Energiekonzerne:Dolce Vita für Kommunalpolitiker

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In der Affäre um gesponserte Lustreisen werden die meisten der 1300 beschuldigten Politiker und Rathausbeamten wohl ohne Anklage davonkommen. Energiekonzerne hatten die Ausflüge großzügig finanziert.

Johannes Nitschmann

Etwa 600 der Strafermittlungsverfahren seien bereits "wegen geringer Schuld" oder gegen Auflagen eingestellt worden, sagte der Kölner Oberstaatsanwalt Günther Feld der Süddeutschen Zeitung. Auch die restlichen 700 Fälle will die Staatsanwaltschaft nach eigenen Angaben weitgehend ohne Strafbefehle oder Anklagen erledigen.

In der Regel würden Verfahren in dem Lustreisen-Komplex dann eingestellt, wenn die wegen Vorteilsannahme beschuldigten Politiker und Beamten "eine Geldauflage in Höhe der Reisekosten plus zehn bis fünfzig Prozent" gezahlt hätten, sagte Feld. Lediglich gegen etwa 18 Lokalpolitiker und städtische Beamte gebe es bisher Anklagen und Strafbefehle wegen Vorteilsannahme oder Untreue. Zudem laufen Strafermittlungen wegen des Verdachts der Vorteilsgewährung gegen Manager von Energieunternehmen, die Politikerreisen gesponsert haben. "Hier geht es um eine Handvoll von Beschuldigten", sagte Oberstaatsanwalt Feld. Der Ausgang dieser Verfahren sei derzeit noch völlig offen.

Abenteuer in Norwegen

Gegen 14 Kommunalpolitiker aus dem Oberbergischen Kreis mussten die Ermittler zwischenzeitlich Anklage erheben, weil das zuständige Amtsgericht Gummersbach einer von der Staatsanwaltschaft beantragten Verfahrenseinstellung gegen Geldauflagen nicht zugestimmt hatte. In vier weiteren Fällen hatten sich die Beschuldigten geweigert, die Kosten für die offenkundigen Vergnügungsreisen an den Veranstalter zurückzuzahlen. Lediglich in einem Fall der von der Kölner Staatsanwaltschaft bundesweit geführten Lustreise-Verfahren ist bisher ein Gerichtsurteil ergangen: Das Kölner Amtsgericht verurteilte einen ehemaligen Beigeordneten der rheinischen Stadt Frechen wegen Vorteilsannahme zu einer Geldstrafe von 8000 Euro und einer Rückzahlung der Reisekosten in Höhe von 3600 Euro.

Bei den Fahrten des Rathausbeamten nach Norwegen und Belgien auf Kosten des kommunalen Energieversorgers habe es sich um "Abenteuerreisen" und "Kurzurlaub" gehandelt, urteilte die Amtsrichterin. Der Angeklagte, der seine Ehefrau zu den Kurztrips mitgenommen hatte, verteidigte sich, solche Reisen seien in der Kommunalwirtschaft "gang und gäbe". Für den Kölner Staatsanwalt Gunnar Greier sind die "Dolce-Vita-Reisen" hingegen nichts anderes als Korruption. "Die Reisen hatten Belohungscharakter."

Auf das dubiose Belohnungssystem der Energiewirtschaft für Kommunalpolitiker und Rathausbeamte war die Kölner Staatsanwaltschaft erstmals im Mai 2005 gestoßen. Bei den Ermittlern traf eine anonyme Anzeige ein. Es ging um eine luxuriöse Norwegen-Reise, die von den Stadtwerken im rheinischen Burscheid für ihre Aufsichtsratsmitglieder organisiert und finanziert worden war. Gebucht worden war der Ausflug für die Burscheider Lokalhonoratioren über ein Reisebüro der Eon-Tochter Ruhrgas. Für die Fahnder eine heiße Spur. Im Zuge ihrer Ermittlungen fanden sie heraus, dass das Reisebüro von Ruhrgas eigens eingerichtet worden war, um diskret Vergnügungsreisen für einflussreiche Rathauspolitiker, aber auch Bundestags- und Landtagsabgeordnete zu organisieren.

