Energiepolitik:In der Falle des Atom- und Ölwahns

Billiges Öl, erschwingliche Atomenergie: Jahrelang hat sich die Welt von günstigen Energiepreisen verführen lassen. Nun muss sie sich verändern - doch eine Formel zur schnellen und schmerzfreien globalen Wende gibt es nicht.

Karl-Heinz Büschemann

Die Welt steht unter Schock. Im japanischen Fukushima bedroht ein havariertes Atomkraftwerk eine Region. Mit den Bildern vom Kampf der Retter gegen eine Nuklearkatastrophe wachsen die Sorgen um das Leben der Menschen in der Region. Zugleich geht der Glaube an die segensreiche Wirkung der Atomenergie verloren, wenn nicht einmal das hoch entwickelte Japan die Technik im Griff hat, die in der ganzen Welt genutzt wird.

Kernkraftwerke Neckarwestheim und Philippsburg muessen vom Netz

Abkehr von der Atomenergie: Das Kernkraftwerk Philippsburg im Landkreis Karlsruhe ist schon vom Netz gegangen.

(Foto: dapd)

Bereits im Sommer 2010 schaute die Welt auf einen Krisen-Schauplatz der Energieversorgung. Vor der Südküste der USA war eine Ölplattform in die Luft geflogen. Der Golf von Mexiko wurde von einer Ölpest heimgesucht. Was aber schlimmer war: Amerika, die Industrienation Nummer eins, und der Ölmulti BP wirkten angesichts der sprudelnden Ölmengen vor aller Augen hilflos. Sie brauchten Wochen, um das Loch am Boden des Golfs abzudichten; der Schaden für die Umwelt ist bis heute nicht abzusehen.

Beide Vorkommnisse zeigen, dass die verantwortungsvolle Versorgung der Welt mit Energie so einfach nicht ist, wie es Manager oder Politiker weiszumachen versuchen. Die vermeintlich billige Energie ist so günstig nicht. Der Begriff des Restrisikos, der früher für eine vernachlässigbare Wahrscheinlichkeit stand, hat mit Fukushima eine konkrete Bedeutung bekommen. Der schöne Schein des glitzernden globalen Wohlstandes, der auf der exzessiven Nutzung von billiger Energie beruht, hat eine hässliche Kehrseite.

Die Preise, für die heute Energie zu haben ist, decken nicht ansatzweise die Kosten, die mit ihrer Förderung und Nutzung einhergehen. Umweltschäden werden der Allgemeinheit aufgeladen. Gesundheitliche Beeinträchtigungen von Menschen kommen in den Kostenrechnungen der Energiekonzerne nicht vor. Der Markt versagt, wenn es um eine nachhaltige Versorgung der Menschen mit Energie geht. Er kennt nur den Gewinn von heute. Die Zukunft hat zwischen Angebot und Nachfrage keinen Platz.

Die Verlockung der zunächst leicht verfügbaren Energie aus dem Boden war zu groß. Die Industrienationen haben sich bereitwillig in die Abhängigkeit von Öl, Gas und Kohle begeben. Nach dem Zweiten Weltkrieg kam die Atomenergie dazu, die eine Hoffnung bot auf sauberen Strom in unendlichen Mengen. Der Wohlstand wuchs in Europa, in Japan und Nordamerika - und die eilig nachrückenden Schwellenländer von China bis Russland und Brasilien ahmen den Lebenswandel der Reichen nach.

Doch der globalisierte Wohlstand ist ein Leben auf Pump und irgendwann kommt die Rechnung. Sie ist doppelt ausgefertigt: Einerseits werden Millionen Menschen sie mit ihrer Lebensqualität bezahlen, wenn der Klimawandel ganze Region der Welt unbewohnbar macht. Zum anderen werden unvermeidlich steigenden Preise für Öl oder Strom den Lebensstandard in allen Ländern senken.

Es gibt sogar Wachstumschancen!

Die Weltwirtschaft steckt in einer Sackgasse. Die Chancen, den hohen globalen Energiebedarf ohne Öl, Gas oder Kohle zu decken, sind auf lange Zeit gleich Null. Der Verbrauch der Welt hat sich in den vergangenen 40 Jahren etwa verdoppelt, und er wird trotz vieler Debatten über alternative Energie noch immer zu rund 80 Prozent mit Öl, Gas und Kohle gedeckt. Die aber sind für die schädlichen Kohlendioxid-Emissionen und den Klimawandel verantwortlich. Selbst in den kühnsten Szenarien der Fachleute werden fossile Brennstoffe noch lange die zentrale Rolle in der Weltenergieversorgung spielen.

Die Atomenergie zu ersetzen, wäre theoretisch einfach. Sie trägt nur etwa sechs Prozent zum Energieverbrauch der Welt bei. Aber auch die deutschen Atomkonzerne gegen das Ende der Kernenergie. Für sie geht es um Milliarden-Investitionen. In jedem Falle aber gilt: Wer Atommeiler dichtmacht, muss Ersatz schaffen. Das wären aber meist Kohle- oder Gaskraftwerke. Damit wächst das Klimaproblem, statt dass es schrumpft.

Die Menschheit hat sich mit ihrem Öl- und Atomwahn so tief in die Falle manövriert, dass es auf lange Sicht keinen Ausweg gibt. Die Hoffnung, die Welt könnte schnell mit alternativen Energien versorgt werden und zur Stromgewinnung mal eben die Sonne anzapfen, ist naiv. Es gibt keinen Steuerungsmechanismus, der die Weltwirtschaft zur kollektiven Vernunft führen könnte. Auf die Ratio des Marktes zu hoffen, der die Misere befördert hat, wäre naiv.

Zudem gibt es Grenzen. Autofahren mit Biosprit wird in den kommenden Jahrzehnten nur in geringem Umfang möglich sein. Wind und Sonne tragen heute weniger als ein Prozent zur Energieversorung bei. Es wird noch Jahrzehnte dauern, bis Großprojekte wie Desertec, die Sonnenstrom aus Afrika nach Europa schaffen wollen, einen spürbaren Anteil an der Energieversorung erkämpft haben. Die Wasserkraft ist auf der Welt so gut wie ausgereizt.

Die Industrieländer werden ihre Anstrengungen ausweiten, Alternativen zu entwickeln. Die deutschen Tüftlerfirmen überbieten sich bereits mit Vorschlägen. Das bietet sogar Wachstumschancen.

Doch eine Formel zur schnellen und schmerzfreien globalen Energiewende gibt es nicht. Der Golf von Mexiko oder die glühenden Reaktoren von Fukushima sind nur die Ermahnung, dass sich Politiker, Manager und Energieverbraucher für neue Lösungen öffnen müssen. Bis das Umdenken Früchte trägt, wird aber noch viel Zeit vergehen.

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