Energie:Wärme aus der Zeche

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(Foto: Maja Hitij/Getty)

Wie heizt das Revier nach dem Kohleausstieg? In Nordrhein-Westfalen testen RWE und Forscher nun Geothermie - eine Technik, die allerdings auch Risiken birgt.

Von Benedikt Müller, Eschweiler

Das Braunkohlekraftwerk Weisweiler, das ganz markant an der Autobahn 4 von Köln nach Aachen steht, ist nicht nur einer der größten Kohlemeiler Europas. Es versorgt auch viele Tausend Haushalte in und um Aachen mit Fernwärme. Doch der Kohleausstieg ist beschlossen; das Kraftwerk Weisweiler soll um das Jahr 2030 herum vom Stromnetz gehen. Der Betreiber RWE tüftelt nun gemeinsam mit Partnern daran, wie der Standort zumindest als Wärmelieferant fortbestehen könnte - und geht der Sache buchstäblich auf den Grund.

So will das Geothermiezentrum Bochum (GZB) in der Nähe des Meilers mehr als 1000 Meter tief in die Erde bohren. Mit einer sogenannten Erkundungsbohrung wollen die Wissenschaftler herausfinden, ob sich künftig heißes Thermalwasser aus Kalksteinen tief unter der Oberfläche pumpen ließe, um auch nach dem Kohleausstieg Wärme ins Netz einspeisen zu können. Das GZB richtet nun ein entsprechendes Forschungslabor in Weisweiler ein.

Das Experiment soll eine von mehreren, kleinen Antworten sein auf die große Frage, wie es in den Kohlerevieren weitergeht, wenn Deutschland bis 2038 alle Kohlekraftwerke vom Netz nimmt und alle Braunkohletagebaue stilllegt. So hat es die sogenannte Kohlekommission der Bundesregierung kürzlich empfohlen, weil Kohlemeiler viel klimaschädliches CO₂ ausstoßen. "Wir wollen diesen Standort hier als Energiestandort weiterführen", sagt Lars Kulik, der das Ressort Braunkohle bei RWE verantwortet, zum Projektbeginn in Eschweiler bei Aachen. Die Testbohrung steht denn auch auf der langen Liste von Projekten, welche die Kohlekommission für den Strukturwandel in den betroffenen Regionen vorschlägt.

"Tiefen-Geothermie bietet die Chance, Wärme klimaneutral zu erzeugen", sagt der nordrhein-westfälische Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP). Tatsächlich sind klimafreundliche Alternativen zu Öl- und Gasheizungen wichtig für die Energiewende. Denn Gebäude und Wasser zu heizen, steht für etwa die Hälfte des Energiebedarfs in Deutschland. Entsprechend charmant scheint grundsätzlich die Idee, heißes Wasser aus der Tiefe für die Wärmeversorgung zu nutzen - wenngleich die Geothermie auch Risiken birgt.

Sorge vor Erdbeben, dreckiges Grubenwasser: Die Forscher wissen, sie müssen vorsichtig sein

"Es gibt zwei Regionen in Europa, in denen diese Technik gut funktioniert", sagt Martin Salamon vom Geologischen Dienst in Nordrhein-Westfalen: nämlich das Pariser Becken in Frankreich und den Münchner Raum. Dort nutzen die Stadtwerke seit Jahren Thermalwasser aus Kalksteinschichten, die mehr als 2000 Meter unter der Oberfläche liegen, für ihr Wärmenetz. In den nächsten Jahren wollen sie die Technik weiter ausbauen, obwohl einige Anwohner die Bohrungen für kleinere Erdbeben in der Region verantwortlich machen.

Auch in den Kohlerevieren in Nordrhein-Westfalen, Belgien und Großbritannien wittern Wissenschaftler wie Salamon großes Potenzial für Geothermie. Sie wissen von uraltem, verkarstetem Kalkgestein mit hohen Wärmemengen, das unter den Braunkohleflözen und den noch darunter liegenden Steinkohleschichten schlummert. Die Europäische Union fördert die Erkundungen in Nordrhein-Westfalen mit elf Millionen Euro. Für den Standort Weisweiler spricht dabei auch, dass er - wie viele Kohlekraftwerke - ohnehin an das Wärmenetz angeschlossen ist.

Das Ruhrgebiet tüftelt ebenfalls an der Wärmeversorgung für die Zeit nach dem Kohleausstieg. Beispielsweise sollen in Bochum künftig Sonnenkollektoren das Grubenwasser des ehemaligen Steinkohlenbergwerks Markgraf II aufheizen, wenn gerade die Sonne scheint. Von 2022 an soll eine Pumpe dann die gespeicherte Wärme aus der Zeche in das Fernwärmenetz leiten. Denn zu dem Zeitpunkt wird ein Heizwerk von RWE in der Stadt vom Netz gehen. Die Erdwärme soll dann unter anderem die Hochschule Bochum versorgen.

"Wenn die Wärmewende in Deutschland funktionieren soll, dann muss Nordrhein-Westfalen vorangehen", fordert Rolf Bracke, Professor und Direktor des GZB, bei der Veranstaltung in Eschweiler. Schließlich leben nirgendwo anders in Deutschland so viele Energieverbraucher auf engem Raum wie im Ruhrgebiet mit seinen gut fünf Millionen Einwohnern und seiner Industrie.

Freilich wissen die Wärme-Tüftler, dass sie vorsichtig sein müssen. Eine Tiefbohrung, wie sie nun in Weisweiler geplant ist, kann kleine Erdbeben auslösen, etwa wenn die Forscher sogenannte geologische Störungen anbohren sollten. Auch in Südbaden wiesen mehrere Häuser nach Geothermie-Bohrungen Risse auf. In früheren Bergwerken im Ruhrpott wiederum müssen die Projektpartner aufpassen, dass sie das salzhaltige und schmutzige Grubenwasser keinesfalls mit Trinkwasser vermischen. Auch müssten die Forscher sorgfältig untersuchen, was in den Zechenschächten geschieht, wenn das Grubenwasser bald von zehn auf bis zu 70 Grad erhitzt werde, sagt Bracke. Noch sind das alles Experimente im Westen.

Der Geologe hofft, dass bald noch weitere ehemalige Bergwerke Wärme speichern können. "Wir haben ein erhebliches untertägiges Reservoir", sagt Bracke. Wenn es dem Ruhrgebiet gelänge, viele alte Zechen ins Wärmenetz einzubinden, so das GZB, dann könnte es "nachhaltig von seinem Erbe profitieren".

© SZ vom 07.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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