Subventionen:Braucht die Industrie einen eigenen Strompreis?

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Nicht nur die Politik, sondern auch die Wirtschaft streitet sich: Familienunternehmer laufen bereits Sturm gegen eine mögliche Bevorzugung industrieller Großkonzerne bei Entlastungen. (Foto: Waltraud Grubitzsch/picture alliance/dpa/dpa-Zentral)

Alle sind sich einig: Energieintensive Betriebe brauchen staatliche Hilfen, um hohe Strompreise zu schultern. Jetzt streitet die Koalition, wie Hilfen aussehen könnten.

Von Elisabeth Dostert, Claus Hulverscheidt und Georg Ismar, Berlin/München

Als der Kanzlerkandidat Olaf Scholz im August 2021 ein großes Zementwerk in Rüdersdorf bei Berlin besuchte, da war die Botschaft, die er mit seiner Visite aussenden wollte, klar. Erstens: Die SPD und die Industrie rücken nach Jahren der Distanz wieder zusammen. Und zweitens: Nirgendwo winken so gewaltige Gewinne für das Klima und die deutsche CO -Bilanz wie bei einer erfolgreichen Umrüstung der Stahl-, Chemie-, Zement- oder auch Keramikindustrie von Koks und Gas auf Wasserstoff und Ökostrom.

Scholz gab sich mit gelber Weste und weißem Helm als Macher, inszenierte sich als Klimakanzler, der trotz eines der größten Wandlungsprozesse der vergangenen hundert Jahre die Industrie im Land halten will. In Rüdersdorf soll das durch die Kalksteinzerkleinerung freiwerdende CO abgeschieden und mit Hilfe von Wasserstoff und Elektrolyse zu synthetischen Kraftstoffen etwa für Flugzeuge verarbeitet werden. In der Stahlindustrie soll statt auf Koks und Gas auf elektrifizierte Hochöfen gesetzt werden, die den Strom aus erneuerbaren Energien beziehen. Es braucht also sehr viel mehr Strom. Allein die Chemieindustrie werde 2050 so viel Strom verbrauchen wie ganz Deutschland heute, so Scholz in Rüdersdorf.

An dieser Ausgangslage hat sich seither nichts geändert - außer, dass der Strompreis in Folge des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine geradezu explodiert ist. Viele energieintensive Unternehmen stehen deshalb massiv unter Druck und fordern nun jene politische Unterstützung ein, die der damalige Kandidat und heutige Kanzler versprochen hatte. Komme die nicht, so die mehr oder weniger deutliche Warnung, bestehe die Gefahr, dass vor allem energieintensive Unternehmen in großer Zahl Deutschland den Rücken kehren und stattdessen Fabriken in Staaten mit deutlich niedrigeren Energiekosten errichten, zum Beispiel in den USA. Damit stünden Hunderttausende Arbeitsplätze auf dem Spiel.

Ein Industriestrompreis, wie ihn die SPD fordert, würde Milliarden kosten

Die Debatte hat längst auch Berlin erreicht, mittlerweile überbieten sich Industrie- und Gewerkschaftsfunktionäre, Wirtschaftswissenschaftler, Opposition und Berliner Koalitionäre regelrecht mit Forderungen und Vorschlägen, auf welchen Wegen die Bundesregierung den nach wie vor hohen Strompreis nach unten subventionieren könne. Am forschesten vor geht dabei die SPD, die einen fixen "Industriestrompreis" von vier bis sechs Cent verlangt. Konkret: Muss ein energieintensives Unternehmen am Markt beispielsweise 26 Cent für die Kilowattstunde bezahlen, wie es im bisherigen Verlauf des Jahres 2023 durchschnittlich der Fall war, erhielte es von 2024 an also gut 20 Cent/kWh vom Staat erstattet.

