Energiekonzerne:War der Atomausstieg verfassungswidrig?

Kernkraftwerk Grohnde

Atomkraftwerk im niedersächsischen Grohnde.

(Foto: Julian Stratenschulte/dpa)
  • Muss der Bund die Stromkonzerne wegen des hastig beschlossenen Atomausstiegs im Jahr 2011 entschädigen? Damit befasst sich nun das Bundesverfassungsgericht.
  • Die AKW-Betreiber Eon, RWE und Vattenfall verlangen hohe Entschädigungen.
  • Das vergleichsweise junge AKW Krümmel könnte sich als der heikelste Fall erweisen.

Von Michael Bauchmüller und Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Auf den Tag genau fünf Jahre ist es her, da besiegelten Bund und Länder das Ende der ältesten deutschen Atomkraftwerke. Im Kanzleramt waren Angela Merkel und die Ministerpräsidenten der Atomkraft-Länder zusammengetroffen. Am Ende des Treffens stand die Abschaltung von acht der 17 deutschen AKWs. Was damit begann, wird von diesem Dienstag an in Karlsruhe verhandelt. War die überstürzte Fukushima-Wende womöglich verfassungswidrig? Muss der Bund die Konzerne entschädigen?

Unterlagen aus den beteiligten Ministerien belegen, wie heikel Regierungsbeamte die Operation damals fanden. Das Finanzministerium etwa forderte, "dass die vorgesehene Änderung des Atomgesetzes keine Entschädigungsansprüche begründet". Derweil schob das Umweltministerium in seitenlangen Tabellen "Reststrommengen" hin und her. "Die gewählten Fristen", so hieß es dort, "müssen den Betreibern für alle Anlagen eine Amortisation ihrer Investitionen sowie das Erzielen eines angemessenen Gewinns ermöglichen."

Den Unternehmen seien Umsätze in Höhe von 120 Milliarden Euro entgangen

Das Kalkül war klar: Zwar sollten möglichst rasch möglichst viele Reaktoren vom Netz gehen. Doch die Betreiber sollten das Gesetz nicht anfechten können. Ob das gelungen ist, könnte sich dieser Tage zeigen - das Bundesverfassungsgericht verhandelt über die Beschwerden der Betreiber.

Das Gericht wird dafür weit zurückgreifen müssen, bis ins Jahr 2002. Damals vereinbarte die rot-grüne Bundesregierung mit den Energiekonzernen Eon, RWE, Vattenfall und EnBW einen "Atomkonsens". Nach rechnerisch 32 Jahren sollten die AKWs vom Netz gehen. Dafür sicherte das Gesetz ihnen "Reststrommengen" zu, die noch erzeugt werden durften.

Wenige Monate vor Fukushima, im Oktober 2010, hatte die schwarz-gelbe Bundesregierung die Laufzeiten verlängert, im Schnitt um acht Jahre. Doch als sie im Frühjahr 2011 hektisch ausstieg, orientierte sie sich dennoch an den rot-grünen Reststrommengen für 32 Jahre. In der kurzen Zeit hätten die Unternehmen kaum investieren können, argumentiert die Bundesregierung - ein schützenswertes Vertrauen sei nicht entstanden. Entsprechend gering sei der Eingriff in das Eigentum.

Der Fall des AKW Krümmel könnte sich als heikel erweisen

Wenn es denn überhaupt ein Eingriff ist. Grundsätzlich genießt der Gesetzgeber einen großen politischen Spielraum, sich für oder gegen die Kernenergie zu entscheiden, hat das Gericht schon 1978 entschieden. Ob das "Restrisiko" nach Fukushima anders beurteilt wird, unterliegt einer politischen Bewertung. Und dann der Eigentumsschutz: Sind "Reststrommengen" wirklich Eigentum der AKWs? Oder doch nur Erwerbsaussichten, die sich durch ein neues Gesetz eben verschlechtert haben?

Die Unternehmen sehen das anders. Die verlängerten Laufzeiten eingerechnet sei allen Konzernen gemeinsam ein Umsatzausfall von 120 Milliarden Euro entstanden, argumentieren etwa die Eon-Anwälte in der Verfassungsbeschwerde. "Die Verluste haben ein solch erhebliches Ausmaß, dass die Beschwerdeführerin in ihrer wirtschaftlichen Existenz betroffen ist." Dabei kam Eon noch gut weg. RWE etwa schiebt seit dem rot-grünen Atomausstieg noch Strommengen des stillgelegten Reaktors Mülheim-Kärlich vor sich her. So viel Strom aber wird das Unternehmen in eigenen Atomkraftwerken nicht erzeugen können. Theoretisch ließen sich die Strommengen an Eon oder EnBW verkaufen. Doch der Marktwert geht gegen null.

Vattenfall klagt vor einem internationalen Schiedsgericht

Noch deutlicher kann man dies am Beispiel des Vattenfall-Konzerns sehen. Zwar ist umstritten, ob sich ein schwedischer Staatskonzern überhaupt auf deutsche Grundrechte berufen kann; und parallel klagen die Schweden derzeit vor einem internationalen Schiedsgericht in Washington auf Schadenersatz. Doch das von Vattenfall geführte AKW Krümmel, an dem auch Eon beteiligt ist, könnte sich als der heikelste Fall erweisen.

Krümmel war 2011 vergleichsweise jung, als es vom Ausstieg ereilt wurde: Nach dem Abschaltzeitpunkt gerechnet lag die Laufzeit der anderen AKWs im Schnitt um sieben Jahre höher. Auch bei der Ausnutzung der 2002 zugewiesenen Reststrommenge lag Krümmel nach diversen Pannen weit hinter der Konkurrenz; kaum anzunehmen, dass Vattenfall die Mengen noch an andere AKWs übertragen kann. Dass die Stilllegung von Krümmel nicht dem nach Alter und Laufzeit abgestuften Schema des Ausstiegs folgt, dürfte einen politischen Grund haben: Man wollte den Pannen-Meiler loswerden und nutzte die Gunst der Stunde. Politisch mag die Entscheidung nachvollziehbar sein. Verfassungsrechtlich könnte sie sich als Problem erweisen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: