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Steinkohle:Ein Embargo, das Deutschland und Russland verkraften können

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Während Gas und Öl noch fließen, verbietet die EU bald Kohle-Importe aus Russland. Nun stellen sich Kraftwerksbetreiber und Stahlwerke um. Doch ob das Moskau schmerzen wird, ist fraglich.

Von Michael Bauchmüller und Benedikt Müller-Arnold, Berlin/Düsseldorf

Die Sache hatte sich angebahnt, schon im vorigen Herbst. "Kohle ist genug da, haben uns die Leute bei den Bergwerken versichert", sagt Alexander Bethe. Nur die Lokomotiven mit der Kohle fuhren in Russland nicht mehr Richtung Ostsee. "Und wir dachten erst, das lag an Corona."

Bethe ist der Chef des Vereins der Kohlenimporteure (VDKi). Dessen Mitgliedsunternehmen, es sind vor allem Energiekonzerne und Industriebetriebe, dürfen nach einer neuen Vorgabe der Europäischen Union von Mitte August an keine Kohle mehr aus Russland importieren. So will die Staatengemeinschaft die Sanktionen nach dem russischen Angriff auf die Ukraine ausweiten.

Immerhin habe man sich darauf einstellen können, sagt Bethe. Denn ähnlich wie beim Erdgas hatte Russland auch bei der Kohle Lieferungen in Richtung Westen verknappt. Nach Osten, zum Pazifik, rollten die Kohlenzüge aus den russischen Revieren indes weiterhin. Trotz Corona. Stattdessen kommt nun mehr Kohle aus Mosambik oder Kasachstan nach Deutschland. Auch Südafrika und Australien dürften demnächst mehr liefern.

Es gibt allerdings auch einiges zu ersetzen. Etwa die Hälfte der deutschen Steinkohle kam nach Zahlen der Bundesregierung bisher aus Russland, freilich zuletzt mit schrumpfender Tendenz. Nach China, Indien und den USA stehen Russlands Reviere - etwa das Kusnezker Becken - für die viertgrößte Steinkohleproduktion der Welt. Allerdings verwendet Russland einen großen Teil seiner Kohle selbst. Als Exporteure, heißt es beim VDKi, seien Staaten wie Indonesien und Australien wichtiger. Auf sie umzustellen, ist gar nicht so schwer. Denn die Kohle kommt per Schiff.

Steinkohle kommt über Häfen wie Rotterdam in Europa an, weiter geht's per Binnenschiff

Der werkseigene Hafen von Thyssenkrupp in Duisburg ist, wenn man so will, ein Ort dunkler Materie. Schiffe mit Namen wie Thyssen II schippern aus Rotterdam über den Rhein hierher zu Deutschlands größtem Stahlhersteller. Beladen sind sie manchmal mit rötlichem Eisenerz aus der ganzen Welt, das nach der Ankunft zunächst auf Halden gelagert wird. Oder aber die Schiffe bringen dunkle Kohle. Die braucht Thyssenkrupp, um aus dem Erz rohes Eisen und Stahl herzustellen, der letztlich in Autos oder Waschmaschinen landet. Denn neben Kraftwerken sind es vor allem Stahlwerke, die auf Kohle angewiesen sind - und sich nun umstellen müssen.

Aus Russland erhalte Thyssenkrupp bislang vor allem Einblaskohle, sagt ein Sprecher. Das ist ein Rohstoff, der mitsamt heißer Luft über mehrere Düsen in den Hochofen strömt, als Ergänzung zur Kokskohle. "Wir ersetzen diese Bezüge nun Schritt für Schritt", heißt es aus Duisburg, beispielsweise habe man die USA als alternative Quelle erschlossen. "Im Rahmen bestehender Verträge erhalten wir zurzeit noch einige Mengen von russischen Lieferanten", konstatiert der Sprecher. Thyssenkrupp werde diese Einkäufe aber den Regularien entsprechend einstellen. Die Wirtschaftsvereinigung Stahl weist darauf hin, dass manche Transportwege nun weiter und damit auch teurer werden dürften, was die Kohlenimporteure nur bestätigen können: Aus Russland braucht ein Kohlefrachter sechs Tage - und aus Australien sechs Wochen.

Dennoch wird nun mehr Kohle von dort kommen. Bisher sei der Brennstoff problemlos auch aus Südafrika und Kolumbien gekommen, sagt etwa Stephan Riezler, der beim Kraftwerkskonzern Steag für das Handelsgeschäft verantwortlich ist. Jetzt beziehe man erstmals Kohle aus Australien. "Und wir schauen uns auch Indonesien an."

