Süddeutsche Zeitung

Energie:Deutschlands große Stromrivalen erfinden sich neu

RWE und Eon verabschieden sich vom klassischen Geschäft der Stromversorger. Verbraucher können das Schauspiel ganz entspannt verfolgen.

Kommentar von Michael Bauchmüller

Es ist noch gar nicht lange her, da ballte sich das ganze Selbstverständnis deutscher Energiefirmen in einem Wort: "Versorger". Dieser Versorger erzeugte nicht nur Strom, er brachte ihn auch direkt zum buchstäblichen Verbraucher. Der Versorger war der Garant für sicheren Strom, er kaufte sich dafür wahlweise in russische Gasfelder ein oder buddelte tiefe Löcher in die Landschaft, wegen der Braunkohle. In dieser Hinsicht war die Energiewelt einmalig, eben "voll integriert": Gerade so, als würden Autokonzerne selbst Straßen bauen, oder die Telekom Handys produzieren. Diese Zeit ist nun vorbei. Gut so.

Darin liegt das eigentlich revolutionäre des Deals, den RWE und Eon besiegelt haben. Zwei Unternehmen, die jeweils alles gemacht haben, die zwar für verschiedene Philosophien, aber das gleiche Geschäftsmodell standen, tauschen ihre Sparten so, dass sich jeder auf seins konzentrieren kann. Wenn die Kartellbehörden mitspielen, wird das ein ziemlich smarter Deal.

Das Verteilnetz muss intelligent werden. Gelingt das, winkt ein Milliardenmarkt

RWE wird damit zum puren Stromerzeuger, Eon zum Experten für Verteilnetze und neue Energieprodukte. Ein Prozess, der vor zwei, drei Jahren mit der Aufspaltung beider Konzerne begann, kommt damit an sein Ende. Seinerzeit gliederte RWE sein Ökostrom- und Netzgeschäft in die neu geschaffene Innogy aus, während Eon seine Kraftwerke in die neue Firma Uniper abstieß. Wie Innogy stand auch Eon fortan für Regionalnetze, Ökostrom und das intelligente Drumherum. RWE dagegen ähnelte der Eon-Abspaltung Uniper, die wiederum inzwischen zu großen Teilen an die finnische Fortum gegangen ist. Nun vollenden die beiden größten Stromkonzerne des Landes ihr Abspaltungswerk.

Das Ergebnis mag bitter sein für die junge Innogy, die nun komplett vom Markt verschwinden wird. Auch die bis zu 5000 Arbeitsplätze, die durch die Übernahme wegfallen könnten, beunruhigen Mitarbeiter und Gewerkschaften. Ansonsten gibt es vor allem Gewinner. RWE etwa verschafft sich durch das Geschäft eine starke Ökostrom-Säule; immerhin gilt Eon als einer der größten Betreiber von Offshore-Windparks weltweit, hat an Land und zur See schon mehr als 2500 Windturbinen in Betrieb genommen. Diese Windparks können helfen, RWE dauerhaft zu stabilisieren. Schließlich dauert es keine fünf Jahre mehr, bis hierzulande das letzte Atomkraftwerk den Dienst einstellt. Und die Debatte um Klimaschutz und Kohleausstieg wird RWE verfolgen wie ein Schatten. Neue Kohlekraftwerke werden ohnehin in Deutschland nicht mehr gebaut werden.

Eon wiederum kann sich voll und ganz dem Geschäft mit der Zukunft zuwenden, genauer: der Verknüpfung von Daten- und Stromnetzen. Wie groß die Potenziale hier sind, lässt sich noch gar nicht ermessen - sie reichen von Autos, die Strom tanken über Häuser, die ihren Energiebedarf mit Solarzellen und Wärmepumpen stillen - bis hin zu Batteriespeichern (auch die der E-Autos), die als Puffer für flatterhaften Wind- und Sonnenstrom dienen. Dreh- und Angelpunkt dafür ist immer das Stromnetz, insbesondere jenes regionale Verteilnetz, auf das sich Eon nun spezialisiert. Dieses Verteilnetz muss intelligent werden, muss Daten etwa über Angebot und Nachfrage verknüpfen können. Gelingt das, winkt ein Milliardenmarkt.

Wie schnell der sich erschließen lässt, und wer das Rennen macht, das weiß allerdings keiner. Insofern trägt Eon zunächst den riskanteren Teil des Deals. Denn noch ist nicht ausgemacht, dass Größe in diesem Geschäft ein Vorteil ist. Längst haben auch Stadtwerke und Start-ups die Chancen erkannt, sie bieten smarte Energieversorgung für das Eigenheim oder Stromhandel via Blockchain. Mehr noch: In der digitalen Welt, die so von Schnelligkeit lebt, ist Eon nun erst einmal mit der Integration von Innogy befasst. Gelingt es Eon dagegen, sich als Marke für Intelligenz im Stromnetz zu etablieren, dann hat der Konzern auch der europäischen Konkurrenz einiges voraus. Zumindest jener, die wie Eon aus der alten Energiewelt kommt: Kein anderer der europäischen Energieriesen hat sich als so agil erwiesen wie Eon.

Verbraucher können das Schauspiel ganz entspannt verfolgen. Hier entstehen keine neuen Kolosse, die ihre Marktmacht zulasten der Kunden ausspielen. Die Entgelte im Stromnetz sind staatlich reguliert, die Kraftwerke stehen - nicht zuletzt durch die Energiewende - in wachsendem Wettbewerb. Spektakulär wird es auf jeden Fall: Die beiden Versorger von einst, als größte Rivalen, erfinden sich neu. Und zwar jeder auf seine Weise.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3902304
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 13.03.2018/hgn
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.