Süddeutsche Zeitung

Energiepolitik:Neues Leben, alte Lasten

Der Eon-Konzern wollte mit einer Abspaltung sein atomares Erbe loswerden - nun holt es ihn wieder ein. Auch Vattenfall ist in Sorge.

Von Markus Balser, Michael Bauchmüller, Berlin

Die Arbeiten am so diskreten wie wirksamen Schlupfloch liefen eigentlich nach Plan. Deutschlands größter Energiekonzern Eon treibt in der Zentrale die eigene Aufspaltung voran, Termin: Anfang 2016. Teams dröseln in stundenlangen Sitzungen die Firmen und Abteilungen auseinander. Entstehen soll in Kürze eine grüne Eon mit Sitz in Essen und das neue Kraftwerksunternehmen Uniper, dessen Abspaltung ganz nebenbei helfen soll, mit den kriselnden Kraftwerken auch ein lästiges Risiko loszuwerden: die teure Abwicklung des einst florierenden Atomgeschäfts.

Nach deutschem Recht genügte es bisher, die Atomsparte in ein neues Unternehmen auszugliedern, um die ewige Haftung auf gerade mal fünf Jahre zu begrenzen. Angesichts der offenen Frage, ob die deutschen Atomrückstellungen von 38 Milliarden Euro in den nächsten Jahrzehnten tatsächlich ausreichen oder weitere Milliarden für den Bau eines Endlagers oder den Abriss von Reaktoren nötig werden, ein schlauer Schachzug. Vattenfall hat das eigene Unternehmen bereits umgebaut. Der Essener RWE-Konzern denkt über entsprechende Umbauten nach. Doch seit dieser Woche wird nicht nur in der Eon-Zentrale klar, dass es ein ernstes Problem gibt. Denn Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) will das Schlupfloch schließen. Eon soll demnach noch Jahrzehnte nach der Abspaltung seines Atomgeschäfts geradestehen, sollte die neue Tochter Abriss und Entsorgung nicht würde schultern können.

Zwar hatte Eon immer wieder betont, man wolle sich mit der Aufspaltung nicht aus der Affäre ziehen. Doch im Management der Energiekonzerne herrscht so gewaltige Unruhe, dass eine Verbindung kaum noch zu leugnen ist. "Kommt das Gesetz durch, wäre der Umbau bei Eon obsolet", glaubt ein Insider.

Der Konzern kündigt zwar offiziell an, am Zeitplan für die Aufspaltung festzuhalten. Doch die Reaktion aus der Eon-Zentrale macht deutlich, wie viel auf dem Spiel steht - das Unternehmen erwägt sogar eine Verfassungsbeschwerde. Dieser werde das Gesetz "nicht standhalten", ließ der Konzern verbreiten. Sollte das Gesetz so kommen, erklärte ein Sprecher, "müssten wir aller Voraussicht nach Rechtsmittel einlegen." Auch bei RWE und Vattenfall prüfen die Juristen den Gesetzesentwurf. Die Börse reagiert bereits. So schlossen RWE-Aktien am Dienstag auf dem tiefsten Stand seit gut 25 Jahren. Auch der Kurs der Eon-Papiere gab nach.

Der Jahreswechsel, der eigentlich zum Neustart für Eon und das Schwesterunternehmen Uniper werden sollte, könnte nun anders ausfallen als geplant. Denn beeilt sich die Regierung, könnte sie das Gesetz noch vor der Aufspaltung des Konzerns beschließen. Ende September soll das Kabinett es absegnen, auch die Länder müssen zustimmen. Derweil haben die Eon-Juristen mögliche Angriffspunkte für ihre Verfassungsbeschwerde schon ausgemacht: den Eingriff in Eigentumsrecht und Berufsfreiheit, die von der Endlos-Haftung für Mutterkonzerne ausgeht. Schließlich wollte Eon sein neues Leben ohne die alten Lasten beginnen.

Dabei ist so eine Endlos-Haftung im deutschen Recht nicht ganz unbekannt. Auch das Bundesbodenschutzgesetz sieht eine solche "Durchgriffshaftung" vor, wenn etwa eine Tochtergesellschaft nicht in der Lage ist, von ihr kontaminierte Böden zu sanieren - und das dauerhaft.

Auch in Stockholm dürften Juristen das neue Gesetz genau durchleuchten. Dort hatte schon 2012 die Vattenfall-Mutter ihren Beherrschungsvertrag mit der deutschen Tochter gelöst. Faktisch würde der Staatskonzern aus Schweden damit nicht mehr haften, sollte die Kraftwerkssparte in Deutschland den Rückbau nicht stemmen können. Doch mit einem Kniff im Gesetz ist nun auch Stockholm wieder in der Haftung: Denn das Gesetz stellt nicht auf die Verträge zwischen Mutter und Tochter ab, sondern auf "Unternehmen, denen Gesellschaftsanteile unmittelbar oder mittelbar gehören, welche die Kapitalmehrheit an Betreiber vermitteln, oder denen die Mehrheit an dem Betreiber zusteht oder die in allen sonstigen Fällen die Leitungsmacht bei dem Betreiber unmittelbar oder mittelbar ausüben können". Da rauszukommen, ist nicht ganz einfach. Damit nicht genug, werfen Wirtschaftsprüfer von Warth & Klein Grant Thornton gerade einen tiefen Blick in die Bilanzen der Konzerne. Bis Ende des Monats sollen sie dem Bund Klarheit darüber verschaffen, wie werthaltig die gut 38 Milliarden Euro wirklich sind, die derzeit an Atom-Rückstellungen gebildet sind. Eine eigene Kommission, womöglich unter Beteiligung des Grünen Jürgen Trittin und des einstigen CDU-Umweltministers Klaus Töpfer, soll dann bis November überlegen, wie sich die Begleichung der Altlast sichern lässt. Eine der Möglichkeiten: ein Fonds zumindest für jene Kosten, die erst in Jahrzehnten zu begleichen sind. Für die Betreiberkonzerne hieße das, dass sie sich von Beteiligungen trennen müssten, die bisher als Sicherheit dienen. Es naht schon der nächste Schmerz.

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SZ vom 04.09.2015
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