Ende der Amtszeit von EZB-Chef Trichet:Der Mann, der die Deutschen liebt

Er stand lange für eine Geldpolitik à la Bundesbank. Doch im Laufe seiner Amtszeit ändert der europäische Notenbankchef Jean-Claude Trichet seine Prinzipien. Jetzt tun sich ausgerechnet die Deutschen schwer mit seiner Geldpolitik. Das trifft ihn: Trichet feiert einen wehmütigen Abschied.

Helga Einecke und Markus Zydra

Ein einziges Nein würde reichen, um die Antwort zu verweigern. Aber Jean-Claude Trichet kontert nicht so cool. Der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB) beugt sich blitzschnell nach vorn, schüttelt abwehrend die Hände und sagt "Non, non, non, non, non". Es klingt wie der Takt einer ratternden Nähmaschine. Warum also hat er seine beiden deutschen Kollegen im Rat der EZB, Axel Weber und Jürgen Stark, nicht überzeugen können? Warum haben zwei so profilierte Deutsche der Notenbank lieber den Rücken gekehrt?

Bretton Woods Committee Event With Pandit And Trichet

Bald muss der 68-jährige Franzose Jean-Claude Trichet seinen Posten bei der EZB räumen: Seine achtjährige Amtszeit endet am 31. Oktober.

(Foto: Bloomberg)

Da wird Trichet zum Nein-Nein-Sager. Lieber beißt er sich in die Zunge, als Indiskretionen aus dem Inneren preiszugeben. Der 68-jährige Franzose lehnt sich zurück. Schließlich sagt er, man sei Europäer - auch in der Notenbank - da gebe es keine Nationalitäten. "Ich werde diese Frage nicht beantworten."

Dann greift Trichet in die Hosentasche, holt ein feines Stofftaschentuch hervor, tupft die Mundwinkel ab. So überbrückt er gern das Nachdenken über wohl abgewogene Antworten. Irgendwie juckt es ihn doch, über die Deutschen zu reden, wenn auch nicht direkt über seine früheren Kollegen.

Wegen der Staatsanleihenkäufe hagelt es Kritik - aus Deutschland

Offensichtlich hat er sich selbst schon häufig eine nahe liegende Frage gestellt: Warum gibt es in Deutschland, und nur in Deutschland, diesen starken und anhaltenden Widerstand gegen die Rettungsmaßnahmen der EZB? Warum werden die verflixten Käufe von Staatsanleihen in keinem anderen Land so gegeißelt?

Dieses Thema treibt Trichet um. Das will er gerne erörtern. Er schlägt auf seinem kleinen schwarzen Ledersofa etwas entspannter die Beine übereinander. Über ihm hängt eine antike Karte von Europa. Ein Telefon mit der Aufschrift Satellit steht rechts auf dem Beistelltisch, sein Mobiltelefon liegt auf dem Tisch. Tatsächlich klingelt es Minuten später; er nimmt ab und verlässt kurz den Raum mit den großen Fenstern im 35. Stock des Eurotowers, der sich da zwischen den Hochhäusern der Frankfurter Banken groß macht.

In der Euro-Schuldenkrise gibt der EZB-Präsident Trichet seit Mai 2010 den Retter in der Not, der Notenbanker ist seitdem der Libero unter all den Problemlösern. Damals schilderte er den Regierungschefs Angela Merkel und Nicolas Sarkozy die Lage an den Finanzmärkten so drastisch, dass die über Nacht eine erste Rettungsaktion für Griechenland starteten. Und Trichet ließ sich in die Pflicht nehmen.

Griechenland, Portugal, Irland, Italien, Spanien - die EZB kauft die Staatsanleihen dieser Länder en gros, um so deren Zinslast zu senken. 160 Milliarden Euro hat die Notenbank dafür hingeblättert. Gleichzeitig setzt "Monsieur Euro" Athen, Rom und Madrid politisch unter Druck: Die Regierungen sollen ihre Haushalte in Ordnung bringen, sonst gibt es keine Hilfen mehr von der EZB, droht er. Noch aber fließt das Geld der Notenbanker, und zwar mehr denn je.

Lange war die Bundesbank Trichets Zielgröße

Fast alle Mitglieder im EZB-Rat unterstützen Trichet bei diesen Notmaßnahmen. Den Deutschen aber passt das nicht, Weber und Stark traten deshalb zurück. Auch Webers Nachfolger, Bundesbankchef Jens Weidmann, lehnt sich auf.

