Süddeutsche Zeitung

Energiekonzerne: Preiserhöhungen:Die große Stromlüge

Millionen Haushalte sollen wieder mehr für Strom zahlen, obwohl der für die Konzerne zuletzt viel günstiger geworden ist. Die Versorger machen den Ökostrom für die Preiserhöhungen verantwortlich. Doch das ist nicht der wahre Grund.

Markus Balser

Die Post hatte es in sich: Im Ton freundlich, in der Sache bestimmt, kündigte der Stromversorger Vattenfall Ende November Millionen Kunden einen tiefen Griff in die Taschen an. Von Januar an müsse man die Strompreise deutlich erhöhen, erfuhren Verbraucher in Nord- und Ostdeutschland - leider gleich um fast zehn Prozent. Schuld sei der "dramatische Anstieg der Kosten", so Vattenfall.

Auch Deutschlands zweitgrößter Versorger RWE langt mit der gleichen Begründung kräftig zu. Insgesamt müssen bundesweit 25 Millionen Haushalte im kommenden Jahr mehr für Strom zahlen. Denn 400 der fast 1000 Stromanbieter in Deutschland machen beim Abkassieren mit. Im Schnitt steigen die Preise um satte sieben Prozent. In schöner Regelmäßigkeit erhöhen Deutschlands Stromanbieter ihre Tarife. Die Begründung ist in diesen Tagen stets die gleiche: Die deutliche Steigerung der Ökostromkosten schlage sich in der Rechnung nieder, ausgelöst vor allem durch den Boom bei Solaranlagen. Zu gerne reichen Vattenfall, RWE und Co. den Schwarzen Peter so an die Ökostrombranche weiter. Seit langem ist deren üppige Förderung ihnen ein Dorn im Auge.

Nur Wechseln hilft

Auf den ersten Blick klingt die Begründung plausibel. Tatsächlich schraubten Deutschlands Hausbesitzer in den vergangenen eineinhalb Jahren so viele neue Photovoltaikanlagen wie noch nie auf ihre Dächer. Stromverbraucher müssen entsprechend mehr für die Fördertöpfe aufbringen. Die gesetzliche Ökostromumlage, die alle Kunden über ihre Rechnung zahlen, wächst mit jeder Anlage. Allein 2011 steigt sie von 1,5 Cent je Kilowattstunde auf 3,5 Cent - Steuer inklusive würde das ein Plus von sieben Prozent bedeuten und die Preiswelle erklären.

Doch eine ehrliche Rechnung sieht anders aus. Denn bei genauem Hinsehen wird klar: Konzerne missbrauchen die Gunst der Stunde und setzen überzogene Preiserhöhungen durch. Verantwortlich für viele ausufernde Stromrechnungen sind nicht etwa Solaranlagen oder Windräder, sondern das Kalkül in Chefetagen, die Gewinne zu maximieren. Denn anders als viele Versorger glauben machen wollen, sind sie zu Tariferhöhungen keineswegs gezwungen. So sind laut Daten des Statistischen Bundesamts die Einkaufspreise für Strom in den vergangenen zwei Jahren um 20 Prozent gesunken.

Ein Preisrutsch für die Energieversorger, der bei den Verbrauchern nie ankam. Im Gegenteil: Die Verbraucherpreise stiegen um acht Prozent. Zu den gesunkenen Großhandelspreisen trägt auch bei, dass Ökostrom preisdämpfende Effekte hat: Weil Wind- und Solaranlagen teure Kraftwerke aus dem Markt drängen, sinkt der Börsenpreis für Strom. Selbst unabhängige Aufseher, wie die Bundesnetzagentur, halten steigende Preise für nicht gerechtfertigt.

Der Ausbau des Ökostroms kann wegen des kostspieligen Umbaus der Energiewirtschaft langfristig zu höheren Preisen führen. Für die gegenwärtige Preisrunde aber den Schuldigen bei erneuerbaren Energien zu suchen, ist unredlich. Deutschlands Energiekonzerne spielen mit ihrer Glaubwürdigkeit, wenn sie die Verantwortung für höhere Preise nicht selbst übernehmen. Kunden sollten daraus Konsequenzen ziehen. Noch immer zahlt die Mehrheit der Deutschen zu viel für Strom. Die wenigsten wechseln in günstigere Tarife. Die Verbraucher sind aufgerufen, endlich mehr für den Wettbewerb in Deutschland zu tun - mit einem Wechsel zu fairen Versorgern.

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Quelle:
SZ vom 01.12.2010/hgn
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