Ende einer Krise:Die neue Liebe zum Euro

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Illustration: Stefan Dimitrov (Foto: SZ)
  • Der Euro, in der Krise Lieblingsfeind vieler Kritiker, ist auf einmal doch nicht so falsch?
  • Unter der Bürgern der Euro-Zone stieg die Zustimmung in der jüngsten Umfrage der Brüsseler Kommission um drei auf wuchtige 73 Prozent - den höchsten Wert seit 13 Jahren.
  • Für den Aufstieg aus der Asche gibt es handfeste Gründe. Zum Beispiel: Die Euro-Krise mit ihren Sparprogrammen verblasst.

Von Ulrike Sauer, Rom, Marc Beise und Alexander Hagelüken, München/Rom

Würde Europa, Sagengestalt, Geliebte des Zeus und Namensgeberin des Kontinents, heute Mensch - sie hieße Emma Bonino. Die Ex-Außenministerin macht im italienischen Wahlkampf mit dem Bündnis+Europa Front gegen die Populisten und fordert die Vereinigten Staaten von Europa. Und sie ist mit 43 Prozent überraschend fast so beliebt wie Regierungschef Paolo Gentiloni.

Noch verblüffender ist, dass Boninos Gegner plötzlich ihre Euro-Phobie wie ein ausgeleiertes Kleidungsstück ablegen. Die Protestbewegung Fünf Sterne, in den Umfragen vorne, sagte sich von dem lange propagierten Referendum über den Euro los. Silvio Berlusconi verwarf stillschweigend seine Idee von der doppelten Währung. Und sogar sein nationalistischer Bündnispartner, Lega-Chef Matteo Salvini, schwor dem Ausstieg aus der Währungsunion ab. "Seine Experten haben ihm erklärt, was passiert, wenn wir den Euro verlassen", erklärt dazu Berlusconi.

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Bis 2019 soll der Aufbau eines Europäischen Währungsfonds und der Posten eines Europäischen Wirtschafts- und Finanzministers beschlossen werden.

Der Euro, in der Krise Lieblingsfeind vieler Kritiker, ist auf einmal doch nicht so falsch? So wie in Italien entwickeln sich die Dinge auch anderswo. Als die Rechtspopulisten im französischen Wahlkampf den Euro zum Abschuss freigaben, wählten die Bürger den glühenden Europafreund Emmanuel Macron zum Präsidenten. Seitdem nimmt die unterlegene Marine Le Pen die Währung aus ihrer Schusslinie.

Wenn Europas Völker vor der Wahl stehen, wirklich auf den Euro zu verzichten, stecken sie zurück

In Deutschland schubste die AfD im Wahlkampf 2017 statt des Euro die Flüchtlinge in den Vordergrund. Die Mitgründer der Partei, darunter der Wirtschaftsprofessor Joachim Starbatty und der frühere Industrie-Präsident Hans-Olaf Henkel, haben sich ins Europa-Parlament gerettet und ihre eigene Partei gegründet, die "Liberal-Konservativen Reformer" (LKR); zur Bundestagswahl traten sie erst gar nicht mehr an. Harte Euro-Gegnerschaft ist nicht mehr populär.

Wenn Europas Völker vor der Wahl stehen, nicht nur gegen "die da oben" rumzumotzen, sondern wirklich auf den Euro zu verzichten, stecken sie zurück. Zu groß erscheinen die Risiken. So war es schon, als sich die Griechen vor dem Volksentscheid 2015 überlegten, was wohl noch ihre Ersparnisse in abgewerteter Drachme wert wären. Die Mehrheit blieb dann lieber in der Währungsunion.

Aktuell lässt der Brexit die Europäer am Bewährten festhalten, auch wenn es bei den Briten um den EU-Austritt geht, nicht um den Euro. "Jeder guckt auf Großbritannien und sagt: Da ist Chaos. Das wollen wir nicht", beobachtet Guntram Wolff, Direktor der Brüsseler Denkfabrik Bruegel. Die zunehmend verzweifelte Suche der Briten nach willigen Handelspartnern entzaubert die Versprechen vom Grand Empire, das alleine aufblüht.

Setzen wir noch eines drauf: Der Euro ist mittlerweile nicht nur aus der Schusslinie verschwunden, er wird richtig populär. Unter der Bürgern der Euro-Zone stieg die Zustimmung in der jüngsten Umfrage der Brüsseler Kommission um drei auf wuchtige 73 Prozent - den höchsten Wert seit 13 Jahren. Auch immer mehr Deutsche votieren wieder für mehr Integration.

Europtimismus pur.

Für den Aufstieg aus der Asche gibt es handfeste Gründe. Die Euro-Krise mit ihren Sparprogrammen verblasst. Fast allen Krisenstaaten geht es wieder gut. Und selbst die Griechen, die als einzige weiterhin mit wirklich großen Problemen zu kämpfen haben, sollen von August an ohne neue Finanzspritzen auskommen. Andersrum erwiesen sich die Befürchtungen bisher als falsch, dass Geberländer wie die Bundesrepublik für die Euro-Rettung bluten. Noch jedenfalls sind die Krisenstaaten keine Kredite schuldig geblieben.

