Süddeutsche Zeitung

Energie:Stromflut auf hoher See

Europas Nordländer treiben die Energiewende voran. Doch die Verbraucher bangen - sie fürchten steigende Preise.

Markus Balser

Was Inchincoosh mit Hamburg zu tun hat? Eine ganze Menge, findet Irlands Energieminister Eamon Ryan. Denn an der stürmischen Südwestküste Irlands vor dem kleinen Ort in der Grafschaft Kerry entsteht derzeit einer der größten Windparks des Landes. Die ersten Turbinen sind schon da. Tausende Haushalte sollen die Rotoren bald mit Strom versorgen - wenn viel Wind bläst, könnte aber auch der Rest Europas vom rauen irischen Sturm profitieren, findet Ryan. Bis aufs deutsche Festland soll der Strom bald fließen, wenn das Riesenprojekt Realität wird, das Ryan und acht Ministerkollegen planen: Ein Tausende Kilometer langes Hightech-Stromnetz auf dem Grund der Nordsee. Kosten: Rund 30 Milliarden Euro.

Experten gehen davon aus, dass der Milliardenplan trotz hoher Kosten schon bald realisiert wird. Denn die Zeit drängt. Überall vor Europas Küsten entstehen große Windfarmen. Allein Deutschland will 40 Meereskraftwerke bauen lassen. "Der Anteil der Erneuerbaren Energien wird in den nächsten Jahren deutlich ausgebaut. Das Stromnetz ist dafür noch nicht gerüstet", warnt Claudia Kemfert, Klima- und Energieexpertin und Leiterin der Abteilung Klima und Energie beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin. "Ein Nordsee-Netz ist dringend nötig", sagt Kemfert. Deutsche Windanlagen müssten schon heute zeitweise vom Markt genommen werden, weil das Netz den Strom in Spitzenzeiten nicht aufnehmen könne. Nur ein rascher Netzausbau könne Abhilfe schaffen.

Die Meeresallianz - ein Meilenstein

Die Bundesregierung selbst wertet die Meeresallianz als Meilenstein. "Wir stehen vor wichtigen Aufgaben: Es geht um eine grundlegende Umgestaltung und Modernisierung der Stromnetze, ja der Energiesysteme insgesamt", erklärte Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) nach Bekanntwerden des Milliardenvorhabens. "Wir wollen dazu beitragen, dass uns möglichst schnell der Sprung in das regenerative Zeitalter gelingt". Auf Netzanbindung und Netzintegration komme es an, damit der Windstrom zu den Verbrauchern gelange und Hochsee-Windparks zum Erfolg würden.

Doch die Pläne der Politik dürften nicht nur Freunde finden. Europas Energiebranche stellt der Plan vor große Herausforderungen. Denn für Branchengrößen wie Eon oder RWE könnten ihre teuren fossilen Meiler schneller an Bedeutung verlieren, als ihnen lieb ist. "Die Kohlekraftwerke, die jetzt im Bau sind, werden wir wohl nicht mehr brauchen", sagt Energieökonomin Kemfert. Die Energiewirtschaft beginne mit dem Projekt, sich von Grund auf zu ändern.

Noch sind die großen Energiekonzerne und Netzbetreiber in die politischen Pläne kaum involviert. Doch wenn die Gespräche auf politischer Ebene noch in diesem Monat beginnen, wird es auch darum gehen, wer die hohen Kosten des Supernetzes tragen soll. Verbraucherschützer warnen bereits vor steigenden Strompreisen für Kunden. Kemfert gibt dagegen Entwarnung: "Der Strompreis wird nicht steigen", erwartet die DIW-Forscherin.

Zwar würden sich Versorger und Netzbetreiber Investitionen von Stromkunden zurückholen. Gleichzeitig aber werde der Wettbewerb auf dem Strommarkt in den nächsten Jahren härter. "Das wird Steigerungen auffangen", ist sich Kemfert sicher. Zudem falle bei der Strom-Erzeugung aus Wind kein Kohlendioxid an, und gerade dafür müssen die Versorger immer mehr zahlen. "Strom aus Kohlekraftwerken wird in den nächsten zehn Jahren um mindestens 15 Prozent teurer, weil die Stromkonzerne immer teurere CO2-Zertifikate kaufen müssen."

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SZ vom 07.01.2010/mel
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