Steag, die alte Steinkohlen-Elektrizität AG, ist einer der größten Stromerzeuger der Republik. Die Essener betreiben Kraftwerke vor allem dort, wo Deutschland selbst jahrzehntelang Kohle abgebaut hat: im Ruhrgebiet und Saarland. "Maximal 15 Prozent der Steinkohle, die Steag in ihren Kraftwerken einsetzt, stammte bisher aus Russland", teilt das Unternehmen mit. "Dieser Anteil kann alternativ über den Weltmarkt bezogen werden." Steag habe schon vor Kriegsbeginn damit angefangen, den Einkauf umzudisponieren, sagt ein Sprecher. Daher erwarte die Firma bereits jetzt keine weiteren Lieferungen aus Russland mehr.

Importeure erwarten nur kurzfristig höhere Preise, doch längere und teurere Transporte

Insgesamt halten Fachleute die Folgen des Embargos für überschaubar. Zwar stammte voriges Jahr 57 Prozent der Steinkohle aus Russland. "Aber es ist zu erwarten, dass dies zumindest im Laufe der kommenden Monate durch Einfuhren aus anderen Ländern ausgeglichen werden könnte", sagt Karen Pittel, Energieexpertin beim Münchner Ifo-Institut. Kurzfristig sei das unangenehm, aber letztlich verkraftbar.

Das allerdings gilt auch für Russland. Gerade weil sich Kohle so leicht transportieren lässt, kann sie auch neue Häfen finden. "Russland wird versuchen, auf andere Abnehmer auszuweichen", sagt Pittel. Diese Abnehmer wiederum würden nicht mehr mit den Europäern um Kohle konkurrieren, sodass neue Mengen für die EU frei würden. Die Auswirkungen auf die Kohlepreise sollten dadurch überschaubar bleiben, sagt Pittel. "Die Folgen für Russland allerdings auch."

Das deckt sich mit Umfragen des Importeur-Vereins VDKi. Eine Mehrheit seiner 44 Mitglieder geht davon aus, dass die Preise zwar kurzfristig steigen, langfristig aber stagnieren werden. Allerdings dürfte die Fracht teurer werden, der längeren Strecken wegen. Und das ist nur eins der Probleme, die sich anbahnen.

Denn die Kohle hatte sich zuletzt wachsender Beliebtheit erfreut - vor allem in Kraftwerken. Wegen der hohen Gas- und Strompreise lohnte es sich, Kohle zu verfeuern. Im vorigen Jahr war fast ein Viertel mehr Steinkohle in Kraftwerken eingesetzt worden als 2020. Die Treibhausgasemissionen der Stromerzeugung stiegen um mehr als zwölf Prozent. Das dürfte sich fortsetzen - zumal nun auch vermehrt Gas durch Kohle ersetzt wird: Das Gas wird in den Speichern dringender gebraucht als in der Stromerzeugung. Auch der Steag-Konzern fragt sich, ob er wie geplant vier Kohlekraftwerke stilllegen will - jetzt. Das wird an den deutschen Emissionen nicht spurlos vorbeigehen. "Wir rechnen für dieses Jahr mit einem Verbrauch an Kraftwerkskohle von 30 Millionen Tonnen", sagt VDKi-Chef Bethe. Das wäre abermals ein Zuwachs um mehr als elf Prozent.

Nur: Die komplette Logistik hatte sich zuletzt auf geringere Importe eingestellt. In Amsterdam und Rotterdam warteten Schiffe derzeit locker zwei Wochen, bis sie entladen werden. "Da fehlt das Personal", sagt Bethe. Obendrein werden die Schiffe größer, je weitere Strecken sie überwinden müssen. Ein sogenanntes Capesize aus Australien mit seinen 17 Metern Tiefgang könne aber nur in wenigen Häfen Europas entladen werden, was die Logistik noch zusätzlich fordert.

Obendrein ist Steinkohle nicht gleich Steinkohle. Die Heizwerte unterscheiden sich und auch der Schwefelgehalt. Letzterer sei bei russischer Kohle niedrig, bei amerikanischer Kohle aber hoch - deshalb habe man beide so gerne gemischt, sagt Steag-Mann Riezler: "Kohle ist eben ein Naturprodukt." Kolumbianische Kohle könne das Gemisch nun ersetzen, mit ein paar Umstellungen. Und bei der deutschen Steinkohle sei das ja einst auch gelungen: der komplette Verzicht.

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