Energie - Aurich:1000 Meter zwischen Windrad und Haus: Ärger um den Abstand

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Berlin (dpa) - Schafft die Regelung Frieden zwischen Windpark-Planern und Anwohnern - oder ist sie ein grobes Foul an der Energiewende? Ein Gesetzentwurf zum Kohleausstieg und zum Ausbau von Solar- und Windstrom stößt auf heftige Kritik bei Klimaschützern und in der Ökostrom-Branche. Der Entwurf sieht vor, dass künftig zwischen neuen Windrädern und Wohnsiedlungen 1000 Meter Abstand sein müssen, wenn Land oder Kommune nicht ausdrücklich anders entscheiden. Das soll schon dann gelten, wenn mehr als fünf Wohngebäude zusammenstehen - und auch für Häuser, die erst noch gebaut werden können.

Der Entwurf von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) soll schon kommenden Montag vom Bundeskabinett verabschiedet werden. Für die Abstandsregelung, die den Widerstand bei Anwohnern gegen Windkraft verringern soll, ist aber das Bauministerium von Horst Seehofer (CSU) federführend - ein Sprecher wollte sich inhaltlich nicht äußern und verwies auf die laufende Abstimmung.

In der Koalition dürfte es noch Streit geben: Aus dem Bundesumweltministerium hieß es am Dienstag, die aktuelle Fassung sei noch nicht abgestimmt. "Es gibt viele Punkte in dem Gesetzentwurf, über die noch intensiv gesprochen werden muss", sagte ein Sprecher von Umweltministerin Svenja Schulze (SPD).

In dem Gesetz geht es vor allem um den Kohleausstieg, und zwar hauptsächlich um die Steinkohle. Mit den Braunkohle-Unternehmen verhandelt der Bund derzeit noch über Entschädigungen. Die Betreiber von Steinkohle-Kraftwerken können sich in den kommenden Jahren auf Stilllege-Prämien bewerben und auf Förderung, wenn sie von Kohle auf Gas umsteigen, ab 2027 könnte es auch Vorgaben zur Stilllegung geben. Spätestens 2038 soll Schluss sein mit der Stromgewinnung aus Kohle.

Der Abstand zwischen Windrädern und Wohnhäusern war nicht Teil des Kohle-Kompromisses, sondern gehört zum Klimapaket der großen Koalition. "Diese Regelung soll die Akzeptanz erhöhen und wird ausgewogen ausgestaltet, indem es sich um eine Abweichungsklausel handelt", sagte eine Sprecherin Altmaiers. Das heißt: Länder und Kommunen können von dieser Regelung abweichen, wenn sie das möchten. Trotzdem fürchten viele Rechtsunsicherheit und politischen Streit.

Das Argument hinter der Regelung: Gegen viele Windkraft-Projekte klagen Anwohner und Verbände. Sie fürchten Lärm, Schatten, Wertminderung ihrer Grundstücke - da soll der Abstand helfen. Der Widerstand vor Ort ist einer der Gründe dafür, dass der Ausbau der Windkraft ins Stocken gekommen ist. Erst vergangene Woche hatte der Anlagenbauer Enercon angekündigt, nach Absatzeinbrüchen bis zu 3000 Stellen abzubauen. Die Branche fürchtet, dass durch die Abstandsregelung noch weniger Flächen für Windparks zur Verfügung stehen und bereits seit Jahren laufende Planungen zunichte werden.

Dem Umweltbundesamt zufolge würde eine Anwendung des Mindestabstandes von 1000 Metern auf die Fläche, auf der jetzt Windräder gebaut werden dürfen, um 20 bis 50 Prozent verkleinern. "Ein Zubau an Windenergiekapazität gegenüber dem Status quo ist auf der verbleibenden Fläche faktisch nicht möglich", heißt es dort. Damit wäre das Ziel, den Ökostrom-Anteil bis 2030 trotz Atom- und Kohleausstiegs auf 65 Prozent zu steigern, wohl nicht zu schaffen. Es soll mit dem Entwurf Altmaiers nun auch gesetzlich verankert werden.

Aus der Branche, von Umweltverbänden und von der Opposition kam Kritik. Die Abstandsregelung sei "ein weiterer erheblicher Hemmschuh für den Ausbau der Windkraft an Land", sagte Simone Peter, die Präsidentin des Bundesverbands für Erneuerbare Energien (BEE). Grünen-Fraktionschef Hofreiter sagte, Union und SPD errichteten "nahezu um jede Gießkanne eine Ein-Kilometer-Sperrzone für Windkraftanlagen". Das sei ein "weiterer Sargnagel" für die Branche.

Der WWF forderte, eine Kommission einzurichten, um Wege zu finden, den Windenergie-Zubau wieder anzukurbeln. Es gehe um die Zukunft Zehntausender Jobs - Arbeitsplätze in der Kohle- und der Windkraftbranche müssten die gleiche Aufmerksamkeit bekommen.

Mit Blick auf den stockenden Ausbau der Windkraft warf Altmaier am Dienstag auch seiner Kabinettskollegin Schulze eine Blockade vor. Es brauche vor allem mehr Klarheit beim Arten- und Naturschutzrecht, sagte eine Sprecherin der dpa. "Blockaden schaden hier der Energiewende und ihrer Akzeptanz." Ein Sprecher Schulzes hielt dagegen: Der Stillstand beim Ausbau habe so gut wie nichts mit Naturschutz zu tun. "Die wahren Engpässe liegen woanders, von der Flächenverfügbarkeit über die Akzeptanz bis hin zu unklaren Rahmenbedingungen." Es gebe Ausnahmen für den Bau von Windrädern.

Greenpeace-Geschäftsführer Martin Kaiser, der in der Kohlekommission saß, zeigte sich verärgert darüber, dass noch nichts Konkretes zum Braunkohle-Ausstieg vorliegt. "Nur wenn der Braunkohleausstieg schnell startet, hat der mühsam errungene Kohlekompromiss einen Wert", sagte er. Wenn weitere Kohlekraftwerke wie Datteln 4 mit diesem Gesetz neu ans Netz gehen könnten, unterlaufe Altmaier den Kompromiss. Dem Entwurf zufolge will das Wirtschaftsministerium Anlagen mit gültiger Genehmigung vom geplanten Verbot neuer Kohlekraftwerke ausnehmen - das würde nur Datteln 4 im Ruhrgebiet betreffen.

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