Süddeutsche Zeitung

Energie:Wann Strom und Gas billiger werden könnten

Die Energiepreise sind so niedrig wie seit Monaten nicht. Bekommen davon auch die Kunden was mit? Erst mal nicht, fürchten Verbraucherschützer. Doch der Gipfel könnte erreicht sein.

Von Michael Bauchmüller, Berlin

Wären die Umstände nicht so düster, wäre es ein echter Brüller: Pünktlich zum Jahreswechsel hat die Exportabteilung des russischen Gasriesen Gazprom diese Woche die neue Ausgabe ihres Kundenmagazins herausgegeben. Auf dem Titel prangt ein lustiger Weihnachtsmann aus Luftballons mit den Worten "He-He-Helium!", und auch der Name des Magazins wirkt nach diesem Jahr wie besonders schwarzer Humor: Gas as usual - Gas wie gewöhnlich. Muss man erst einmal bringen - als Unternehmen, das schon seit 2021 die Gasmengen für den europäischen Markt verknappt und das unter dem Vorwand defekter Kompressoren seine Gaslieferungen einstellte. Vom russischen Angriff auf die Ukraine ganz zu schweigen.

Nichts ist mehr wie gewöhnlich in diesem Markt, der nie so geschüttelt wurde wie 2022 durch Kreml und Gazprom. Der 24. Februar, der Tag des Überfalls, ließ den Gaspreis emporschnellen, und ebenso der 26. August - als sich abzeichnete, dass Gazprom die Lieferungen durch die Ostsee ganz einstellt. Und jetzt? Seit drei Wochen fallen die Gaspreise am niederländischen Handelspunkt TTF, von rund 150 Euro je Megawattstunde auf zuletzt unter 90. Strom gibt es an der Börse in manchen Stunden zum einstelligen Spottpreis. Die Höchstpreise von Ende August, als die Megawattstunde Strom zeitweise mehr als 800 Euro kostete, sind derzeit weit weg.

Die Gasspeicher füllen sich dank des milden Wetters

Ausnahmsweise verketten sich mal ein paar glückliche Umstände: Zwischen den Jahren ist der Energiebedarf allgemein gering, das drückt den Preis. In diesem Jahr aber kommt extrem mildes Wetter hinzu. Weil in weiten Teilen Europas weniger geheizt werden muss, füllen sich die Speicher, statt sich zu leeren. Die deutschen Gasspeicher melden am Freitag mehr als 89 Prozent Füllstand. Zum Vergleich: Vor einem Jahr um die Zeit waren sie schon zur Hälfte leer - auch weil Gazprom seine Speicher in Deutschland kaum befüllt hatte. Und als wäre das alles nicht genug, treibt derzeit ein stetiger Wind die Windräder an Land und zur See - sie liefern seit Tagen mehr als die Hälfte des deutschen Stroms. Das lässt, verbunden mit der schwachen Nachfrage, die Preise purzeln.

Nur: Wann spüren auch die Verbraucher etwas von den sinkenden Preisen? Die Deutungen sind unterschiedlich. "Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer", warnt etwa der Stadtwerke-Verband VKU. Zwar sei die Entwicklung, insbesondere der Gaspreise am Spotmarkt, erfreulich, aber auch nur eine Momentbetrachtung. Stadtwerke deckten sich langfristig mit Gas ein, nicht am kurzfristigen Spotmarkt. "Auch wenn wir es uns anders wünschten, die Realität wird deshalb sein, dass die Energiepreise für Verbraucher zunächst noch auf höherem Niveau verbleiben werden", heißt es beim VKU. "Erst wenn sich günstige Preise beständig auch am Terminmarkt etablieren, wird das in der Folge die Energiepreise senken."

An den Börsen sinken die Energiepreise, trotzdem müssen Verbraucher mehr zahlen

Verbraucherschützer sind da weitaus optimistischer. Zwar hätten viele Stadtwerke zum Jahreswechsel noch einmal die Preise für Strom und Gas erhöht, sagt Udo Sieverding, Energieexperte der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen. "Aber ich gehe davon aus, dass wir damit den Gipfel erreicht haben." Noch sei unklar, ob es schon 2023 eine Welle an Preissenkungen gebe. Weitere Steigerungen ließen sich aber kaum mehr begründen. "Die Erfahrung lehrt leider, dass sich die Versorger mit Preissenkungen deutlich schwerer tun als mit Erhöhungen", sagt Sieverding. Am ehesten würden wohl Neukunden die Entspannung an den Märkten spüren (siehe Grafik zum Verbraucherpreisindex). Für alle anderen lohne sich der regelmäßige Preisvergleich. "Die Preisspanne zwischen verschiedenen Stadtwerken ist bemerkenswert groß", sagt der Verbraucherschützer. Fragt sich nur, wie groß der Wechselwille bei vielen Haushalten ist, solange die Preisbremsen für Strom und Gas die Preise nivellieren; zumindest für die ersten 80 Prozent des bisherigen Verbrauchs.

Doch Risiken bleiben. Eine Kältewelle im Januar könnte alle Entspannung zunichtemachen - erst die letzte Mitte Dezember hat gezeigt, wie schnell sich mühevoll gefüllte Speicher wieder leeren können. Der Januar ist auch gefürchtet für seine "kalten Dunkelflauten": kurze, düstere Tage, an denen weder Solaranlagen noch Windräder viel Strom einspeisen, obwohl die Nachfrage danach hoch ist. Und dann bleibt in Zeiten wie diesen immer noch die Gefahr, dass Sabotageakte alle Planungen über den Haufen werfen - wie etwa Ende September die Explosionen an den beiden Nord-Stream-Leitungen durch die Ostsee.

Im "He-He-Helium"-Heftchen von Gazprom übrigens heißen auch diese Explosionen nur "Vorfälle", wie auch der ganze Krieg und die Rolle Russlands darin nicht in einer Zeile vorkommen. Stattdessen darf Gazprom-Analyst Sergej Komlev erklären, wie gewissermaßen die Märkte selbst in Europas Energiekrise führten, ganz ohne Zutun des einst größten Lieferanten. Stattdessen habe eine Welle von Flüssigerdgas-Projekten in den USA die globalen Märkte für das verflüssigte LNG-Gas "destabilisiert". Die "beispiellose Enge des Marktes", analysiert Komlev, "dürfte für weitere zwei bis drei Jahre mindestens andauern". Welche Rolle Gazprom nach diesen zwei oder drei Jahren spielt, ist allerdings offen.

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