EnBW-Chef Villis im Interview:"Wir haben keine Angst vor den Grünen"

Sein Konzern ist abhängig von der Kernenergie wie kein anderer - und jetzt muss er in Baden-Württemberg auch noch mit einem grünen Ministerpräsidenten klarkommen: EnBW-Chef Hans-Peter Villis steht seit der Reaktorkatastrophe in Japan massiv unter Druck. Der Atom-Manager über die Folgen von Fukushima, die Energiewende und seine Zukunft.

Markus Balser und Hans-Jürgen Jakobs

Auf dem Weg zum Interview in einem Münchner Hotel trifft EnBW-Chef Hans-Peter Villis, 52, in der Lobby einen alten Bekannten: Vorgänger Utz Claassen. Er gehe jetzt in die Offensive, sagt der Konzernlenker. Sein Gegenüber haut ihm auf die Schulter. Er ahnt, was Vilis seit Fukushima durchlebt. Kein Konzern hängt stärker von der Atomkraft ab als EnBW. Und nun mischt auch noch Deutschlands erster grüner Ministerpräsident bei EnBW mit.

EnBW - Hans-Peter Villis

Der EnBW-Vorstandsvorsitzende Hans-Peter Villis.

(Foto: dpa)

SZ: Herr Villis, Tausende mussten in Fukushima evakuiert werden, ins Meer gelangt Radioaktivität, Arbeiter riskieren in der Atomruine ihr Leben: Kommen dem Chef eines AKW-Betreibers jetzt Zweifel an der Atomkraft?

Hans-Peter Villis: Ich bin nachdenklich geworden. Aber ich zweifle nicht an der Sicherheit unserer Anlagen. Sonst müsste ich sofort alle vier AKW, die EnBW betreibt, herunterfahren. Ich weiß, dass sie sicher sind.

SZ: Das hat man in Japan auch geglaubt. In einem Industrieland sei ein Super-GAU wie in Tschernobyl unmöglich.

Villis: Da gebe ich Ihnen recht. Deshalb ist das Moratorium richtig, auch um die Erkenntnisse aus Japan auf Deutschland zu übertragen. Aber klar ist auch: Tsunami und Erdbeben, eine Verkettung solcher Ereignisse wird es bei uns nicht geben. Unsere Kraftwerke sind so ausgelegt, dass sie in Deutschland zu erwartenden Naturgewalten standhalten.

SZ: Woher wissen Sie das? Restrisiken gibt es auch bei den 17 deutschen Atomkraftwerken. Kein einziges ist gegen Terroranschläge mit Flugzeugen geschützt.

Villis: Ein rechnerisches Restrisiko bleibt. Auch bei uns in Deutschland. Wir können die Risiken nur so weit wie möglich reduzieren und hohe Sicherheitsreserven schaffen. Und das tun wir - gemeinsam mit staatlichen Behörden - zum Beispiel beim Schutz gegen Flugzeugangriffe. Außerdem ist es auch mit einer Verkehrsmaschine technisch sehr schwierig, ein AKW so zu beschädigen, dass die innere Hülle gefährlich getroffen wird.

SZ: Unwahrscheinlich war auch, dass die Bundesregierung ihre erst im Herbst durchgesetzte Laufzeitverlängerung für AKW binnen weniger Tage kippt. Fukushima hat die Energiepolitik verändert.

Villis: Als ich die ersten Bilder aus Fukushima sah, habe ich zu Hause mit meiner Familie intensiv darüber geredet. Mir wurde ziemlich schnell klar, dass sich angesichts der erschütternden Bilder einiges ändern würde - auch für uns. Aber dieses Ausmaß? Nein, ganz ehrlich: Das hätte ich nicht erwartet.

SZ: Über Jahre schien es, als hätten die Atomkonzerne RWE, Eon, EnBW und Vattenfall die Politik im Griff. Jetzt sind alle Parteien gegen Atomkraft.

Villis: Es ist schon bemerkenswert, was wir da gerade im ganzen Land erleben. Aber wir respektieren den politischen Willen. Wir sind Energiedienstleister und damit Teil der Gesellschaft. Aber es muss auch erlaubt sein, die Politik daran zu erinnern, warum sie selbst für eine Laufzeitverlängerung war. Wir werden in der Öffentlichkeit verstärkt klarmachen, dass wir als Industrieland mit florierender Wirtschaft noch für einige Zeit einen breiten Energiemix brauchen - für einige Jahre ist die Kernkraft in Deutschland einfach unverzichtbar.

