Süddeutsche Zeitung

Energiepolitik:Kampf um die Kohle

Lesezeit: 2 min

Im Rheinland protestieren Klimaschützer für einen schnelleren Ausstieg aus der Braunkohle. Trotz Energiewende sollen dort fünf weitere Orte dem Tagebau zum Opfer fallen.

Von Benedikt Müller, Erkelenz

Vom Zirkuszelt des Klimacamps aus kann man sie beide betrachten: die alte und die neue Energiewelt. Im Vordergrund rotieren Windräder auf den flachen Feldern zwischen Aachen und Köln. In der Ferne qualmt es aus den Türmen des Kraftwerks Frimmersdorf, einst der größte Braunkohle-Meiler der Welt. Und dazwischen prangen die großen Bagger des Tagebaus Garzweiler, mit denen die RWE-Tochter Rheinbraun Kohle aus dem Erdreich befördert. Und über der Szenerie kreist ein Polizei-Hubschrauber.

Denn "das Loch", wie die Einheimischen den Tagebau nennen, ist an diesem Wochenende Schauplatz massiver Proteste: Einige Tausend Aktivisten kampieren seit Tagen auf großen Wiesen zwischen Aachen und Köln. Sie demonstrieren für einen sofortigen Ausstieg aus der Braunkohle, die sie als "dreckigste aller Formen der Stromversorgung" bezeichnen - nicht nur wegen der hohen CO₂- und Feinstaub-Belastung. Auch weil der Abbau die Landschaft zerstöre.

Bis in die Jahre 2040 und 2045 darf RWE Braunkohle im rheinischen Revier abbauen. Die Kohle sieht der Dax-Konzern als nötige, sichere Energiequelle, wenn gerade mal kein Wind weht und keine Sonne scheint. Allerdings hat das Land Nordrhein-Westfalen im Sommer 2016 beschlossen, das Abbaugebiet um Garzweiler zu verkleinern. Noch fünf Orte sollen in den nächsten Jahren umgesiedelt werden, dann ist Schluss.

Dem Aktionsbündnis "Ende Gelände" geht das nicht schnell genug. Die Gruppe hatte RWE aufgerufen, den Braunkohle-Abbau in der Nacht zu Donnerstag einzustellen. Ansonsten werde man das "selbst in die Hand nehmen". Also ziehen sie am Freitagmittag los, Gruppen mit ein paar Hundert jungen Menschen in weißen Maleranzügen. Mit Regenschirmen, die gegen Sonnenstiche, aber auch gegen Wasserwerfer helfen sollen. Und mit Strohballen, auf die sich die Demonstranten setzen können. Etwa, wenn sie eine Eisenbahnstrecke blockieren, die vom Tagebau zum Kraftwerk führt. Auf einer Kohlebahn musste RWE den Zugverkehr am Freitag aus Sicherheitsgründen einstellen.

Bereits am Vormittag kletterten Aktivisten auf einen Bagger des Tagebaus Inden. RWE hat das Gerät abgeschaltet, die Polizei hat die Demonstranten nach unten begleitet. Der Dax-Konzern will die Aktionen strafrechtlich verfolgen. Noch bis Dienstag will das Aktionsbündnis mit solchen Aktionen zivilen Ungehorsams protestieren. Überdies planen Umweltverbände und Bürgerinitiativen am Wochenende eine Menschenkette, um für den Erhalt des Hambacher Waldes zu demonstrieren.

Der Tagebau spaltet die Gemüter hier zwischen Aachen und Köln: Da sind Anwohner, die mit einem Neubau und einer Entschädigung gerechnet hatten - und enttäuscht von der Entscheidung sind, die Umsiedlungen einzuschränken. Da wohnen Menschen, die in der Braunkohle-Verstromung arbeiten und keinen jähen Ausstieg wollen. Da sind aber auch die Kohle-Gegner, die eine höhere Asthma- und Krebsrate beklagen. Und Umgesiedelte, die in den Neubaugebieten ihre alten Dorfkerne und Kirchtürme vermissen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3640906
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 26.08.2017
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.