Energie der Zukunft:Dem Meer Flügel verleihen

Die deutsche See galt ihrer Tiefe wegen lange als schweres Terrain für die Windkraft - jetzt ist ein erster Durchbruch geschafft. Mit Alpha Ventus, dem ersten deutschen Windpark auf hoher See.

Michael Bauchmüller, Emden

Eigentlich hätten sie an diesem Nachmittag den Rotor noch heben wollen. Sie hätten dieses Riesenteil von 126 Metern Durchmesser erst aufrecht hingestellt, dann an dem fast 100 Meter hohen Turm hochgezogen. Die Turbine, die bei Windrädern Gondel heißt, hatten sie schon am Vormittag auf den Mast bugsiert. Jetzt verhindern 1,50 Meter hohe Wellen die Vollendung des vierten Windrades. Aber auf ein paar Stunden kommt es nun auch nicht mehr an. Denn Teil eins des Experiments ist gelungen.

Alpha Ventus, ddp

Die neue Hubinsel JB 114 mit Türmen und einem Rotorstern im Wasser der Nordsee, etwa 50 Kilometer nördlich der Insel Borkum. Hier entsteht Alpa Ventus, der erste deutsche Windpark auf hoher See.

(Foto: Foto: ddp)

Es ist Alpha Ventus, der erste deutsche Windpark auf hoher See. Mitten im Meer, knapp 50 Kilometer nördlich von Borkum, liegen hier Schiffe und große Plattformen mit Kränen vor Anker, die ersten Windräder stehen schon, für andere soll es bald ein Fundament geben. Zwischen zwei Schifffahrtsstraßen entsteht hier der weltweit erste Offshore-Windpark in tiefer See. Auch ein Umspannwerk ist schon da, auf Stelzen im Meer, errichtet in weniger als einem Jahr. Der gelbe Lack glänzt, als wäre der Lackierer gerade erst von Bord gegangen.

Zuletzt ging alles ganz schnell

Lange war nicht klar, ob die Pionieranlage jemals eine werden würde. Planungen gab es vor Jahren schon, doch sie schliefen wieder ein. Erst vor zwei Jahren hatten die Energiekonzerne Eon, Vattenfall und EWE sie wieder aufgenommen. Und seit dem Frühjahr geht alles ganz schnell. "Verglichen mit der Entwicklung an Land ist das hier eine ganz andere Geschwindigkeit", sagt Thomas Neuber, Vorstand beim Oldenburger Energiekonzern EWE. Dort habe man Jahre gebraucht, um mit der Windkraft weiterzukommen. "Hier kommen wir in Riesenschritten voran."

Das ganze Projekt hätte auch noch scheitern können, der Fundamente wegen. Die werden 30 Meter in den Meeresgrund gerammt, mal stehen die Masten der Windräder auf drei Beinen wie ein Schemel, mal auf vieren wie ein Tisch. Nur lässt sich in stürmischer See kaum ein Fundament ordentlich anlegen. Es ist paradox: Zur Errichtung eines Windparks brauchen die Ingenieure Flaute - zumindest mit den herkömmlichen Schiffen. Ein ganzes Jahr ging allein dadurch verloren. Dann wurde das Meer ruhig, ruhig genug. Keine zwei Wochen ist es her, da drehten sich erstmals die Räder von Alpha Ventus. Ganz kurz durften die ersten drei der zwölf geplanten Windräder schon einmal ans Netz gehen. Es funktionierte. Jetzt durchlaufen sie den Probebetrieb, werden für alle möglichen Situationen getestet. Erst ganz langsam werden sie die volle Stromleistung erbringen. Bläst der Wind stark genug, aber nicht zu stark, erzeugt jedes Windrad fünf Megawatt Strom. Mal zwölf bringt das 60 Megawatt, genug für an die 50000 Haushalte. Die Emder ließen sich mit dem Strom locker versorgen, sofern der Wind weht.

Viele hatten die Windparks in der deutschen See schon abgeschrieben. Es gibt genügend europäische Länder, in denen das Küstenmeer weit weniger tief ist, die Förderung aber ähnlich hoch. In denen der direkte Küstenstreifen nicht Wattenmeer heißt und unter Naturschutz steht. Während deutsche Projekte verschoben wurden, flossen die großen Investitionen nach Großbritannien, Dänemark, Schweden oder in die Niederlande. Nur sind auch dort schon die seichteren Gewässer bebaut. "Die nächste Stufe des Ausbaus ist auch anderswo das tiefe Wasser", sagt Sven Utermöhlen, Geschäftsführer bei der Eon-Tochter Climate & Renewables. Und eines habe man anderen dann voraus: "Wir wissen, wie man es nicht macht." Gewinne erwartet aus dem Testfeld keiner, allenfalls Gewinn an Erfahrungen. 250 Millionen Euro verschlingt das Projekt, 50 Millionen gibt das Bundesumweltministerium dazu. "Das ist der Eisbrecher für die Windkraft zur See", schwärmt Udo Paschedag, Windkraftexperte im Umweltministerium.

