Energieagentur-Chef Tanaka über Japan:"Bitte keine Panik!"

Er ist Japaner, er führt die Internationale Energieagentur - und warnt trotz Fukushima vor raschen Entscheidungen gegen Nuklearenergie. Nobuo Tanaka über die deutsche Entscheidung, seine Situation und die Frage: Kann man Kraftwerke katastrophenfest bauen?

Michael Kläsgen, Paris

Die Internationale Energieagentur (IEA) wurde nach der Ölkrise Anfang der siebziger Jahre von den damaligen Mitgliedsstaaten der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) in Paris gegründet. Sie dient den heute 28 Mitgliedern zur Kooperation in Energiefragen und ist nicht zu verwechseln mit der Internationalen Atomenergie-Behörde (IAEA) in Wien, einem Lobbyisten für zivile Atomenergie. Der Japaner Nobuo Tanaka, 61, ist seit 2007 Chef der IEA.

IEA-Ministerkonferenz in Paris

IEA-Direktor Nobuo Tanaka.

(Foto: dpa)

SZ: Herr Tanaka, zunächst unser Mitgefühl für Ihr Volk. Sind Sie im Familienkreis von der Katastrophe betroffen?

Nobuo Tanaka: Meine Frau und mein Sohn leben in Tokio, beide sind wohlauf. Wissen Sie, Tokio ist vom Unglücksort weit entfernt. Mein Herz und meine Gedanken sind aber natürlich in diesen Stunden bei meiner Familie und meinem Volk.

SZ: Wird die Internationale Energieagentur helfen?

Tanaka: Im Moment braucht Japan unsere Hilfe nicht. Das Land hat Ölreserven für 170 Tage. Das ist eine große Menge. Das Problem ist eher die Logistik. Das Öl muss in das Katastrophengebiet transportiert werden, und alles ist dort verwüstet, die Häuser verschüttet oder völlig zerstört.

SZ: Die Regierung hat beschlossen, einen Teil der für die Industrie vorgesehenen Ölvorräte in die notleidende Region zu liefern.

Tanaka: Ja, das Überleben der Menschen hat oberste Priorität.

SZ: Reicht der Ölnachschub, um die Stromversorgung zu sichern, die durch die Atomkatastrophe zusammengebrochen ist.

Tanaka: Japan wird voraussichtlich zusätzliche fossile Brennstoffe benötigen, sobald sich das Land wieder erholt. Denn nicht nur das Kernkraftwerk in Fukushima ist zerstört, sondern auch Kohle- und Gaskraftwerke. Im Moment fällt das kaum ins Gewicht, weil die Wirtschaft am Boden liegt und viele Firmen stillstehen. Sobald aber der Wiederaufbau beginnt, wird Japan wohl unsere Dienste in Anspruch nehmen. Es wird voraussichtlich länger dauern, die Energieversorgung wieder herzustellen, als die Wirtschaft in Schwung zu bringen. Fossile Brennstoffe werden die Kernenergie zum Teil ersetzen müssen.

SZ: Welche Auswirkungen wird das haben, auf den globalen Energiemarkt und den Ölpreis? Der Energiebedarf von Japan, der drittgrößten Wirtschaftsnation der Welt, ist groß.

Tanaka: Wir haben berechnet, dass zusätzlich umgerechnet 200.000 Barrel Öl täglich notwendig wären, um den Verlust an Kernenergie auszugleichen. Das ist vergleichsweise wenig im Weltmaßstab und wird den Ölpreis kaum beeinflussen. Die Nachfrage von China, Indien und Brasilien spielt da ein größere Rolle. Die entscheidende Frage lautet vielmehr: Was bedeutet es für den Rest der Welt, für die USA, für Europa und China, wenn die drittgrößte Wirtschaftsnation der Erde für eine bestimmte Zeit daniederliegt? Das werden wir abwarten müssen.

SZ: Nach der Katastrophe ist der Ölpreis zunächst gesunken. Wie wird er sich weiterentwickeln?

Tanaka: Langfristig wird die Ölnachfrage steigen und sich das Angebot verknappen. Wir nehmen deswegen an, dass der Preis sich erhöht. 2035 könnte er bei über 200 US-Dollar liegen. Auch weil die Förderkosten steigen werden. Die Zeit des billigen Öls ist jeweils vorbei.

"Die Japaner sind sehr technologieorientierte Menschen"

SZ: Was bedeutet die Tragödie für die Zukunft der Atomenergie?

Tanaka: Wir bitten die Öffentlichkeit um etwas Geduld. Wir verstehen ihre Sorgen und Ängste angesichts des Unfalls in Japan. Aber wir sagen auch: Warten Sie, bis wir die wahren Gründe für das Unglück kennen. Wir müssen erst genau wissen, was passiert ist, um Lehren aus dem Vorfall zu ziehen. Erst dann können wir über die künftige Rolle der Kernenergie entscheiden. Und jedes Land wird das für sich tun müssen.

SZ: Hat Deutschland überhastet reagiert, als es diese Woche entschied, die sieben ältesten Reaktoren vorübergehend abzuschalten?

Tanaka: Ich weiß nicht, was genau hinter dieser Entscheidung steckt. Der Angst-Faktor hat sicher eine Rolle gespielt. Wir sagen aber: Bitte keine Panik. Lasst uns nach den Ursachen schauen.

SZ: Die Katastrophe markiert also keinen Wendepunkt in der Nutzung der Atomenergie?

Tanaka: Die Kernenergie ist und bleibt notwendig, um die Erderwärmung zu stoppen. Ohne sie wird es uns kaum gelingen, dem Klimawandel Einhalt zu gebieten.

SZ: Welche Lehren sind dann aus der Katastrophe in Japan zu ziehen?

Tanaka: Es ist noch zu früh, um das zu sagen.

SZ: Sollte man die Maßstäbe für Reaktorsicherheit neu bewerten?

Tanaka: Es gibt nicht einen Maßstab für alle Kernkraftwerke. Man muss darüber von Fall zu Fall entscheiden, weil die Reaktoren an unterschiedlichen Orten stehen. Wenn sich überhaupt eine Lehre ziehen lässt, dann die, dass jeder Betreiber für die größtmögliche Sicherheit an dem Standort seines Reaktors sorgen muss.

SZ: Kann man Kernkraftwerke auch gegen Erdbeben und Tsunamis sichern?

Tanaka: Die Japaner sind sehr technologieorientierte Menschen. Und ich bin sicher dass sie das schaffen werden. Sie haben in der Vergangenheit harte Prüfungen überstehen müssen und sind aus jeder Krise gestärkt hervorgegangen.

SZ: Werden erneuerbare Energien nach der Katastrophe weiteren Auftrieb erhalten?

Tanaka: Mit oder ohne dieses Ereignis werden erneuerbare Energien wichtiger werden. Sie sind allerdings sehr teuer. Auch Gas wird an Bedeutung gewinnen. In welchem Maße, das ist noch unklar. Nur eines steht fest: Das Zeitalter der günstigen Energie ist vorbei.

SZ: Was machen Sie, wenn die ehemalige niederländische Wirtschaftsministerin Maria van der Hoeven im September ihren Posten bei der IEA übernimmt?

Tanaka: Ich werde Ende August wahrscheinlich nach Japan zurückkehren. Noch weiß ich nicht, welche Funktion ich übernehmen werde. Der Energiesektor ist aber sicher interessant.

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