Energie:Ölindustrie wrackt in der Nordsee ab

File photo of a section of the BP Eastern Trough Area Project oil platform in the North Sea, around 100 miles east of Aberdeen

Ölplattform von BP in der Nordsee, 100 Meilen östlich des schottischen Aberdeen: Das Fördergebiet hat seine besten Jahre lange hinter sich.

(Foto: Andy Buchanan/Reuters)
  • Seit 40 Jahren liefert das Ölfeld Brent den Rohstoff. Das Feld gab sowohl der Nordsee-Ölsorte als auch dem Preis dafür seinen Namen.
  • Doch die Quellen werfen immer weniger ab, weswegen sie nun stillgelegt werden.
  • Für die britische Regierung sind das schlechte Nachrichten.

Von Björn Finke, London

Der Katamaran heißt Pioneering Spirit, Pioniergeist, und tatsächlich soll das Schiff mit zwei Rümpfen Pionierleistungen erbringen. Im Sommer wird der Riesenkahn, der so lang wie fünf Jumbo-Jets ist, den rauen Nordatlantik ansteuern und bei einer Ölplattform 190 Kilometer nordöstlich der zu Schottland gehörenden Shetland-Inseln festmachen. Diese 24 000 Tonnen schwere Plattform namens Brent Delta wird das Schiff dann aus der Verankerung heben und komplett zum Festland transportieren, zum Abwracken nach Nord-England.

Seit 40 Jahren liefert das Ölfeld Brent den Rohstoff. Das Feld gab der Nordsee-Ölsorte und dem Preis seinen Namen. Doch die Quellen werfen immer weniger ab, weswegen sie nun stillgelegt werden. Royal Dutch Shell, der Eigner von Brent Delta, wird in den kommenden Wochen bei der britischen Regierung seine Pläne für die Entsorgung der Plattform einreichen.

470 Plattformen, mehr als 10 000 Kilometer an Pipelines: Es gibt viel stillzulegen

Für die Regierung sind das schlechte Nachrichten. Der Staat kassiert dank Sondersteuern kräftig mit an der Öl- und Gasförderung. Und Brent Delta ist nicht die einzige Plattform, die demnächst zu Alteisen wird. Andere Felder in der Nordsee werden in den kommenden Jahrzehnten ebenfalls erschöpft sein. 1975 floss erstmals Nordsee-Öl über eine Pipeline ans Festland; 1999 erreichte die Produktion ihren Höhepunkt. Seitdem geht es in den meisten Jahren - teils kräftig - bergab.

Die Konzerne legen daher immer mehr Felder still. In 40 Jahren werden sämtliche Plattformen und Rohre abgebaut sein, schätzen die Branchenberater von Wood Mackenzie. Die Kosten dafür betragen 59 Milliarden Pfund oder 70 Milliarden Euro, heißt es in einer Untersuchung der Gesellschaft. Eine enorme Summe, aber allein in der britischen Nordsee gibt es 470 Plattformen oder Anlagen auf dem Meeresgrund. Dazu kommen mehr als 10 000 Kilometer an Pipelines. Etwa 5000 Quellen müssen versiegelt werden.

Von den geschätzten 59 Milliarden Pfund haben Konzerne wie Shell bereits sechs Milliarden Pfund investiert. Bis zum Jahr 2021 werden weitere elf Milliarden Pfund fällig sein, rechnen die Berater vor. Das Aufräumen ist allerdings nicht bloß teuer für die Unternehmen, sondern auch für den britischen Schatzkanzler. Denn die Energiekonzerne können sich einen Teil der Ausgaben für die Abwicklung vom Fiskus zurückholen: Sie können diese mit ihrer Steuerlast verrechnen.

Dabei sinkt ihre Steuerlast ohnehin. Mitte 2014 kostete ein Barrel, also 159 Liter, Öl 115 Dollar, doch danach fiel die Notierung rasant. Zuletzt erholte sie sich ein wenig, liegt aber weiter unter 60 Dollar. Die Produktionskosten in der Nordsee sind die höchsten der Welt, weswegen der Absturz des Preises diese Region besonders belastet. Die Kombination von niedrigen Preisen und den Ausgaben fürs Abwracken führte schon im Jahr 2015 zu einer traurigen Premiere: Erstmals nahm der Staat kein Geld mit den Sondersteuern für die Öl- und Gasförderung ein, sondern musste im Gegenteil den Unternehmen in Summe 24 Millionen Pfund erstatten - für deren Stilllegungskosten.

Die Berater von Wood Mackenzie schätzen, dass der britische Fiskus in den kommenden Jahrzehnten ebenfalls im Durchschnitt draufzahlen wird beim Nordsee-Öl. Schließlich fällt der Großteil der Ausgaben für die Verschrottung erst noch an.

Die schottischen Nationalisten können nicht länger mit den Segnungen des Öls werben

Das ist misslich für London, aber auch für die Regionalregierung in Edinburgh. Deren Chefin Nicola Sturgeon von der Partei der schottischen Nationalisten SNP erwägt ein neues Referendum über Schottlands Unabhängigkeit. Denn die große Mehrheit der Schotten stimmte für den Verbleib in der EU, doch als Teil des Königreichs muss Schottland 2019 die Europäische Union verlassen. Vor dem Unabhängigkeitsreferendum 2014 versprach die SNP, dass Schottland dank der Einnahmen aus dem Nordsee-Öl als eigenständiger Staat prosperieren könne. Die Abstimmung ging trotzdem verloren. Und das Argument mit dem Ölsegen kann Sturgeon heute kaum mehr glaubhaft verwenden.

Die Öl- und Gaskonzerne reagierten auf den Preisverfall, indem sie Kosten senkten, Stellen strichen und viel weniger in neue Quellen investierten. 2014 beschäftigten Nordsee-Förderer 41 700 Menschen im Königreich, im vergangenen Jahr waren es fast 8000 weniger.

Fachkräfte, Zulieferer und Dienstleister werden sich umstellen müssen: Wer bisher dabei half, Quellen zu erschließen, wird in Zukunft sein Geld mit Stilllegen und Abwracken verdienen.

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