80 mal mal fünf Megawatt

Ob das Eis gebrochen ist, wird sich in ein paar Wochen zeigen. Dann legt die Emder Firma Bard los, eine Art Experiment im Großformat. Nicht zwölf Windräder soll Windpark "Bard 1" bekommen, sondern 80. Achtzig mal fünf Megawatt, so viel wie ein Kraftwerksblock. Genug für eine Stadt wie Emden, wenn der Wind weht. Geplant hatten solche Projekte in der deutschen Nordsee schon viele, doch gewagt hat sie bisher noch keiner. 17 große Windparks sind mittlerweile genehmigt. Aber fast überall wurden die Projekte verschoben. Denn Spezialschiffe für den Aufbau der Windräder gibt es wenige. Windparks sind teuer, doch die Banken sind mit Geld zurückhaltend wie lange nicht. Der Strom muss vom Meer ans Land, doch Leitungen gibt es kaum, und ihr Bau zieht sich hin.

Nah am Ziel

Manche haben schon den Glauben verloren, Oliver Becker nicht. "Die beste Strategie gegen Klagen ist Arbeiten", sagt Becker, IT-Chef von Bard und Spross der Gründerfamilie. Zu weit sind sie jetzt gekommen, zu nah am Ziel. Arbeiten, das tun Beckers Kollegen zweifellos, im Hintergrund. Sie schrauben Turbinen zusammen von der Größe eines Zweifamilienhauses, sie bauen Flügel so lang wie ein Bahnsteig, sie legen Fundamente. Im Meer üben sie derweil mit der Wind Lift 1, ihrem Montageschiff. Eigens gebaut von einer Werft im litauischen Klaipeda, kann die Wind Lift ihre Stelzen 70 Meter tief senken. Während selbst die gewaltigen Bauschiffe bei Alpha Ventus bei starkem Seegang zu tanzen beginnen wie Schaum auf dem Meer, hebt sich die Bard-Plattform bis zu zehn Meter über den Meeresspiegel. Schon im Oktober sollen die Arbeiten beginnen, zwei Jahre später soll der erste große deutsche Offshore-Windpark stehen.

Kleckern wollen die Leute bei Bard ganz gewiss nicht. Auf ihrem Firmengelände am Rande Emdens haben sie vor ein paar Tagen eine millionenschwere Leitzentrale eingeweiht. Auf einem fünf Meter breiten Bildschirm ziehen sich wie Fäden die Leitungen zwischen den Windrädern und von der See zum Festland. Der Raum, nüchtern wie ein Wartezimmer, soll das Hirn des Windparks werden. "Wir steuern von hier aus die komplette Errichtungslogistik", sagt IT-Chef Becker. Wie es mit der Offshore-Technologie so ist, wird derzeit nur getestet: Gerade üben die Ingenieure an einem Windrad an Land, wie sich aus der Ferne ein Windrad steuern und überwachen lässt. Stehen die 80 Räder erst einmal im Meer, wird die Fernsteuerung funktionieren müssen. Sind die Testdaten gewonnen, sprechen die Ingenieure in der Leitwarte mit den Monteuren, die zu den Windrädern ausrücken, Tag und Nacht, bei Wind und Wetter. Eine eigene Versorgungsplattform will Bard bauen, auf der die Monteure auch übernachten sollen.

Immer diese Probleme...

Probleme allerdings gibt es noch reichlich - zum Beispiel in deutschen Amtsstuben. Dort, bei der Bundesnetzagentur, müssen die Investitionen in die teuren Seekabel erst abgenickt werden. Bislang aber machen die Beamten der Netzagentur dafür eine solide Finanzierung des Windparks zur Voraussetzung - und schaffen so eine Art Henne-Ei-Problem. Denn die Banken wollen häufig Windparks nur dann finanzieren, wenn auch die Anbindung an das Stromnetz steht. Die aber steht erst, wenn die Finanzierung gesichert ist.

IT-Mann Becker bleibt unbeirrt. Zu oft schon hätten Leute den Kopf geschüttelt über die Ideen der Gründerfamilie Becker, zu vieles sei mittlerweile erreicht. Der Bau einer 200 Kilometer langen Gleichstromleitung ist im Gange. Die eigene Leitwarte hat Becker schon auf Ausbau vorbereitet, links und rechts lässt sich das Display vergrößern, an den Schreibtischen ist noch viel Platz. Insgesamt fünf Windparks von der Größe des Bard'schen ließen sich hier noch anschließen, mithin insgesamt zwei Gigawatt, die Kapazität zweier Atomkraftwerke. "Die Grenzen sind noch lang nicht ausgeschöpft" sagt Becker. "Wir machen gerade den Anfang. Mehr nicht."

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