Emissionshandel in der EU:Klimasünde im Sonderangebot

Der Handel mit Emissionsrechten galt einst als Hoffnungsträger im Kampf gegen den Klimawandel. Mittlerweile steckt er in der Krise. Weil der Ausstoß einer Tonne Kohlendioxid mittlerweile so wenig kostet wie ein Fast-Food-Menü.

Thomas Schmelzer

Wenn Jochen Schneider in diesen Tagen auf die Preise für CO2-Zertifikate schaut, wähnt er sich im Glück. Nur etwa acht Euro muss der Energiemanger einer großen Papierfabrik momentan dafür bezahlen, dass seine Firma eine Tonne Kohlendioxid in die Atmosphäre blasen darf. Eine Erleichterung für den Geschäftsmann, der ohnehin mit steigenden Strompreisen und naturgemäß hohen Emissionen im Papiergeschäft kämpfen muss. "Wenn in der jetzigen Krise noch teure Zertifikate dazukämen - dann Grüß Gott", sagt Schneider, der Angst um den Ruf seiner Firma hat, und seinen richtigen Namen deswegen lieber nicht veröffentlicht sehen will.

Sonnenuntergang hinter Kraftwerk Neurath

CO2-Zertifikate sind in diesen Tagen so günstig wie selten. Für Energieunternehmen fallen die Anreize für Investitionen in den Klimaschutz damit weg.

(Foto: dpa)

Jochen Schneider und seine Papierfabrik sind nur ein Beispiel - aber so wie dem Traditionsunternehmen aus Baden-Württemberg dürfte es derzeit vielen Firmen in Europa gehen. Seit Wochen dümpelt der Kohlendioxid-Preis an der Leipziger Energiebörse auf dem Niveau eines Fast-Food-Menüs. Für CO2-Schleudern wie Zementfabriken oder Papierhersteller ist es deshalb so günstig wie lange nicht mehr, ihre Abgase in die Luft zu pusten.

Dabei war der Emissionshandel gerade dafür erfunden worden, die Umweltverschmutzung teurer zu machen. Sobald CO2-Abgase einen Preis haben, investieren Unternehmen automatisch in Klimaschutz, war die Idee. Und wer so wenig Klimagas ausstößt, dass er Verschmutzungsrechte übrig hat, kann die Zertifikate an Unternehmen weiterverkaufen, für die eine Modernisierung der Produktionsanlagen teurer wäre. Seit 2005 teilt die Europäische Union den Firmen genau so viele CO2-Zertifikate aus, wie sie dem Klima zumuten will. Den Rest soll der Markt erledigen. Doch der spielt gerade verrückt.

Was die Unternehmer freut, ist für viele Experten ein Alarmsignal. "Der europäische Emissionshandel steckt zurzeit in einer Krise", sagt Hauke Hermann von Freiburger Öko-Institut. In einer neuen Studie kommt der Klimaforscher zu beunruhigenden Ergebnissen.

Niedrige Preise hemmen Investitionen

"Die derzeitigen Preise sind so niedrig, dass es sich für Unternehmen nicht mehr lohnt, in den Klimaschutz zu investieren", sagt Hermann zu Süddeutsche.de. Der Klimaforscher fordert, dass die EU massenhaft Zertifikate vom Markt nimmt. Nur so könne der Preis wieder auf ein Niveau steigen, das die Unternehmen zu Investitionen zwingt.

Auch Andreas Löschel vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung hat beobachtet, dass die Investitionsanreize bei den aktuellen Preisen gegen null tendieren. Allerdings hält er eine Debatte über den richtigen Preis für irreführend. Löschel verweist darauf, dass die EU ihr CO2-Sparziel von 20 Prozent auch mit niedrigen Preisen erreicht. "Das liegt zwar eher am niedrigen Wachstum in den letzten Jahren", sagt Löschel im Gespräch mit der SZ, doch im Grunde funktioniere der Emissionshandel.

Das Wort Krise findet Löschel deswegen übertrieben. Für ihn liegen die Schwächen des Emissionshandels nicht im System, sondern in Konstruktionsfehlern. "Die EU-Mitgliedsstaaten haben von Anfang an zu viele Zertifikate kostenlos herausgegeben", sagt er. Deswegen besäßen heute zwei Drittel aller deutschen Unternehmen zu viele Verschmutzungsrechte. "Eine Knappheit kann so nicht entstehen", sagt Löschel. Und damit auch keine höheren Preise.

Kein EU-Konsens in Sicht

Löschels Berechnungen zufolge lohnen sich große Investitionen in den Klimaschutz für Unternehmen aber erst, wenn die CO2-Preise die 20-Euro-Marke erreichen. "Wenn es politisch gewollt ist, könnte man so etwas mit Mindestpreisen durchsetzen", sagt Löschel. Viel wichtiger seien aber langfristige EU-Ziele, damit die Unternehmen Planungssicherheit bekommen.

Ein Konsens der EU-Länder aber ist momentan nicht in Sicht. Erst Anfang März scheiterte ein Treffen der Umweltminister in Brüssel am Widerstand Polens. Dabei ging es vor allem um schärfere Klimaziele, wie sie auch EU-Klimakommissarin Connie Hedegaard fordert. Ginge es nach ihr, würde die EU ihr CO2-Einsparziel für 2030 von 30 auf 40 Prozent erhöhen. Außerdem erwägt Heedegard eine künstliche Verknappung der Emissionszertifikate.

Damit könnte auch Hauke Hermann vom Öko-Institut leben. Allerdings nur, wenn die Emissionsrechte dauerhaft vom Markt genommen werden und jedes Jahr weniger Zertifikate hinzukommen. "Insgesamt halten wir aber am Emissionshandel fest", sagt Hermann.

"Subventionen für Umweltverschmutzer"

Einer der wenigen Grundsatzkritiker des Systems ist Helge Peukert von der Universität Erfurt. Der Umweltökonom findet, dass der Emissionshandel bislang zum großen Teil eine "Subventionierung für Umweltverschmutzer" ist. Schließlich seien die Zertifikate kostenlos verteilt worden - und die Stromerzeuger hätten ihre Preise trotzdem erhöht. "Mit diesen Gewinnen haben die Energieriesen dann problemloser neue Kohlekraftwerke in Auftrag geben können", sagt Peukert im SZ-Gespräch.

Er tritt für eine drastische Lösung ein und würde am liebsten die weltweite Erdöl- und Gasproduktion jährlich um ein Prozent drosseln. "Das würde zwar richtig wehtun", sagt Peukert. Aber nur so könne das Klima wirklich gerettet werden. "Wir müssen alle einen Gang zurückschalten - sonst rauschen wir ganz schnell auf noch schwerere Krisen zu."

Zumindest das Klima könnte aber von weiteren Finanzkrisen profitieren. "Wenn unsere Wirtschaft weiter stagniert, könnte es sein, dass wir unsere langfristigen Klima-Ziele quasi automatisch erreichen", sagt Andreas Löschel. "Der niedrige CO2-Preis wird dann aber sehr teuer erkauft."

Linktipp: Eine elegante Lösung zur CO2-Reduktion wäre die Abschaffung von Energiesubventionen. Doch seit 2009 haben sich die Staatszuschüsse weltweit fast verdreifacht. Warum das so ist, erklärt der Washington-Post-Redakteuer Brad Plumer in seinem Blog.

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