Treffen in Berlin

In dieser Woche nun trifft Trichet zum letzten Mal mit seinen EZB-Ratskollegen zusammen, um über Zinsen zu diskutieren. Man trifft sich am Donnerstag ausgerechnet in Berlin, der Hauptstadt Deutschlands. Jeder der 22 Männer in dem Gremium hat eine Stimme. Malta zählt soviel wie Frankreich. In der Runde sitzen also mehr Vertreter des überschuldeten "Club Med" als Repräsentanten des stabileren Nordens. Das nervt die Deutschen, weil sie das meiste zahlen. Doch sie beißen im Rat auf Granit. Auf den EZB-Fluren raunt man, Trichet würde Diskussionen abbügeln. Er leite Sitzungen selbstherrlich.

Ausgerechnet Berlin also. Trichet hat ein Faible für das Land, aus dem er so kritisiert wird und in dem er schon so lange Gast und Gastgeber zugleich ist. Gleich nach seinem Wechsel nach Frankfurt 2003 lernte er die deutsche Sprache. Er kennt Männer wie Helmut Kohl, Theo Waigel und Horst Köhler persönlich, aus einer fernen Zeit, als der Euro noch als große Zukunft Europas gehandelt wurde. Trichet war den Deutschen von Kindesbeinen an gewogen, die preußische Strenge ist ihm bekannt. Drei Männer seiner bretonischen Heimatstadt Saint-Malo waren Mitglieder der preußischen Akademie Friedrich des Großen, erzählt er.

In den neunziger Jahren haben die Franzosen Trichet als "Klon der Bundesbank und Sklaven der Preußen" verspottet. Damals importierte er als französischer Notenbankpräsident die Prinzipien der Bundesbank nach Paris. Vom früheren deutschen Notenbankpräsidenten Hans Tietmeyer spricht er bis heute respektvoll als "mon ami Hans". Mitten in der Fachliteratur auf seinem Büroregal steht ein kleines Gemälde der Notre Dame, ein Geschenk der Malerin Marie-Therese, Tietmeyers Ehefrau.

Die deutsche Angst vor Inflation

Und nun? Trichet als Gefahr für die Stabilität? Alle Welt weiß, wie sehr die Deutschen die Inflation fürchten. Diese Ängste werden derzeit rekultiviert, weil die Zentralbank Geld druckt. Die Deutschen pochen auf die politische Unabhängigkeit der EZB. Es soll so sein wie zu Zeiten der Bundesbank, an die Deutschland geglaubt hat wie an keine andere Institution. Wollen Trichet und seine Kollegen aus dem "Club Med" etwa die lange bewährten Prinzipien verraten?

Der Kanzler der Einheit, Helmut Kohl, macht sich Sorgen um Europa. Bundespräsident Christian Wulff wirft der EZB Rechtsbruch vor. Der Ökonom Hans-Werner Sinn sieht eine Zeitbombe für Deutschland. Die Liste prominenter deutscher Kritiker ist lang. Sogar Otmar Issing, einst Chefvolkswirt der EZB, mit dem Trichet schon Gedichte von Goethe und Heine rezitiert hat, äußert große Bedenken. Trichet, seit acht Jahren im Amt, fühlt sich kurz vor seinem Abgang Ende Oktober zu Unrecht angegriffen, er fürchtet um seinen Ruf und sein Vermächtnis. Manchmal versteht er die Welt nicht mehr.

Für Trichet war doch die Bundesbank immer die Zielgröße. Dieses Primat soll er verraten haben? Das kann er nicht glauben, das will ihm nicht in den Kopf. Es muss furchtbar sein, wenn Selbstbild und Außenbild nicht mehr in Einklang stehen. Trichet kennt das Problem, es hat mit Kommunikation zu tun. "Immer wenn ich durch Bayern fahre, sehe ich soviel Wohlstand wie in Singapur oder der Schweiz. Wie soll man da den Deutschen vermitteln, dass Europa in der schlimmsten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg steckt?" Das fragt er sich selbst.

Wo ist die Solidarität der Deutschen?

