Emissionshandel: Großbetrug:Tango mit der Deutschen Bank

Der Schaden könnte bei unfassbaren 850 Millionen Euro liegen: Betrüger haben den Staat mit Emissionszertifikaten abgezockt. Mit interaktiver Grafik: Wie funktioniert Umsatzsteuerbetrug?

Klaus Ott; Grafik: Ivonne Wagner

Staatsanwälte und Steuerfahnder können ganz schön einfallsreich sein. Bei Spezialeinsätzen denken sie sich gern phantasievolle Namen aus.

In Frankfurt geht eine nach dem germanischen Gott Odin benannte Sonderkommission in einem der größten Wirtschaftsverfahren in Deutschland einem schwerwiegenden Verdacht nach: International agierende Banden sollen den Staat beim Handel mit Verschmutzungs-rechten (Emissionszertifikate) um horrende Beträge geschädigt haben. Es gibt mehr als 150 Beschuldigte, meist Firmenchefs und weitere Geschäftsleute. Vier von ihnen sitzen in Untersuchungshaft, zum Teil schon seit fast einem Jahr.

Viele Beweismittel, darunter auch eine Datei "Eisbär", werden im Gebäude "Tango" aufbewahrt. Eisbär, Odin und Tango - eine ungewöhnliche Kombination. Es ist ja auch ein ungewöhnliches Verfahren mit ungewöhnlichen Ereignissen. Im Mittelpunkt steht dabei ein Geldinstitut, das die deutsche Finanzlandschaft prägt und das international eine Größe des Geschäfts ist: die Deutsche Bank.

Immenser Schaden

Die Dimension der Schmutzdeals ist immens. In den vergangenen Wochen haben Finanzämter aus ganz Deutschland begonnen, den Schaden für den Staat auszurechnen. Ergebnis: 15 Firmen sollen zusammen mehr als 300 Millionen Euro Steuern hinterzogen haben. Und das ist nur eine erste Zwischenbilanz. Insgesamt 50 Firmen sollen den Fiskus betrogen haben. Der Gesamtschaden beträgt nach Angaben der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt 850 Millionen Euro.

Als vor einigen Wochen ein Stromausfall im Haus Tango die Computer abstürzen ließ, gingen wertvolle Daten der Sonderkommission Odin verloren. Darunter auch viele Informationen, die sich die Fahnder bei der Deutschen Bank besorgt hatten. Das Kreditinstitut soll in den Kriminalfall verwickelt sein. Die Aufklärung des Falles dauert nun länger als geplant. Die Frankfurter Generalstaatsanwaltschaft teilte dem Anwalt der Deutschen Bank vorsorglich mit, das Aufbereiten der Beweismittel werde sich wegen des Stromausfalls erheblich verzögern. Offenbar musste auch die Akte Eisbär neu angelegt werden.

An dem Schlamassel, in dem die Deutsche Bank steckt, dürfte das wenig ändern. Die Ermittler haben nach einer bundesweiten Razzia vor knapp einem Jahr weitreichende Erkenntnisse über einen mutmaßlichen Umsatzsteuerbetrug in großem Stil gesammelt. Die Spuren führen bis nach Dubai, Hongkong und auf die Seychellen im Indischen Ozean. Mittendrin: die Deutsche Bank. Sie soll - entweder grenzenlos naiv oder womöglich jenseits der Legalität - an Umsatzsteuer-Karussellen mitgewirkt haben. Gegen sieben Beschäftigte des Finanzinstituts wird ermittelt, darunter einen Gebietsleiter; die Banker sollen an Betrügereien zu Lasten des Staates beteiligt gewesen sein. Die Bank weist das zurück.

Die Odin-Fahnder registrierten penibel, in welch rasanter Geschwindigkeit die Großbank Geschäfte mit fragwürdigen Gesellschaften begonnen und ausgebaut hatte. Bei einer Frankfurter Energiefirma wurde kurz nach Eröffnung eines Kontos das tägliche Überweisungslimit innerhalb einer Woche von zwei Millionen auf zehn Millionen Euro erhöht. Einen Monat später waren es schon 15 Millionen Euro. Insgesamt wurden allein bei dieser Firma Geschäfte für mehr als 100 Millionen Euro abgewickelt. Hätte die Bank nicht spätestens dann misstrauisch werden müssen, als eine an den Firmen-Vertreter verschickte Geldkarte (Debit Card) von der Post wieder zurückgebracht wurde, weil der Empfänger unter der angegebenen Privatadresse nicht ausfindig gemacht werden konnte? Der Geschäftsmann ließ die Bank wissen, sein "Briefkastenschlitz" werde gerade repariert. Ziemlich komisch.

Die besondere Stellung, die diese Energie-Firma bei der Deutschen Bank innehatte, sei nicht mit "nachvollziehbaren Referenzen" zu erklären, notierte Odin. Das Bankpersonal wurde auch wohl nicht argwöhnisch, als zwei Kollegen vom neuen Geschäftspartner gleich mal eine Einladung zu einem Formel-1-Rennen in Dubai bekamen. Solche Aufmerksamkeiten sprengten normale Geschäftskontakte, heißt es im Odin-Vermerk. Statt Verdacht zu schöpfen, antworteten die zwei Bankbeschäftigten dem neuen Handelspartner, die Einladung zur Formel 1 sei eine Ehre. Wegen interner Auflagen könne man das aber nicht annehmen. Man könne sich ja im kalten und verregneten Frankfurt zum Essen treffen.