SZ: Das klingt, als wollten Sie und die anderen Energiechefs noch einmal in allen Zeitungen einen "energiepolitischen Appell" veröffentlichen, wie im Herbst.

Villis: Nein, das nicht. Aber wir werden auf energiewirtschaftliche Notwendigkeiten hinweisen.

SZ: Heute sind 70 Prozent der Deutschen gegen Atomkraft. Sie wollen trotzdem auf Dauer weitermachen?

Villis: Wir wollen nicht auf Dauer weitermachen, sondern auf Sicht.

SZ: Was heißt "auf Sicht"? Bundesumweltminister Norbert Röttgen will alle AKW schon 2017 stilllegen. Er überholt die rot-grünen Ausstiegspläne von 2000.

Villis: Wir sind bereit, mit der Regierung über neue Laufzeiten zu reden. Aber wir sagen auch, welche Konsequenzen das hat: Wir importieren jetzt Kernenergie aus Frankreich und Tschechien. Wir schalten ab und zahlen. Atomkonzerne außerhalb Deutschlands profitieren. Können wir uns das leisten? Die Industrie braucht bezahlbare Strompreise und sichere Versorgung. Das sollten wir nicht so leicht aufs Spiel setzen. Die Strompreise sind im Großhandel kurz nach dem Aus für die ersten Atomkraftwerke schon um rund 20 Prozent gestiegen.

SZ: Eine kurze Episode. Sie sind an der Börse wieder deutlich gefallen.

Villis: Es steht nicht weniger als die Versorgungssicherheit der Menschen und Betriebe im Land auf dem Spiel.

SZ: Ist das nicht Panikmache? Seit dem Moratorium sind acht AKW vom Netz - und nichts ist passiert. Kein Blackout, keine Engpässe.

Villis: Die wahre Bewährungsprobe steht uns noch bevor. Im Mai und Juni werden fünf weitere Kernkraftwerke für Revisionen vom Netz gehen. Dann werden zeitweise nur 30 Prozent der Atomkapazitäten zur Verfügung stehen. Erstmals seit Jahrzehnten wird Deutschland ernste Probleme mit der Sicherheit der Stromversorgung bekommen.

SZ: Die Netzbetreiber haben Sie gebeten, Revisionen zu entzerren. Warum tun Sie es nicht? Wollen Sie der Regierung zeigen, wer am längeren Hebel sitzt?

Villis: Moment mal! Eine solche Unterstellung ist Unsinn. Der Zeitplan der Revisionen steht seit langem fest. Da kommen neben unseren festen Kraftwerksmitarbeitern weitere 1500 Leute für die Wartung in die Anlagen. Das lässt sich nicht einfach verschieben. Da sind Sie an Verträge gebunden.

SZ: Bei aller Nachdenklichkeit, die Sie preisen - die Energiebranche glaubt offenbar nicht an eine schnelle Energiewende. Sind Sie nicht zu defensiv?

Villis: Noch fehlt es an den nötigen Netzen und Stromspeichern. Derzeit haben erneuerbare Energien einen Anteil von 17 Prozent. Um auf 35 Prozent in 2020 zu kommen, so wie es die Regierung will, muss schnellstens etwas passieren. Nehmen Sie allein die nötige Windkraft, die künftig viel Energie liefern soll. Hierfür brauchen wir Anlagen auf hoher See mit einer Kapazität von bis zu 13.000 Megawatt. Wir sind bei 100! Vier Jahre hat EnBW allein für den Bau von Baltic 1 gebraucht, des ersten kommerziellen Windparks in der Ostsee. Seit Monaten warten wir nun schon auf den Anschluss der Anlage ans Netz. Die Energiewende wird ein herausforderndes Mammutprojekt für alle: Politik, Wirtschaft, Verbraucher. Das ist auch der Politik klar. Nur mag das derzeit niemand sagen.