Eine Lawine von Strafermittlungsverfahren war losgetreten. In 150 Verfahrenskomplexen ermittelte die Kölner Staatsanwaltschaft in ganz Deutschland gegen 1300 Politiker und Verwaltungsbeamte sowie Manager der Energiekonzerne wegen des Verdachts der Vorteilsannahme, der Vorteilsgewährung und der Untreue. Das Strafdelikt der Untreue sah die Staatsanwaltschaft in den Fällen verwirklicht, in denen kommunale Energieunternehmen durch Lustreisen für ihre Aufsichtsräte, bei denen es sich häufig um Ratsvertreter handelt, geschädigt wurden. "Das war ein flächendeckendes System", sagt Oberstaatsanwalt Feld. Als Motiv für die Großzügigkeit der Energiefirmen vermuten die Ermittler "politische Landschaftspflege". Häufige Reiseziele waren Barcelona, Rom oder Brügge, oftmals mit einem Abstecher zu einer norwegischen Gasförderinsel, um die Reise als "Energieseminar" zu tarnen.

Neben Kommunalpolitikern und Rathausbeamten ermittelten die Kölner Staatsanwälte auch gegen vier Bundestags- und sieben Landtagsabgeordnete. Der Staatssekretär im Bundesarbeitsministerium, Franz Thönnes (SPD), soll im Jahr 2003 während eines Privaturlaubs samt seiner Ehefrau der Flug auf eine norwegische Bohrinsel von der Eon-Tochter Ruhrgas spendiert worden sein. Inzwischen wurde das Verfahren gegen den Staatssekretär laut Feld "mangels hinreichendem Tatverdachts" eingestellt. Der Essener CDU-Bundestagsabgeordnete Norbert Königshofen soll sich gemeinsam mit seiner Ehefrau auf Kosten der Essener Stadtwerke drei Tage in Budapest bei Konzerten und Dinner-Shows vergnügt haben. Bei diesem Ausflug zahlte der Energiekonzern 2800 Euro pro Person. Bei der Budapest-Visite könne "von einer Lustreise keine Rede sein", verteidigte sich Königshofen treuherzig, "schließlich war meine Ehefrau dabei".

Königshofen soll die Reisekosten an die Essener Stadtwerke zwischenzeitlich zurückgezahlt haben. Das Strafverfahren wegen Verdachts der Untreue zu Lasten der von ihm beaufsichtigten Stadtwerke wurde "wegen geringer Schuld" eingestellt. Bei vielen der beschuldigten Politiker geht es nicht um Untreue, sondern um den Korruptions-Tatbestand der Vorteilsannahme. In diesen Fällen besteht die Staatsanwaltschaft neben der Rückerstattung der Reisekosten auf die Zahlung einer Geldauflage. Diese kann bis zu 50 Prozent der Reisekosten betragen. Doch bei einer Verfahrenseinstellung gegen Auflage muss jeweils das zuständige Gericht zustimmen.

Dicke Aktenordner

Das Amtsgericht Gummersbach stellte sich quer. Amtsrichter Peter Sommer weigerte sich, die Lustreise-Verfahren gegen 14 politische Honoratioren - Bürgermeister, Ratsmitglieder und Beigeordnete - aus dem Oberbergischen Kreis gegen die Zahlung einer Geldauflage einzustellen. "Man kann nicht einfach alles unter den Teppich kehren", sagte Sommer. Dem Gericht hatte es an Reue der reiselustigen Ratsherren gefehlt. Daraufhin musste die Kölner Staatsanwaltschaft Anklage gegen die 14 Kommunalpolitiker erheben. Als die Anklagen nebst Ermittlungsakten von mehreren tausend Blatt im Gummersbach eintrafen, sah sich das dortige Schöffengericht als nicht zuständig an und gab das Verfahren Mitte Februar dieses Jahres "wegen des besonderen Umfangs und der besonderen Bedeutung" an eine Große Strafkammer des Landgerichts Köln ab. In diesem Verfahren seien "höchstrichterlich noch nicht abschließend geklärte Rechtsfragen" zu entscheiden, begründete der Sprecher des Amtsgerichts Gummersbach diesen Schritt. Der Lustreise-Komplex verlange "nach einer raschen und grundsätzlichen Klärung durch den Bundesgerichtshof als Revisionsgericht".

© SZ vom 11.03.2008/mel - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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