Der geschäftsführende Direktor des ESM, Klaus Regling, ein deutscher Karrierebeamter, kann darüber seine Genugtuung nicht verbergen. Die Katastrophenszenarien, die ihm in den vergangenen Jahren gerade in Deutschland immer vorgehalten worden seien, hätten sich ja wohl nicht bewahrheitet, ätzt er. Und explizit: "Der Euro ist gerettet."

Einer der härtesten Kritiker der Rettungspolitik ist Hans-Werner Sinn, der Wirtschaftsprofessor und Bestsellerautor aus München. Er gibt zu, dass "die südeuropäischen Schuldner und ihre Gläubiger etwas beruhigt wurden". Für ihn erklärt sich das allerdings dadurch, dass die Steuerzahler "der noch gesunden Länder der Euro-Zone durch die Maßnahmen der Europäischen Zentralbank zu Bürgen der Schuldenstaaten der Euro-Zone gemacht" worden seien. Nun biete die große Koalition auch noch den Einstieg in die Transferunion an, also die dauerhafte Unterstützung der EU durch Deutschland. Seine Prognose: "Der Euro wird genau so lange gerettet bleiben, wie wir bereit sind, unsere Renten zu ruinieren."

Die angesprochene Nullzinspolitik der EZB ist zwiespältig. Deutsche Sparer leiden unter ihr, wer allerdings sein Häuschen auf Pump finanziert hat, profitiert. Der Staatshaushalt spart Milliarden bei der Finanzierung. Auch ein Grund, warum Euroskepsis nicht hoch im Kurs steht. Als im Bundestag kürzlich das Darlehensvolumen des Stabilitätsfonds zu verlängern war, stimmte die AfD überraschend dafür - genau wie die FDP. Offiziell wollen beide den ESM auslaufen lassen, hinter vorgehaltener Hand distanzieren sich manche Politiker von diesem Rigorismus.

Wichtigster Kick für den Euro dürfte das aktuell beeindruckende Wachstum sein. Noch 2012 schrumpfte das Wirtschaftsprodukt der Währungsunion um fast ein Prozent. 2016 nahm es um fast zwei Prozent zu - ein Sportler würde vom Comeback sprechen. Die Bürger sehen, welche Vorteile ein großer Exportmarkt mit Einheitswährung bringt - ein ganz anderes Narrativ als vor fünf Jahren. In Italien etwa wird die Geldpolitik der EZB sehr gewürdigt. Sie half dort genau wie in anderen Krisenstaaten. Und unter Kommissionschef Jean-Claude Juncker bekommen die Länder mehr Zeit, ihre Defizite zu senken. Beides verbessert Lage wie Stimmung - und kommt eindeutig aus Europa.

"Wir sind für künftige Krisen besser gerüstet als früher"

Bei allem Europtimismus bleibt die Frage, ob die Währungsunion auf das nächste Konjunkturtief vorbereitet ist. Oder fegt eine neue Krise die Währung endgültig hinweg? Auffällig ist, dass es jenen Ex-Krisenstaaten am besten geht, die wie Spanien früh hart reformierten. Denn die Geldpolitik der EZB kauft vor allem Zeit. Ohne wirtschaftspolitische Reformen könnten die 19 Eurostaaten wieder gefährlich auseinanderdriften.

Guntram Wolff sorgt sich über die Versprechen der Populisten im italienischen Wahlkampf. Die Lega will die Rentenkürzungen zurückdrehen, Berlusconis Forza Italia verspricht eine weniger progressive Einkommensteuer und die Fünf Sterne sagen ein Grundeinkommen zu. "Das kostet alles viel Geld und erodiert schnell Italiens Glaubwürdigkeit, die gerade etwas hergestellt war", warnt der Bruegel-Direktor. "Da werden die Investoren in London und New York schnell nervös."

Zumal die Schulden hoch bleiben. 2007, vor Ausbruch der Finanzkrise, hatte die Euro-Zone Verbindlichkeiten von 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Bis 2013 stiegen die Schulden auf über 90 Prozent. Seitdem gingen sie nur leicht zurück. Für Euro-Kritiker Starbatty ist genau das die Sollbruchstelle der Währungsunion. Wenn die Zinsen wieder steigen und damit die Schuldenlasten der Staaten, und wenn die Konjunktur sich abschwächt, werde sich zeigen, dass das alte Dilemma nicht überwunden sei: Entweder Deutschland pumpe immer mehr Geld in die Union, oder es müsse sich aus dem Euro zurückziehen.

Bis dahin allerdings wollen die europäische Akteure erklärtermaßen die Zeit nutzen, den Währungsverbund zu stärken. So soll bis zum Sommer die Bankenunion stehen. Die soll das Finanzsystem stabilisieren, damit künftig nicht mehr Banken eines einzelnen Landes mit viel Geld gerettet werden müssen. Perspektivisch könnte der Stabilitätsfonds eine größere Rolle bekommen und ein neuer Geldtopf makroökonomische Schocks abfedern. "Wir sind für künftige Krisen besser gerüstet als früher", sagt Guntram Wolff. Entscheidend aber werde am Ende sein: "Sind die Regierungen des Euro-Clubs bereit, die Probleme zusammen anzupacken?"

© SZ vom 24.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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