Windräder in der Nordsee, Solarzellen auf dem Dach, Wasserkraft im Alpenland: Der Strom in Deutschland stammte im vergangenen Jahr erstmals zu mehr als 40 Prozent aus erneuerbaren Energien. Das berichtet das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE). Demnach wurde bundesweit vier Prozent mehr Ökostrom erzeugt als im Vorjahr. Damit nähert sich die Bundesrepublik ihrem Ziel an, dass der Anteil Erneuerbarer bis zum Jahr 2030 auf 65 Prozent steigen soll, um die Umwelt und das Klima zu schützen. Doch birgt die Energiewende noch einige Probleme. Ein Überblick.
Wo der Strom herkommt
Windräder sind mittlerweile der zweitwichtigste Stromlieferant in Deutschland. Sie erzeugen vor allem an rauen Wintertagen Strom. Im vergangenen Sommer profitierten dagegen Solarzellen vom vielen Sonnenschein. Sie erzeugten 16 Prozent mehr Strom als im Vorjahr, berichtet das ISE, auch dank neuer Fotovoltaikanlagen auf den Dächern. Wasserkraftwerke trugen wegen der Dürre weniger zur Stromerzeugung bei, der einzige stabile erneuerbare Energieträger ist die Biomasse.
Der Ökostromausbau geht zulasten großer und fossiler Kraftwerke. So haben Steinkohlemeiler im vergangenen Jahr sieben Prozent weniger Strom erzeugt als im Vorjahr, Gaskraftwerke gar 18 Prozent weniger. Konstant blieb der Beitrag der Atomkraftwerke und der Braunkohlemeiler; letztere sind noch immer der wichtigste Stromlieferant in Deutschland.
Wie der Mix entsteht
Das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) schreibt vor, dass Ökostrom hierzulande zuerst ins Netz eingespeist wird. Danach richtet sich der Strommix vor allem nach Angebot und Nachfrage an den Strombörsen. Zu besonders günstigen Preisen können die Atomkraft und die heimische Braunkohle mit ihren längst abgeschriebenen Kraftwerken Strom erzeugen. Teurer, aber flexibler liefern Steinkohlemeiler und Gaskraftwerke, die ihre Brennstoffe aus dem Ausland importieren müssen. Sie emittieren pro Kilowattstunde Strom auch weniger CO₂ als Braunkohlemeiler. Viele Kraftwerksbetreiber haben zudem feste Lieferverträge abgeschlossen.
Welche Probleme bleiben
Eine Herausforderung bleiben sogenannte Dunkelflauten, also Zeiten mit wenig Wind und zugleich wenig Sonnenschein. Auch das Gegenteil ist problematisch: Wenn an einem stürmischen Tag auf einen Schlag viel Windstrom ins Netz drängt, können manche Energiekonzerne ihre fossilen Kraftwerke nicht schnell genug herunterfahren. "Braunkohlekraftwerke reagieren bislang zu langsam auf eine hohe Einspeisung erneuerbarer Energien", sagt Fraunhofer-Professor Bruno Burger. In solchen Momenten fällt der Börsenpreis, bei extremen Überschüssen gar unter null. Wer dann überschüssigen Strom abnimmt, bekommt Geld dafür. Der Bundesnetzagentur zufolge war der Preis im vergangenen Jahr 134 Stunden lang negativ.
Insgesamt stellt die Bundesrepublik mehr Strom her, als sie selbst braucht. Im vergangenen Jahr hat sie 45 Milliarden Kilowattstunden mehr exportiert als importiert, berichtet das ISE. Den meisten Strom verkauft Deutschland über die Niederlande nach Belgien und Großbritannien - oder über die Schweiz nach Italien. Nur in sechs Prozent der Zeit hat Deutschland netto Strom importiert. "Deutschland sollte wieder anstreben, dass Stromimporte und Stromexporte im Jahresmittel ausgeglichen sind", fordert Burger. Sonst mache hiesiger Kohlestrom weiter Gas- und Ökostromkraftwerken im Ausland Konkurrenz, die weniger umweltschädlich sind.
Auch wenn hierzulande immer mehr Ökostromkraftwerke entstehen, gehe der Ausbau nicht schnell genug, "um das von der Bundesregierung gesteckte 65-Prozent-Ziel bis 2030 zu erreichen", warnt der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW). Laut ISE hätte es im vergangenen Jahr alleine ein Drittel mehr Solaranlagen in Deutschland gebraucht, damit der Sonnenstrom im Sommer dieselbe Leistung geliefert hätte wie die Windenergie in kälteren Zeiten.
Wie es weitergeht
In den nächsten Jahren sollen weitere Ökostromkraftwerke ans Netz gehen, sowohl an Land als auch auf hoher See. Im Gegenzug werden die letzten Atommeiler hierzulande im Jahr 2022 abgeschaltet. Zudem berät eine Kommission der Bundesregierung darüber, wie schnell Deutschland aus der Kohleverstromung aussteigen kann. Der Bund will in diesem Jahr ein entsprechendes Gesetz auf den Weg bringen.
Dann bleiben freilich erst recht die Schwankungen des Ökostroms. "In der Praxis fehlt es bisher an Speichern, um den volatil eingespeisten Strom aus erneuerbaren Energien bedarfsgerecht nutzen zu können", kritisiert der BDEW. Neben Pumpspeicherkraftwerken kann eine Lösung sein, mit überschüssigem Ökostrom eine Ressource wie Wasserstoff zu erzeugen. Auch Elektroautos können ihre Batterien aufladen, wenn das Angebot gerade hoch ist. Zudem müsse der Ausbau der Stromtrassen "deutlich an Fahrt aufnehmen", mahnt der BDEW, vor allem vom windreichen Norden in den Süden der Republik.
Wo die Zahlen herkommen
Das ISE hat die Netto-Stromerzeugung in Deutschland anhand von Daten der Strombörse, der Netzbetreiber und des Statistischen Bundesamtes berechnet. Die Zahlen berücksichtigen weder den Strom, den die Kraftwerke für ihren eigenen Bedarf brauchen, noch jenen Strom, den die Industrie in eigenen Anlagen erzeugt.