Geht es den Deutschen zu gut? Machen sie deshalb in Europa und sogar innerhalb der Notenbank so viel Ärger? Sind sie egoistisch und verraten die europäische Idee? Als Trichet im Frühjahr den Karlspreis der Stadt Aachen erhielt, plädierte der Franzose für die Einrichtung eines europäischen Finanzministeriums, er wurde als Visionär gelobt. Später sprach er in der Süddeutschen Zeitung von einer wünschenswerten europäischen "Konföderation". Kohl hatte von der Politischen Union Europas gesprochen, seine Nachfolger nehmen Trichets Anregung eher reserviert auf.

Wo ist die Solidarität der Deutschen? In Athen gibt es gewaltsame Demonstrationen, in Spanien sind 40 Prozent der Jugendlichen arbeitslos. Trichet seufzt, als er über die Lage in den ärmeren Teilen der Euro-Zone räsoniert. Plötzlich wirkt der scheidende EZB-Präsident kraftlos. "Die Lage in der Euro-Zone ist sehr, sehr ernst", sagt er im düsteren Tonfall. Und doch scheint ihm klar zu sein, dass die Deutschen in ihrem Wirtschaftswunderland den Ernst der Lage nicht richtig nachempfinden.

Das Opfer Deutsche Mark

Und alles nur wegen dieses Versprechens. Kohl gab es Anfang der neunziger Jahre. Damals wurde die D-Mark für den Euro "geopfert", wie viele Nostalgiker bis heute sagen. Das Versprechen lautete: keine Transferunion, kein Herauskaufen von Partnerländern, keinen Penny für Schulden der anderen Euro-Staaten. Nur so trennten die Deutschen sich guten Gewissens von ihrer Währung. Das weiß Trichet natürlich, er war bei der Schaffung der Währungsunion hautnah dabei.

Trichet weiß aber auch, was den Deutschen nicht versprochen wurde: Nämlich anderen Euro-Staaten im schlimmsten Fall keine Kredite zu geben. Nach seinem Verständnis handelt es sich bei den umstrittenen EZB-Ankäufen von Anleihen schwacher Euro-Staaten um Kredite. Er hält sie für vollkommen legal, egal, was Präsident Wulff vor einigen Wochen seinem Volk darüber gesagt hat.

Über Bord werfen musste er seine Hoffnung, der Rettungsschirm der Euro-Zone werde bis Ende September von allen nationalen Parlamenten der 17 Euro-Staaten abgesegnet. Dieser Schirm soll die Last der Anleihekäufe von der EZB nehmen. Die Zeit dafür vor dem Ende seiner Amtszeit ist knapp. "Eine Demokratie folgt einer eigenen Geschwindigkeit", sagt Trichet mit bedauerndem Unterton. Was er meint: Wichtige Entscheidungen dauern manchmal einfach zu lange.

Überhaupt die Politik! Haben nicht die Deutschen 2004 unter Bundeskanzler Gerhard Schröder als erste den Stabilitätspakt gebrochen? Von wegen deutscher Zuchtmeister für eine stabile Währungsunion. Dennoch ist Trichet sicher: "Wenn alle Euro-Staaten so wie die Deutschen gewirtschaftet hätten, dann hätten wir keine Probleme in der Euro-Zone."

Trichet, der bei der Begrüßung gerne eine aufrechte, förmliche Körperhaltung einnimmt, legt Wert auf Etikette. Der französische Elitebeamte ist stets gut gekleidet, er trägt gern blaue Businesshemden mit weißem Kragen, seine Fingernägel sind makellos geschnitten. Er kontrolliert seine Gefühle, auch wenn er sauer ist.

Eigentlich verliert er nie die Fassung

Doch als deutsche Politiker vor einigen Wochen in einer Bundestagsdebatte monierten, die EZB wandele sich vom "Stabilitätsanker" in eine "Bad Bank", da verlor Trichet bei einer Pressekonferenz die Contenance. "Wir sind in der größten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg", rief er. "Wir machen unseren Job, und der ist nicht einfach." Tadellos habe sich die EZB geschlagen, sagt er und wiederholt: tadellos. "Ich würde sehr gerne Glückwünsche für meine Institution entgegennehmen." Das erste Mal in seiner Amtszeit wirkt er wahrlich gekränkt und erschüttert. Fünf Minuten lang redet sich Trichet den Frust von der Seele.

Und dann rechnet er mit dem Mythos Bundesbank ab. "Die EZB hat den Deutschen immer Preisstabilität geliefert. Viel mehr als zu Zeiten der D-Mark." Die Notenbank der Europäer hat geliefert, aber die Deutschen registrieren das nicht einmal. Es ist ein Adieu mit Wehmut.

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