Süddeutsche Zeitung

Energiepolitik:"Wer aussteigt, muss auch einsteigen"

Die Koalition tut zu wenig für Ökoenergie, klagt die Chefin des Stromverbands BDEW.

Von Michael Bauchmüller, Berlin

Nummer 19/09085 steht nun immerhin wieder auf der Tagesordnung des Kabinetts - für kommende Woche Mittwoch. Dann soll die Bundesregierung den Gesetzentwurf "zur Reduzierung und zur Beendigung der Kohleverstromung" endlich beschließen - ein Jahr und drei Tage, nachdem ihr eine Kommission den Weg dazu aufgewiesen hatte.

Doch aus Sicht der deutschen Stromwirtschaft geht die Arbeit für die Bundesregierung damit erst los. "Wer aussteigt, der muss auch einsteigen", sagt Marie-Luise Wolff, Präsidentin des Branchenverbands BDEW. "Es reicht nicht, Kohlekapazitäten abzubauen, wir müssen gleichzeitig zügig ausbauen: die erneuerbaren Energien, integrierte Mobilitätskonzepte, Kraft-Wärme-Kopplung." Doch wohin man auch schaue, es lauern Probleme. "Die Bundesregierung muss ihre Schlagzahl und ihre Konsequenz erhöhen", sagt Wolff, die auch den Darmstädter Versorger Entega führt. "Sonst werden wir auch die nächsten Klimaziele verfehlen."

Beispiel Solar: Als Union und FDP im Jahr 2012 die Solarförderung einschränken wollten, einigten sie sich mit den Ländern auf eine neue Obergrenze. Mehr als 52 Gigawatt Photovoltaik sollte in Deutschland nicht gefördert werden. Die Grenze war seinerzeit noch 24 Gigawatt entfernt, Umweltminister war ein gewisser Peter Altmaier (CDU) - heute der zuständige Energieminister. Er war stolz auf die Lösung.

Doch im Jahr 2020 fehlen nur noch wenige Monate bis zum Erreichen dieser Grenze. "Die Folge wäre, dass der Photovoltaik-Ausbau in den kommenden Monaten wegsackt", warnt Wolff. "Der 52-Gigawatt-Deckel muss endlich weg." Parallel sollten die Korridore für Solarparks entlang von Straßen und Bahnstrecken breiter werden - bisher liegt die Grenze bei 110 Metern. Auch auf Konversionsflächen, etwa ehemaligen Militäranlagen, müssten sich mehr Solarparks fördern lassen, verlangt der Stromverband.

Beispiel Wind: Im vorigen Jahr ist der Bau neuer Windräder an Land massiv eingebrochen. Ans Netz gingen nur Anlagen mit einer Gesamtleistung von knapp 1000 Megawatt, also einem Gigawatt - ein Rückgang um mehr als 60 Prozent gegenüber 2018. Doch gerade der Windkraft seien mit dem Klimapaket der Bundesregierung "massive Bremsklötze in den Weg gelegt" worden, klagt die BDEW-Präsidentin. "Das ist das Gegenteil von Konsequenz."

Union und SPD hatten in ihrem Klimaschutzprogramm einen Mindestabstand von 1000 Metern in Wohngebieten vereinbart, den alle neuen Windräder einhalten sollen. Umstritten ist bislang noch, was genau ein "Wohngebiet" ausmachen soll. Experten rechnen je nach Festlegung mit einer mehr oder weniger drastischen Einschränkung der verbleibenden Flächen.

Wolff fordert stattdessen, Bürger und Kommunen stärker kommerziell an den Windparks zu beteiligen. "Stärkere Akzeptanz geht über mehr Teilhabe", sagt sie. Zumal jährlich vier Gigawatt Windkraft an Land neu gebaut werden müssten, um den Ökostromanteil auf 65 Prozent zu heben. Das ist das Ziel der Koalition.

Beispiel Elektromobilität: Während die klimaschädlichen Emissionen beim Strom in den vergangenen Jahren kontinuierlich sanken, haben sie im Verkehr wieder zugenommen. "Was bisher getan wurde, zeigt überhaupt keine Wirkung", sagt Wolff. "Der Verkehr muss ein Sofortprogramm vorlegen." Ein Teil der Lösung könnten mehr Ladestationen in Mehrfamilienhäusern sein, doch bisher scheitern sie an Rechtsfragen - etwa jener, ab wann eine Eigentümergemeinschaft dem Einbau solcher Ladestationen zustimmen muss, oder wie Mieter an so eine eigene Zapfstelle kommen können. Es sei "völlig unverständlich", dass die nötigen Gesetzesänderungen noch nicht umgesetzt seien.

Letztlich würden die 20er-Jahre für den Klimaschutz entscheidend. "Dies muss das Jahrzehnt der Klimawende werden", verlangt Wolff. Das allerdings verlange auch, wieder offensiver über die Erfolge des Umbaus zu reden. "Wir müssen den Ton heben und in Lösungen denken", sagt Wolff. "Die Energiewende wird funktionieren."

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SZ vom 21.01.2020
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