Das würde die Bundesregierung pro Jahr einen hohen Milliardenbetrag kosten - Geld, das nach den Vorstellungen der SPD aber gar nicht erst mühsam aufgetrieben werden muss, sondern schon da ist: im sogenannten Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF). "Wir haben in der Krise 200 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt für die Finanzierung der Gas- und Strompreisbremse sowie für die Unterstützung von in Schwierigkeiten geratenen Unternehmen", sagte SPD-Chef Lars Klingbeil der Süddeutschen Zeitung. "Für mich setzt ein Industriestrompreis genau hier an. Er könnte aus dem Wirtschafts- und Stabilisierungsfonds finanziert werden." Ohne solche Subventionen, so die Botschaft, sei das Versprechen in Gefahr, Deutschland bis 2045 klimaneutral aufzustellen und als starken Wirtschaftsstandort zu erhalten.

Energiekosten
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Das Haus von Wirtschaftsminister Habeck will bald entsprechende Pläne vorlegen. Während die Sozialdemokraten die Idee unterstützen, kommt von der FDP Widerstand. Dort wünscht man sich "marktwirtschaftliche Lösungen".

Bis die Industrie komplett mit günstigem, klimafreundlichem Strom laufen könne, "müssen wir noch ein paar Jahre überbrücken", sagt Klingbeil. Ihm schwebt ein Zeitraum von zehn bis 15 Jahren vor. Bereits jetzt zahlen energieintensive Unternehmen im Rahmen der Strompreisbremse für 70 Prozent ihres Verbrauchs höchstens 13 Cent. Die Regelung läuft allerdings Ende 2023 aus, Firmen und Verbraucher müssten sich also, Stand jetzt, anschließend wieder zu Marktkonditionen mit Energie versorgen. Eine teure Angelegenheit, insbesondere für Privathaushalte, die im bisherigen Jahresverlauf durchschnittlich 46 Cent je Kilowattstunde Strom hinblättern mussten. Allerdings sind die Preise zuletzt stark gesunken.

SPD, Grünen und FDP reicht diese leichte Entspannung jedoch nicht, sie wollen deshalb für 2024 nachlegen - wenn auch mit sich teilweise fundamental widersprechenden Konzepten. Einigermaßen nahe bei der SPD sind die Grünen, die ebenfalls prinzipiell dafür sind, der Industrie günstigen Strom zur Verfügung zu stellen - wenn auch eigentlich auf einem anderen Weg als der größere Koalitionspartner. Sie wollen dafür sorgen, dass die Unternehmen dauerhaft und verlässlich Zugang etwa zu günstigem Windstrom erhalten, dessen Preis durch Differenzverträge abgesichert werden könnte. Vereinfacht gesagt: Kostet der Strom die Betriebe in der Praxis mehr als bei Vertragsabschluss festgelegt, schießt der Staat Geld zu. Ist er günstiger, was an windreichen Tagen leicht der Fall sein kann, erstatten die Firmen dem Bund die Differenz.

Im Wirtschaftsministerium wird derzeit an den Feinheiten eines solchen Modells gearbeitet, wobei schon jetzt klar ist: Egal, wie das Konzept am Ende aussieht, bis es umsetzbar ist, werden noch einige Jahre ins Land gehen. Auch die Grünen brauchen deshalb eine Übergangslösung à la SPD, denn Warten, das hat Wirtschaftsminister Robert Habeck bereits deutlich gemacht, ist keine Option: Zwar verliere der Staat Geld, wenn er die Preise deckle, so der Vizekanzler jüngst. "Aber wenn wir sie nicht deckeln, verlieren wir möglicherweise die Industrien der Zukunft."

