Energiekrise:Wie Deutschland durch den Winter kommen könnte

Jochen Homann, ehemaliger Präsident der Bundesnetzagentur

Jochen Homann war bis kurz nach Beginn des Krieges in der Ukraine Präsident der Bundesnetzagentur.

(Foto: Boris Roessler/dpa)

Das Gas in den Speichern reiche gerade einmal für drei Monate, mahnt der ehemalige Präsident der Bundesnetzagentur. Er hat einige Vorschläge, was zu tun ist.

Von Marie Vandenhirtz

Deutschland steht vor einem harten Winter, da sind sich die Energieexperten einigt. Noch viel härter wird es aber 2023 und 2024, sagt Jochen Homann bei den Munich Economic Debates von Ifo-Institut und Süddeutscher Zeitung: "Mindestens die nächsten zwei Winter müssen wir in den Krisenmodus schalten." Bis Ende Februar 2022 war Homann Präsident der Bundesnetzagentur. Er hörte also auf, kurz nachdem Russland die Ukraine überfallen hatte. Auf dem Podium warnt er nun, dass die Krise nicht so schnell überwunden sein wird. Die Gasspeicher reichen allein für diesen Winter nicht aus, sagt er, auch wenn sie sich aktuell schnell füllen. 90 Prozent sind schon erreicht, das Ziel sind 95 Prozent. Doch auch mit komplett gefüllten Gasspeichern komme Deutschland maximal drei Monate durch einen durchschnittlichen Winter - und deutsche Winter sind lang.

Wenn aber nicht genug Gas zur Verfügung steht, muss die Lieferung möglicherweise gedrosselt werden. "Die Bundesnetzagentur hat null Interesse daran, Gas abzuschalten", betont Homann. Trotzdem könnte das passieren. Das Problem: Deutschland habe kein Konzept. Dazu kommen Fehler aus der Vergangenheit: Man hatte aus finanziellen Gründen verweigert, eine nationale Gasreserve anzulegen. Doch Bezahlbarkeit und Klimaschutz seien eben nicht so ohne Weiteres mit der Versorgungssicherheit unter einen Hut zu bringen.

Homann lässt auch Hoffnung durchklingen, bei allem Pessimismus. Es sei zwar schwierig, aber durchaus möglich, durch die kommenden Winter zu kommen. Um die Energiekrise abzumildern, sieht er vier Ansätze: Gas einsparen, weniger Gas in Nachbarländer leiten, alternative Angebote schaffen und Bürgerinnen und Bürger sowie die Industrie entlasten.

Um ausreichend Gas zu sparen, müsste Deutschland den Verbrauch um mindestens 20 Prozent reduzieren. Die Industrie habe das schon erreicht, sagt Homann. Allerdings mussten viele dafür ihren Betrieb herunterfahren, andere waren gezwungen, ihn komplett einzustellen. Bei den privaten Haushalten ist das genaue Gegenteil zu sehen: Der Gasverbrauch hat sich erhöht. Das liege daran, dass Verbraucherinnen und Verbraucher nur wenige Sparanreize haben. Der Preisschock kommt ja erst noch in den nächsten Jahren.

Deutschland müsse außerdem weniger Gas exportieren, sagt Homann. Stattdessen solle man sich auf Tauschvereinbarungen konzentrieren. Etwa mit Frankreich: Hier fehlt es an Strom, in Deutschland an Gas. Die beiden Länder könnten sich gegenseitig versorgen.

Zusätzlich müsse das Land stärker auf Alternativen zum Gas setzen. Dafür gibt es aus seiner Sicht mehrere Möglichkeiten: Kohlekraft- und Kernkraftwerke wieder ans Netz bringen, Hürden abbauen, die der Energiewende im Weg stehen, etwa die Produktion von Biogas stärken - und mehr Gas importieren. So einfach, wie das klingt, ist das alles natürlich nicht. Zum Beispiel beim Wiedereinstieg in die Atomkraft gibt es große Sicherheitsbedenken.

Bürger und Industrie müssten stärker entlastet werden

All das sind auch eher langfristige Maßnahmen. Deswegen müssen Bürger und Industrie aus Sicht von Homann jetzt von der Bundesregierung unterstützt werden. Die Gasumlage - die derzeit ja ohnehin auf der Kippe steht - hält Homann zum Beispiel für falsch. Stattdessen sollte die Bundesregierung die Schuldenbremse aussetzen, findet er. Denn: "Gibt es eine größere Notsituation als den Krieg?"

Erst wenn all das nicht ausreicht, stelle sich die Frage nach Abschaltungen, sagt Homann. Der pensionierte Bundenetzagentur-Präsident berichtet, dass sich dort bereits erste Unternehmen in Stellung bringen, um ihre Systemrelevanz zu beteuern. Nervosität, die nicht ganz unberechtigt ist. Bei der Versorgung werden nämlich zunächst private Haushalte und beispielsweise Krankenhäuser bevorzugt. Im Umkehrschluss heißt das, dass andere durchaus zu kurz kommen könnten.

Aller Kritik zum Trotz beteuert Homann zum Schluss der Veranstaltung: Der Bundesregierung gelte der größte Respekt, dass Maßnahmen so schnell umgesetzt werden. Homann weiß aus eigener Erfahrung, dass es in der Politik nicht immer so schnell geht, wie man es sich selbst wünschen würde.

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