das Schwarze Meer soll etwa zehn Milliarden Euro kosten. Insgesamt gehen Experten von Baukosten für South Strevon bis zu 20 Milliarden Euro aus. Es bahnt sich ein Wettlauf darum an, wer schlagkräftigere Partner mobilisiert und seine Pipeline schneller realisiert.

Nun will Gasprom mit einem Coup vorpreschen. Denn Hilfe gegen das von der EU unterstützte Nabucco-Projekt sucht sich der Konzern ausgerechnet in der Heimat des Rivalen RWE. "Es laufen Verhandlungen mit Partnern in Deutschland über einen Einstieg beim South-Stream-Konsortium", sagte Gasprom-Vorstand Oleg Aksyutin der Süddeutschen Zeitung. Gelänge es, deutsche Geldgeber zu überzeugen, wäre das ein herber Rückschlag für Nabucco.

Als erster Kandidat gilt in Branchenkreisen die BASF-Tochter Wintershall. Demzufolge will Gasprom das Kasseler Unternehmen, das schon bei der Ostseepipeline an der Seite der Russen arbeitet, zu einem Einstieg bewegen. Gasprom habe bei BASF und Wintershall angefragt, hieß es.

Ein Sprecher von Wintershall sagte am Donnerstag, für das Unternehmen stünden in der Region Russland der Ausbau von Exploration und Förderung im Vordergrund. Man engagiere sich daneben auch beim Bau europäischer Infrastrukturprojekte wie der Ostseepipeline und deren Anbindungsleitungen Opal und Nel sowie beim Bau von Erdgasspeichern in Europa. Konkrete weitere Projekte gebe es derzeit nicht. Härter klingt das Dementi bei einem weiteren denkbaren Kandidaten, der Eon-Tochter Ruhrgas: "Eon Ruhrgas führt keine Verhandlungen über eine Beteiligung an South Stream", sagte ein Sprecher.

Eine deutsche Beteiligung wäre politisch brisant. Denn setzt sich South Stream im Zweikampf durch, könnte Gasprom seine Macht in Europa deutlich ausbauen. Kritiker warnen bereits, dass der Einfluss des Konzerns in bedrohliche Regionen wachse. Im Norden baut der Moskauer Multi die Ostseepipeline. Setzt sich Gasprom nun auch im Süden gegen die Konkurrenz durch, könnten aus Partnern Abhängige werden, fürchten hochrangige Vertreter der Gasbranche. Der Absatzmarkt von Gasprom würde wachsen - und die politische Macht Moskaus. Etwa ein Viertel seines Gases bezieht Europa schon heute aus Russland.

Gasprom weist diese Sorge zurück. "Wir waren 30 Jahre ein verlässlicher Rohstofflieferant und werden das bleiben", sagte Vorstand Aksyutin. Die neue Pipeline solle die Ukraine umgehen, die mit Lieferunterbrechungen in den vergangenen Jahren immer wieder für Engpässe in Westeuropa gesorgt hatte. South Stream erhöhe deshalb die Versorgungssicherheit in Deutschland.

Die Ankündigung aus Moskau trifft Nabucco zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Denn dem Konsortium läuft die Zeit davon. Eigentlich wollte Nabucco bis Ende des Jahres Klarheit über die Bezugsquellen haben, um den Bau der Pipeline endgültig zu beschließen. Doch den Konsortialpartnern ist es bislang nicht gelungen, auch nur mit einem einzigen Lieferanten einen Vertrag abzuschließen. Die Entscheidung über den Bau verschob das Konsortium auf 2011.

Die Schlüsselrolle im Wettlauf um die Gasressourcen Zentralasiens kommt Aserbaidschan zu. Aus dem Staat soll etwa ein Drittel der 31 Milliarden Kubikmeter kommen, die Nabucco jedes Jahr nach Westen transportieren will. Gespräche führt Nabucco auch mit Turkmenistan und dem Nordirak. Gasprom lässt indes keinen Zweifel an der Realisierung. Ende 2014 werde South Stream stehen, kündigt Aksyutin an. Mit ersten Gaslieferungen rechnet er 2015.

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SZ vom 29.10.2010/aum
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