Scheingeschäfte, Scheinfirmen, Scheinadressen

Auch bei anderen Geschäftspartnern gab es merkwürdige Vorkommnisse, und es war ein ziemlich sorgloser Umgang, den das Bank-Personal da pflegte. Und das in einem Markt, der frühzeitig ins Gerede gekommen war. Der Emissionshandel soll eigentlich den Umweltschutz fördern. Fabriken und Kraftwerke, die sauber produzieren, können nicht benötigte Verschmutzungsrechte an Unternehmen veräußern, die noch zu viel Kohlendioxid (CO2) ausstoßen. Und die über den teuren Ankauf von CO2-Zertifikaten gedrängt werden sollen, weniger Schadstoffe in die Atmosphäre zu pusten. Eine schöne Idee, die aber wohl ziemlich zwielichtige Gestalten angezogen hat.

Was die Bank jetzt macht

Seit Jahren gibt es eine kriminelle Szene, die sich darauf spezialisiert hat, den Staat bei der Umsatzsteuer um viele Milliarden Euro zu erleichtern - mit Scheingeschäften von Scheinfirmen, die unter Scheinadressen ebenso schnell auftauchen wie sie wieder verschwinden.

RWE-Braunkohlekraftwerk Frimmersdorf

Der Geschäftsmann ließ die Deutsche Bank wissen, sein "Briefkastenschlitz" werde gerade repariert. Ziemlich komisch.

(Foto: dpa)

Das System funktioniert einfach: Eine solche Scheinfirma kauft auf dem Papier Ware aus dem Ausland ein und veräußert sie inklusive Mehrwertsteuer gleich weiter. Die Mehrwert- oder Umsatzsteuer wird aber nicht ans Finanzamt abgeführt; vielmehr wird der Fiskus mit Ausreden hingehalten, bis die Firma nicht mehr existiert. Über mehrere Stationen ist die Ware in der Zwischenzeit längst bei einem anderen Unternehmen gelandet, das die Handys und Autos (und was sonst noch so gehandelt wird) wieder ins Ausland exportiert. Dieses Unternehmen, das letzte Glied in der Kette, lässt sich die Umsatzsteuer vom Fiskus erstatten. Jene Umsatzsteuer, die das erste Glied in der Kette hätte abführen müssen, das aber nie getan hat. Der Staat wird geplündert. Und das soll auch noch, so der Verdacht von Odin, beim Emissionshandel mit Hilfe der Deutschen Bank geschehen sein. Ein böser Vorwurf.

Die Bank lässt den Fall selbst untersuchen, von der Anwaltskanzlei Clifford Chance. Die Kanzlei habe bislang "keine Anhaltspunkte" gefunden, die den Verdacht der Staatsanwaltschaft stützten, teilt das Finanzinstitut mit. Mangels Einblick in die Ermittlungsakten will sich die Bank derzeit nicht zu einzelnen Fragen äußern. Der CO2-Handel eignete sich, kaum war er eingeführt worden, bestens für Umsatzsteuer-Karusselle. Binnen Minuten konnten auf dem Papier Geschäfte in Millionenhöhe gemacht werden, ohne dass irgendwelche Ware transportiert werden musste. Das habe Betrüger angelockt, die vom Ausland aus mit Helfern aus dem kleinkriminellen Milieu derlei Karusselle installiert hätten, ermittelte die Steuerfahndung Düsseldorf.

Die Fahnder, die mit den Kollegen in Frankfurt eng kooperieren, stießen gleich auf drei "Hauptlieferstränge", die über die Deutsche Bank abgewickelt worden seien. Die Großbank sei jeweils das letzte Glied in der Kette gewesen und habe beim Fiskus mehr als 100 Millionen Euro an Umsatzsteuer-Rückerstattung geltend gemacht. Die Düsseldorfer Steuerfahnder fanden noch mehr heraus. In den einzelnen Ketten hätten die Zertifikate teils in weniger als einer Viertelstunde fünfmal den Besitzer gewechselt. Ein und dieselben CO2-Zertifikate seien bis zu 18-mal in diesen Ketten gehandelt worden. Der Umwelt diente dieses Recycling am allerwenigsten - die Gewinner waren gerissene Geschäftsleute.

Die Zwischenbilanz der Generalstaatsanwaltschaft fällt drastisch aus: Von den hinterzogenen Umsatzsteuern in Höhe von 850 Millionen Euro haben die Finanzämter auch noch 220 Millionen als Steuer-Erstattung an die mutmaßlichen Betrüger ausbezahlt. Als sich der Fiskus sein Geld zurückholen wollte, war das meiste davon schon weg. Auch bei der Deutschen Bank war auf den Konten der involvierten Firmen meist nicht mehr viel zu holen. Ein vom Finanzamt München erwirkter Pfändungsbeschluss gegen ein angebliches Öko-Unternehmen belief sich auf mehr als 4,8 Millionen Euro. Die Deutsche Bank antwortete dem Fiskus, es seien nur noch 61,45 Euro da.

Betrügereien beim Emissionshandel hat der Staat inzwischen weitgehend abgestellt; mit den vielen Ermittlungen und durch eine Gesetzesänderung. Einige Firmen, die fleißig CO2-Zertifikate ge- und verkauft haben, fallen den Steuerfahndern indes schon wieder auf. Jetzt werden Geschäfte mit Strom, Metall und Gold gemacht.

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