SZ: Vielleicht wird der designierte baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann von den Grünen deutlicher. Da dem Land fast die Hälfte an EnBW gehört, dürfte sich bei Ihnen viel ändern. Der Atomanteil liegt bei rekordverdächtigen 51 Prozent.

Villis: Wir haben keine Angst vor den Grünen. Im Gegenteil. Die sind eine durchaus bürgerliche Partei geworden. Ich habe mit Herrn Kretschmann schon gute Gespräche geführt. Sicher, wir haben in der Atompolitik zum Teil andere Auffassungen - aber ich bin überzeugt, dass er mit der Beteiligung des Landes an EnBW sehr verantwortungsvoll umgehen wird.

SZ: Die Grünen sind aus der Anti-Atom-Bewegung entstanden. Sie werden Opfer fordern. Gehen Neckarwestheim 1 und Philippsburg 1 je wieder ans Netz?

Villis: Um eines klarzustellen: Wir haben Neckarwestheim 1 freiwillig vom Netz genommen. Der Betrieb wird sich bei den erwarteten Sicherheitsauflagen einfach nicht mehr lohnen. Bei Philippsburg 1 liegen die Dinge anders. Wir würden das Kraftwerk nach dem Moratorium gerne wieder anfahren. Die beiden jüngeren Kraftwerke wollen wir in jedem Fall am Netz lassen.

SZ: Die Hinweise mehren sich, dass Philippsburg 1 stillgelegt wird. Werden Sie klagen - im Interesse der Aktionäre?

Villis: Ich bin als Chef von EnBW verpflichtet, das Vermögen der Gesellschaft zu schützen. Aber diese Entscheidung steht noch nicht an.

SZ: EnBW sollte zum internationalen Spieler reifen. Sie wollten den Umsatz von 2008 bis 2016 verdoppeln. Nach der Katastrophe von Fukushima können Sie das vergessen.

Villis: Das Umsatzziel war sehr ambitioniert. Und unter diesen Umständen ist es nicht mehr erreichbar. Auch die Gewinne werden kleiner ausfallen. Wir haben für 2011 im operativen Ergebnis wegen der Brennstoffsteuer und Marktpreisrisiken zehn bis 15 Prozent Einbußen im Vergleich zum Vorjahr prognostiziert. Wir werden wohl einige Zeit brauchen, bis wir wieder das Ergebnisniveau von 2010 erreichen können. Aber der Ausstieg zieht uns auch nicht den Boden unter den Füßen weg - wir sind als Unternehmen flexibel. Steigen die Strompreise am Großhandelsmarkt, steigt auch der Wert unserer anderen Kraftwerke.

SZ: Die Landesbank LBBW hat errechnet, dass Ihre Aktien bei einem harten Atomkurs der Politik 30 Prozent weniger wert sind. Müssen Sie mehr sparen?

Villis: Wir können nicht mehr so viel investieren, wie wir wollen. Und wir werden unter anderem Verkäufe von Minderheitsbeteiligungen prüfen. Da ist einiges drin - ein Volumen von 1,8 Milliarden in den nächsten drei Jahren. Wir müssen uns neue Geschäftsmodelle überlegen und wollen zum Beispiel selbst zum Entwickler von Windparks werden. In Hamburg haben wir neuerdings ein Team mit 50 Beschäftigten aufgebaut, das auch über entsprechende Kompetenzen verfügt und Großprojekte umsetzen kann.

SZ: Nur elf Prozent Ihres Stroms kommen aus grünen Quellen. Warum?

Villis: Beispiel Windenergie: Die Menschen in Baden-Württemberg akzeptieren sie vielerorts nicht. Dort, wo wie im Schwarzwald viel Wind weht, wollen viele sie nicht haben. Auch deshalb investieren wir auf hoher See. Wir werden den Anteil erneuerbarer Energien bis 2020 auf rund 20 Prozent verdoppeln. Sie können ein Unternehmen, das historisch bedingt so lange so stark auf Kernenergie gesetzt hat, nicht in ein paar Monaten drehen. Aber dieser strategischen Aufgabe stellen wir uns, dies motiviert mich.

SZ: Ihr Vertrag läuft bis September 2012. Bleiben Sie auch unter der grün-roten Landesregierung Chef von EnBW?

Villis: Davon gehe ich aus. Wir waren unternehmerisch sehr erfolgreich.

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