Energiepolitik:Kraftmeierei

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Kann sich Deutschland einen schnellen Ausstieg aus der Kohleförderung leisten? Die Wirtschaftsverbände lassen schon mal rechnen - und geben sich sorgenvoll.

Von Michael Bauchmüller , Berlin

Als es rund um Niederaußem dämmert, liegt ein riesiges Thermometer auf der Wiese, brennend. Greenpeace-Aktivisten haben es inszeniert, gleich neben dem Kraftwerk im Rheinland: eine Mahnung im Kampf gegen die Erderwärmung. Es ist Teil des größeren Stücks "Deutschland steigt aus dem Kohlestrom aus", und möglicherweise fällt diese Woche der letzte Vorhang: Am Freitag tritt die Kohlekommission erneut zusammen. Wenn alles gut läuft, zum letzten Mal. Danach soll klar sein, wann die ersten Kohlekraftwerke vom Netz gehen und wann die letzten; und wie die betroffenen Regionen aufgefangen werden. Es geht um viel: für das Klima, für die Beschäftigten, für Rheinland und Lausitz.

Abbau von Braunkohle im Tagebau Hambach: Den Industrieverbänden geht der Kohleausstieg zu schnell. (Foto: Federico Gambarini/dpa)

Was Greenpeace die Bilder vom brennenden Thermometer sind, das sind der Industrie die hohen Zahlen. Am Dienstag legen die Wirtschaftsverbände BDI, DIHK und BDA noch rasch eine Studie vor, zu den Kosten eines "vorzeitigen Kohleausstiegs". Sie rechnet Szenarien durch für den Fall, dass der Energiesektor mit einer "Kohlemaßnahme" tatsächlich sein Klimaziel für 2030 erreichen sollte. Dazu gibt es ein Risikoszenario, das auch eine "Verschiebung von Erdgas- und Steinkohlepreisen, bspw. durch Maßnahmen in China" kalkuliert. Die Steinkohle wird hier billiger - die Alternative dazu, Erdgas, dagegen teurer. In diesem Fall würden Gaskraftwerke "aus ökonomischen Gründen stillgelegt, was sich negativ auf die Versorgungssicherheit auswirkt", kurz: der blanke Horror. Die Wahrscheinlichkeit für dieses Szenario, so heißt es auch bei den Autoren von Aurora Energy Research, liege aber bei "deutlich unter 50 Prozent".

Die Wirtschaftsverbände warnen vor steigenden Preisen für Erdgas

Die Schlussfolgerungen aus der Studie zieht die Industrie selbst. Zwischen 14 und 54 Milliarden Euro könne die Belastung bis 2030 betragen, "je nach Entwicklung der Importpreise von Gas und Steinkohle". Der Gaspreis könne zu einem "kritischen Faktor" für die deutsche Wettbewerbsfähigkeit werden. Regelmäßig müsse der Kohleausstieg deshalb überprüft werden, verlangt DIHK-Präsident Eric Schweitzer. Ohne eine "Kompensation der zu erwartenden Stromkostensteigerungen" könne die Wirtschaft einem Ausstieg aus dem Kohlestrom nicht zustimmen. Alle drei Verbände sitzen in der Kohlekommission.

Protest vor dem Kraftwerk Niederaußem: Greenpeace-Aktivisten haben brennbare Flüssigkeiten entzündet. (Foto: Roland Weihrauch/dpa)

Umweltschützer dagegen verlangen, bis 2030 die letzten Kohlekraftwerke abzuschalten. "Innerhalb der nächsten zwölf Jahre aus der Kohle auszusteigen ist problemlos möglich", sagt Bastian Neuwirth, Klimaexperte bei Greenpeace. So ist das Feld abgesteckt, kurz vor dem letzten Akt.

Es geht mittlerweile nur noch um Gigawatt-Fragen, also um Kraftwerksleistung. Einige Kraftwerke sollen schon bald vom Netz gehen - wie viele: offen. Ein Enddatum soll die Kommission bestimmen, wann: offen. Ein Pfad soll klar werden, für die Rückgang der Kohlestrom-Menge. Welcher, ist offen. Bei einer Energiekonferenz des Handelsblatts fügt Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) am Dienstag noch eine Randbedingung hinzu: den Atomausstieg. Dadurch würde 2021 und 2022 allein 4,4 Gigawatt an Akw-Leistung vom Netz gehen; da könne man unmöglich noch zusätzlich Kohleblöcke stilllegen. "Wohl aber davor und wohl danach", sagt Altmaier.

Ohnehin gibt es auch in der Energiewirtschaft viele, die einen flotten Ausstieg gut fänden. "2030 wäre ohne Einschnitte in die Versorgungssicherheit machbar", sagt Stefan Dohler, Chef des Oldenburger Energieversorgers EWE, einer der größeren im Land. Zwischendrin müsse immer wieder überprüft werden, ob der Ausbau von Ökostrom, Leitungen und Gasanlagen im Plan liegt. "Aber wenn wir einen klaren Fahrplan bekommen, bedeutet das auch Investitionssicherheit."

© SZ vom 23.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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