Süddeutsche Zeitung

Energiepolitik:Atommüll-Endlager erst "2170 oder später"

  • Die Endlager-Suchkommission des Bundestages geht von einem Kostenanstieg auf 50 bis 70 Milliarden Euro für die Atommüllbeseitigung aus.
  • Aufgrund der unsicheren Finanzierungslage fordern Experten für die Bundesregierung einen Fonds für die Folgekosten der Atomenergie.
  • In einigen Zwischenlagern könnte der Atommüll "bis nach 2100 bleiben", warnt der Chef der Entsorgungskommission des Bundes, Michael Sailer.

Von Christopher Eichfelder

Bis "2170 oder später", so lange könnte sich die Endlagerung des deutschen Atommülls noch hinziehen. Nach Ansicht des Vorsitzenden der Endlager-Suchkommission des Bundestages, Michael Müller (SPD), müsse daher in den kommenden Jahrzehnten mit einem Kostenanstieg auf 50 bis 70 Milliarden Euro gerechnet werden. Das sagte er der Frankfurter Rundschau.

"Auf den Staat kommen erhebliche finanzielle Risiken zu", so Müller. Denn die vier Konzerne am deutschen Strommarkt Eon, RWE, EnBW und Vattenfall haben nur etwa 36 Milliarden für die Folgekosten ihrer Atomkraftwerke zurückgelegt. Dieses Geld werde aller Voraussicht aber nicht für den Abriss der Atomkraftwerke und die Zwischen- und Endlagerung des Atommülls reichen.

In Anbetracht der wirtschaftlichen Schwierigkeiten der vier AKW-Betreiber empfiehlt ein Gutachten, das von der Bundesregierung in Auftrag gegeben wurde, den Aufbau eines öffentlichen Fonds für den Abriss der Kraftwerke. Das Bundeswirtschaftsministerium hat zudem angekündigt, die Jahresabschlüsse der Konzerne auf ausreichende Rückstellungen prüfen zu wollen. Das soll sichern, dass alle Betreiber beim Kraftwerksabriss und der Endlagerung für die Kosten aufkommen können. Andernfalls könnten die deutschen Steuerzahler selbst auf einem großen Teil der Entsorgungskosten sitzen bleiben.

Wo der deutsche Atommüll zwischen- und endgelagert werden soll, ist weiterhin teilweise völlig ungeklärt. Laut eines aktuellen Dokuments einer Arbeitsgruppe der Endlager-Suchkommission, wird der Lagerprozess möglicherweise erst Mitte des kommenden Jahrhunderts vollständig abgeschlossen sein. Die Experten erwarten, dass die letzten Atommüll-Behälter erst "zwischen 2075 und 2130" eingelagert werden. Bis der "Zustand eines verschlossenen Endlagerbergwerks" erreicht ist, werden wohl nochmals mindestens zwanzig bis vierzig Jahre vergehen - derzeit rechnen die Experten mit einem Zeitfenster "zwischen 2095 und 2170 oder später".

Nach Ansicht des Chefs der Entsorgungskommission des Bundes, Michael Sailer, bedeutet die enorme Verzögerung erhöhte Risiken. Große Mengen Radioaktivität könnten in den oberirdischen Zwischenlagern vergleichsweise einfach freigesetzt werden, etwa durch Krieg oder Terrorismus. "Ohne zügige Abwicklung der Endlagersuche könnte Atommüll in einigen Zwischenlagern bis nach 2100 bleiben", befürchtet Sailer - für die kommenden Generationen einen "Quasi-Dauerzustand" ohne wirkliche Endlageroption.

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