Energie aus der Luft:Rückenwind für Ökostrom

Nach Jahren des Stillstands erlebt die Windkraft in Deutschland einen Boom. Alleine die im vergangenen Jahr in Betrieb genommenen Anlagen liefern so viel Strom wie zwei Atomkraftwerke.

Markus Balser

Den zweiten Weihnachtsfeiertag werden die deutschen Windparkbetreiber so schnell nicht vergessen. Am 26. Dezember schickte ein Sturmtief ihnen so viel Wind, dass fast alle deutschen Anlagen rund um die Uhr liefen. An Land und auf hoher See produzierten riesige Rotoren so viel Strom, dass es dem deutschen Netz zu viel wurde - mehr als alle Haushalte und Unternehmen zusammen verbrauchen konnten.

Windkraft, Foto: ddp

Dänischer Windpark Middelgrunden: In Deutschland werden wieder mehr Windkraftanlagen gebaut.

(Foto: Foto: ddp)

Der Spitzentag der Branche steht für ein neues Phänomen. Weil vor allem an Nord- und Ostsee zunehmend stählerne Kolosse in den Himmel wachsen, stehen Windkraft und fossile Großkraftwerke in Konkurrenz. Denn die jüngste Branchenbilanz belegt: Kein anderer Energieträger gewinnt in Deutschland so schnell an Bedeutung.

Nur die USA haben mehr Kraftwerke

Der Ausbau der deutschen Windenergie erreicht einen neuen Rekordstand. Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung gingen nach zwei Jahren der Stagnation 2009 wieder deutlich mehr Windanlagen ans Netz. Einer Erhebung des Deutschen Windenergie-Instituts (DEWI) zufolge, die der Süddeutschen Zeitung vorliegt, ist der wichtigste Ökostromzweig deutlich schneller gewachsen als erwartet. Im vergangenen Jahr gingen fast 950 neue Windenergieanlagen mit einer Gesamtleistung von 1917 Megawatt Strom ans Netz - ein Zuwachs von 15 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Das entspricht der Leistungskraft von zwei Atomkraftwerken.

Deutschland kommt damit auf 21.200 Anlagen mit einer Gesamtleistung von 25.800 Megawatt. Nur die USA verfügen weltweit über einen größeren Kraftwerkspark. Das Plus kommt überraschend. Anfang des Jahres hatte die Branche infolge der schwersten Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten und Finanzierungsproblemen noch mit einem Rückschlag beim Ausbau der gerechnet.

Trotz ihres Widerstands gegen ein globales Klimaschutzabkommen auf der Konferenz von Kopenhagen im Dezember bauen derzeit auch die USA und China ihre Ökostromkapazitäten rapide aus. Die Vereinigten Staaten waren der Studie zufolge 2009 der weltweit größte Produzent von Windenergie (35.000 Megawatt), noch vor Deutschland und China. Schon in wenigen Jahren werde China die USA jedoch ablösen, verlautet in der Branche. Allein im vergangenen Jahr verdoppelte sich die Kapazität der Anlagen auf etwa 24.000 Megawatt.

Mängel in der Infrastruktur

Die deutsche Windkraftbranche kündigte am Dienstag an, der Ausbau Erneuerbarer Energien könne deutlich schneller voranschreiten, als von der Bundesregierung geplant. Der Präsident des Bundesverbandes Windenergie, Hermann Albers, rechnet damit, dass Deutschland der Anteil des Ökostroms schon in zehn Jahren die Marke von 50 Prozent erreicht. Das ist mehr als dreimal so viel wie heute. Der Anteil der Windkraft an der Stromerzeugung liegt bei sieben Prozent. Die Bundesregierung will ihn bis 2020 auf 14 Prozent verdoppeln.

Allerdings müssten dafür die Kapazitäten der deutschen Stromnetze ausgebaut und das Projekt Seatec - ein internationales Stromnetz unter der Nordsee - realisiert werden. Es gebe derzeit nicht genug Möglichkeiten, den Strom von den Erzeugungsregionen im Norden Deutschlands zu Millionen Verbrauchern in den Ballungszentren zu liefern. Wegen gravierender Mängel in der Infrastruktur könnte "die Branche der erneuerbaren Energien ihr Klimaschutzpotential nicht ausschöpfen", sagte Albers der SZ. Windparks würden in Spitzenzeiten abgeschaltet, um fossile Kraftwerke im Dauerbetrieb zu lassen. "Mögliche CO2-Einsparungen werden so verschenkt. Das ist fatal", sagte Albers.

In der Debatte um die Zukunft der Atomkraft in Deutschland warnt die Windenergiebranche vor den Folgen einer Laufzeitverlängerung für Kernkraftwerke. Diese zementiere die überholten Strukturen auf dem Energiemarkt. "Wir brauchen keine Brücke mehr, wir haben sie schon überschritten", sagte Albers.

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