Energie:Sie nannten sich Pioniere

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Innogy legt seine wohl letzte Jahresbilanz vor, bevor der Versorger zerschlagen wird. Eon will den Großteil über­nehmen. Doch die EU-Wettbewerbshüter haben Bedenken.

Von Benedikt Müller, Essen

Eine neue Welt sei das gewesen, sagt Uwe Tigges, als sein langjähriger Arbeitgeber RWE das Geschäft mit Strom- und Gaskunden, mit Ökostrom und Netzen in die Tochter Innogy abgespalten und einen Teil an die Börse gebracht hat. "Das war Aufbruchstimmung pur", so der Chef von Innogy. Man sei Pionier gewesen, habe neue Kunden unter der neuen Marke gewonnen, viele Ladesäulen für Elektroautos gebaut, Windparks auf hoher See eröffnet. "Deshalb war schon der Schock für die Mitarbeiter sehr groß", sagt Tigges: als da jemand kam und Innogy übernahm.

Denn wenn alles so kommt wie gedacht, dann hat der 58-jährige Manager am Mittwoch die letzte Jahresbilanz in der kurzen Geschichte von Innogy vorgelegt: Drei Jahre nach dem Börsengang steht das M-Dax-Unternehmen vor der Zerschlagung. Der Konkurrent Eon will das Netz- und Vertriebsgeschäft der bisherigen RWE-Tochter übernehmen. Im Gegenzug sollen die Wind- und Solarparks von Innogy und Eon an RWE gehen. Diesen milliardenschweren Tausch hatten die Konzerne vor gut einem Jahr ausgeknobelt - hinter dem Rücken von Tigges und den etwa 43 000 Beschäftigten von Innogy.

Die Logik der Neuordnung könne man ja nachvollziehen, sagt Tigges. "Aber glauben Sie, dass so rational ein Mitarbeiter in dem Moment denkt?" Viele Führungskräfte wollten doch etwas aufbauen mit ihrer Innogy. Und jetzt sollen sie unter das Dach von Eon schlüpfen? "Das ist ja so, als wenn ich als Mittdreißiger wieder zuhause einziehe", zitiert Tigges eigene Mitarbeiter. Der Bochumer mit der Igelfrisur kann das sagen, er war jahrelang RWE-Betriebsrat und später Arbeitsdirektor von Innogy, bevor er Ende 2017 an die Spitze rückte.

Ein Windpark in der Nordsee: Der RWE-Konzern hat sein Geschäft mit Ökostrom, Vetrieb und Netzen vor drei Jahren in die Tochter Innogy ausgelagert und einen Teil an die Börse gebracht. (Foto: Daniel Reinhardt/dpa)

Möglichst viele Mitarbeiter will Tigges nun beim neuen Netzriesen Eon und dem neuen Kraftwerkskonzern RWE unterbringen. "Dafür kämpfen wir auch in 2019", sagte er. Zwar hat Eon angekündigt, nach der Übernahme bis zu 5000 Stellen zu streichen. Die Arbeitnehmervertreter haben aber ausgehandelt, dass betriebsbedingte Kündigungen "praktisch ausgeschlossen" seien. Auch unter Führungskräften werde man "auf ein sehr ausgewogenes Verhältnis achten", so Tigges. "Wir arbeiten mit einem klaren Kopf daran, das Beste aus unserer Situation zu machen."

Zu dieser Situation gehört, dass Innogy im vergangenen Jahr gut 650 Millionen Euro Verlust eingefahren hat. Denn das Unternehmen musste den Wert seiner britischen Tochter Npower um mehr als 1,5 Milliarden Euro nach unten korrigieren. Der Energiemarkt in Großbritannien ist seit Jahren umkämpft, die Regierung hat obendrein einen Preisdeckel eingeführt. Innogy verkauft auf der Insel Strom und Gas an gut vier Millionen Kunden. Die Essener wollten Npower eigentlich in ein Gemeinschaftsunternehmen mit dem schottischen Versorger SSE einbringen, doch sind die Verhandlungen im Dezember gescheitert. So hinterlässt Innogy dem neuen Großaktionär Eon ein kniffliges Erbe.

Wann sich die größten Energiekonzerne dieses Landes genau neu sortieren werden, hängt nun von den Wettbewerbshütern der EU ab. Zwar haben die Kartellwächter bereits genehmigt, dass RWE die Ökostromkraftwerke von Eon und Innogy übernehmen darf, um zum reinen Stromproduzenten zu werden. Doch hat Brüssel gegen Eons Aufstieg zum Netzkonzern mit etwa 50 Millionen Kunden in Europa Bedenken angemeldet und eine vertiefte Prüfung eingeleitet. Vor allem Konkurrenten warnen, dass die geplante Fusion den Wettbewerb beeinträchtigen könnte, und Kunden höhere Preise drohen würden.

Eon-Chef Johannes Teyssen weist derlei Bedenken zurück - besonders vehement für den hiesigen Energiemarkt. "Die Kunden können in aller Regel unter mehr als 90 Angeboten auswählen, die nicht von Eon oder Innogy kommen." Und die Verteilnetze zu den Häusern seien ohnehin regional umgrenzte und regulierte Märkte. Teyssen hofft, dass er die Übernahme in der zweiten Jahreshälfte vollziehen kann.

Schon heute verdient der Dax-Konzern knapp zwei Drittel seines Geldes mit jenen Verteilnetzen, die zwar keine überbordenden, aber dafür planbare Gewinne abwerfen. Mit der Übernahme von Innogy setzt Eon künftig noch stärker auf dieses Geschäft, das immerhin auch dafür verantwortlich zeichnet, Solarzellen auf Häusern oder Ladestationen für Elektroautos in das Stromnetz zu integrieren. Hier erhoffen sich die Essener stetes Wachstum.

Für das vergangene Jahr meldet Eon einen Gewinn von 1,5 Milliarden Euro. Das sind fünf Prozent weniger als 2017, auch wegen Kundenverlusten in Großbritannien. Für das Geschäft in dem umkämpften Markt hält sich der Konzern ausdrücklich "alle Optionen" offen. Man sei nicht bereit, Verluste über einen längeren Zeitraum hinzunehmen, sagt Teyssen.

Und was wird künftig aus dem Innogy-Vorstand um Uwe Tigges? Etwa aus Finanzchef Bernhard Günther, den unbekannte Täter vor einem Jahr beim Joggen überfielen und mit Säure übergossen? Er trat am Mittwoch erstmals wieder öffentlich auf, mit verdunkelter Brille und einem großen Stirnband. "Es gibt heute noch keinerlei konkrete Personalplanung", sagt Eon-Chef Teyssen und verweist auf seinen Aufsichtsrat. Und Tigges? "Im Rahmen meiner vertraglichen Laufzeit stehe ich für alles zur Verfügung", sagt er zwar. Es habe aber noch keine Gespräche mit dem Eon-Aufsichtsrat gegeben.

© SZ vom 14.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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