Energiegipfel im Kanzleramt:Placebos für politisches Handeln

Keiner will schuld sein, wenn die Strompreise steigen, keiner gönnt der jeweils anderen Seite einen Verhandlungserfolg. Schwarz-Gelb hier, Rot-Grün dort - vor dem Energiegipfel an diesem Donnerstag brandmarkt jeder das andere Lager als zerstrittenen Haufen. Ein Konzept für das Zusammenspiel alter und neuer Energien ist nirgends in Sicht.

Ein Kommentar von Michael Bauchmüller, Berlin

Ziemlich genau zwei Jahre ist es her, da trat Angela Merkel zusammen mit den Ministerpräsidenten der Länder vor die Öffentlichkeit. Gleich neben ihr saß ihr Parteifreund Peter Harry Carstensen aus Schleswig-Holstein, weiter außen der Baden-Württemberger Stefan Mappus und der Niedersachse David McAllister. Gemeinsam verkündeten sie das vorläufige Ende der ältesten deutschen Atomkraftwerke, das später Gesetz werden sollte. Bund und Länder an einem Strang: Es war der Beginn des föderalen "Gemeinschaftswerks" Energiewende.

Zwei Jahre später, am selben Ort, dürfte es vorerst sein Ende finden. Wieder treffen diesen Donnerstag Bund und Länder im Kanzleramt zusammen, wieder wollen sie gemeinsam die Wende organisieren. Statt der abgewählten Christdemokraten Carstensen, McAllister, Mappus sitzen da nun die SPD-Politiker Torsten Albig und Stephan Weil nebst dem Grünen Winfried Kretschmann. Die Gemeinsamkeiten sehen nun so aus: Keiner will schuld sein, sollten sich Verbraucher über die Kosten der Energiewende empören. Keiner gönnt der jeweils anderen Seite Verhandlungserfolge. Schwarz-Gelb hier, Rot-Grün dort - ein jeder brandmarkt das andere Lager als zerstrittenen Haufen, was so falsch auch nicht ist. Im Wahljahr 2013 regiert die Taktik.

Dabei bedarf es unübersehbar der Reformen. Die Ökostrom-Förderung hat beste Dienste geleistet, taugt aber in dieser Form nicht für eine Ära der erneuerbaren Energie: zu teuer. Derweil fließt, wenn das Wetter mitspielt, massenhaft Ökostrom ins Netz und macht Kraftwerke unrentabel - dabei sind diese als Reserve für wind- und sonnenarme Zeiten bitter nötig. Ein Konzept für das Zusammenspiel alter und neuer Energie jedoch ist nirgends in Sicht. Deutschland bräuchte Stromspeicher, eine intelligente Verknüpfung von Angebot und Nachfrage. Nur, es fehlen die Anreize.

Die Folge: ein milliardenschweres Politikversagen

Niemand bestreitet diese Probleme, doch keiner wagt sich heran. Stattdessen kämpft die Bundesregierung für eine Strompreisbremse, die keines der Probleme löst, dafür aber die Wende erschwert. Die Opposition hält mit einer Senkung der Stromsteuer dagegen, die im Zweifel nicht einmal beim Kunden ankommt. Es sind lauter Placebos für politisches Handeln.

So verkommt das Gemeinschaftswerk von einst zum Beleg für das glatte Gegenteil: die Unfähigkeit innerhalb föderaler Strukturen, ein komplexes System umzubauen. Wenn Bayern einen Bauernbonus beim Biogas verteidigt, Baden-Württemberg die Förderung der Windkraft und Nordrhein-Westfalen die Privilegien der Schwerindustrie, dann ist die Folge ein milliardenschweres Politikversagen.

Beim Tête-à-Tête im Kanzleramt wird sich dieser Stillstand kaum beheben lassen. Wohl aber könnte die Runde sich ihrer Ursprünge besinnen. Vor zwei Jahren schufen Experten-Kommissionen die Grundlagen für den Atomausstieg. Auch das jetzige Patt ließe sich so auflösen. Eine Art neuer Ethik-Kommission, diesmal für die Reform des großen Ganzen - es schüfe zumindest eine Basis für die Zeit nach der Wahl.

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