München (dpa) - Ungeachtet der Verstimmungen zwischen Deutschland und Russland nach der Vergiftung des Kremlkritikers Alexej Nawalny ist CSU-Chef Markus Söder gegen einen vorschnellen Baustopp für die Erdgasleitung Nord Stream 2. "Ich würde jetzt nicht Hals über Kopf entscheiden", sagte Söder der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" (Samstag). Antworten Russlands im Fall Nawalny stünden noch aus. "Und es braucht am besten eine gemeinsame europäische Reaktion."
"Wir müssen alles im Blick haben und dabei stets überprüfen, wie die Balance zwischen Werten und Interessen für Deutschland gelingt", sagte der bayerische Ministerpräsident. "Natürlich ist das ein schlimmer Vorfall, der leider kein Einzelfall ist." Es brauche daher "substanzielle Antworten" aus Moskau. "Dann sollten wir uns genau überlegen, wie unsere und die europäische Reaktion ausfällt."
Weder Drohen noch Schönreden hätten in der Russland-Politik bisher viel verändert. "Natürlich kann man Nord Stream 2 aussetzen, aber wenn man wirklich etwas bewegen will, müsste man dann nicht auch ehrlicherweise alle Gasverträge mit Russland kündigen?", sagte Söder, verwies aber auf mögliche Folgen für die Energieversorgung und die Energiepreise. "Ich habe Verständnis für diejenigen, die das Vorhaben abbrechen wollen. Es war von Anfang an ein umstrittenes Projekt. Aber wir müssen wissen, welche Folgen das hätte." All dies gelte es klug abzuwägen - wie Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) dies mache.
"Tatsächlich darf es nicht um Entweder-oder gehen, nicht um Werte oder Interessen, Geld oder Moral", sagte Söder. Wichtig sei die Balance. "Natürlich können wir uns entscheiden, Nord Stream 2 nicht zu bauen, Nord Stream 1 zu kappen und auf Gas aus Russland zu verzichten. Das hätte tatsächlich eine Wirkung", sagte Söder. "Aber wollen wir das? Das jedenfalls sollten wir uns sehr genau überlegen." Es sei nicht unmoralisch, auch an Arbeitsplätze und soziale Existenzen im eigenen Land zu denken, betonte der bayerische Ministerpräsident. "Deshalb: Klare Haltung unbedingt, aber man muss sie dann auch länger durchhalten als die Schlagzeile eines Tages."
Nawalny war auf einem Flug in Russland zusammengebrochen und in eine Klinik in Sibirien gebracht worden. Später wurde er auf Drängen seiner Familie in die Charité verlegt. Die Bundesregierung teilte nach Untersuchungen in einem Spezial-Labor der Bundeswehr mit, sie sehe es als zweifelsfrei erwiesen an, dass Nawalny mit dem Kampfstoff Nowitschok vergiftet worden sei. Der 44-Jährige gilt als einer der schärfsten Kritiker von Kremlchef Wladimir Putin. International ist deshalb der Druck auf Moskau groß, in dem Fall selbst zu ermitteln.