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"Teure Subventionen sind der falsche Weg", heißt es bei der FDP

Bleibt die FDP - und hier beginnen für die Koalition einmal mehr die Probleme. Zwar betonen auch die Liberalen, dass "Energie bezahlbar bleiben muss". Aber, so Parteichef Christian Lindner: "Teure Subventionen sind der falsche Weg." Ein Industriestrompreis sei "verteilungspolitisch ungerecht, ökonomisch ineffizient und praktisch schwer umsetzbar". Nun kann Lindner schon in seiner Zweiteigenschaft als Bundesfinanzminister kein Interesse daran haben, Milliarden für Staatshilfen auszugeben. Er hat allerdings ein paar Argumente auf seiner Seite, die selbst FDP-Kritiker nicht einfach von der Hand weisen können. So lässt sich kaum trennscharf abgrenzen, wer zur energieintensiven Industrie zählt - wer also im Zweifel Subventionen erhielte und wer nicht. Auch hätten energieintensive Betriebe keinerlei Anreiz mehr, Strom zu sparen. Zudem müssten Lindner zufolge Dienstleister einbezogen werden, die ebenfalls viel Strom verbrauchen, Rechenzentren etwa.

Er schlägt daher die Einführung einer Prämie auf klimagerechte Investitionen für alle Firmen vor - sowie eine Senkung der Unternehmenssteuern auf breiter Front. Das lehnen wiederum SPD und Grüne ab, während Lindner gleichzeitig jedweden Zugriff auf den WSF verbaut: "Eine Umwidmung von Mitteln des Wirtschafts- und Stabilisierungsfonds Energie, der angesichts des russischen Angriffskriegs strikt zweckgebunden angelegt worden ist, ist ausgeschlossen", so der Minister diese Woche im Handelsblatt.

Uneins ist sich aber nicht nur die Politik, sondern auch die Wirtschaft selbst. Die Familienunternehmer etwa laufen bereits Sturm gegen eine mögliche Bevorzugung industrieller Großkonzerne. "Was auf den ersten Blick Entlastung von den hohen Energiepreisen verspricht, erweist sich auf den zweiten Blick als riesige Wettbewerbsverzerrung zulasten des Mittelstands", sagte Marie-Christine Ostermann, Präsidentin der Familienunternehmer, mit Blick auf die Industrie-Strompreisdebatte. "Es ist doch absurd, erst staatlich den Unternehmen immer mehr Lasten aufzubürden und diese dann großzügig wieder runterzusubventionieren." Auch der Handel und das Handwerk befürchten, am Ende womöglich zu den großen Verlierern eines Industriestrompreises zu zählen.

Wolfgang Weber, Vorsitzender der Geschäftsführung des Verbands der Elektro- und Digitalindustrie (ZVEI) sagt, der Strompreis sei ein wichtiger Standortfaktor. "Der aktuelle Preis ist wettbewerbsgefährdend und muss niedriger werden." Ein Industriestrompreis springt für Weber allerdings zu kurz. Der Strompreis müsse für alle Verbrauchsgruppen gesenkt und von Steuern und Abgaben konsequent entlastet werden. Konkret fordert der Verband der Elektro- und Digitalindustrie eine Senkung des Mehrwertsteuersatzes auf sieben Prozent.

Matthias Zelinger, Klima- und Energieexperte des Maschinenbauverbandes VDMA will ein klares Nein zu einem Deckel für Industriestrompreise nicht äußern. Im Moment ist es ja noch ein bisschen so, als wolle man Pudding an die Wand nageln, sagt er. "Wir sind skeptisch, denn vieles weiß man noch nicht." Wer und wie zum Beispiel genau in den Genuss eines gedeckelten Preises kommt. Es soll wohl ein nur kleiner Kreis von Unternehmen sein, die sehr energieintensiv sind und besonders stark unter den hohen Energiepreisen leiden und deren Wettbewerbsfähigkeit gefährdet sei. "Dazu zählt der Maschinenbau überwiegend nicht. Unsere Firmen wären dann wohl eher diejenigen, die über Umlagen oder höhere Steuern das Ganze zahlen müssen, denn irgendwie müssen die Subventionen ja finanziert werden." Zelinger hat große Zweifel, dass sich so ein Deckel wirklich fair regeln lasse. "Er hat das Potenzial, sehr wackelig und sehr teuer zu werden." Und der Strompreis sei beileibe nicht der einzige Standortfaktor. Allein daran Standorte zu messen, hält Zelinger für falsch. "Die Sogwirkung eines Inflation Reduction Act kann eine Regierung damit nicht kompensieren."

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