Elf-Aquitaine-Prozess beendet:"Korruption war kein Delikt mehr"

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In einem der spektakulärsten Prozesse Frankreichs sind die Plädoyers gehalten. Die drei Hauptangeklagten im Korruptionsskandal des ehemaligen Staatsbetriebes entschuldigen ihre Verfehlungen mit den Gepflogenheiten im Konzern.

Michael Kläsgen

(SZ vom 8.7.2003) — Knapp vier Monate sind vorbei, 50 Verhandlungstage verstrichen, am gestrigen Montag wurde das letzte Plädoyer gehalten. Der Elf-Prozess in Paris, der größte Korruptionsprozess der französischen Geschichte, geht zu Ende.

Frühestens für September wird das Urteil erwartet. 37 Personen sind angeklagt, seit Anfang der achtziger Jahre insgesamt etwa 400 Millionen Euro aus den Kassen des früheren Staatskonzerns Elf-Aquitaine unterschlagen und sich persönlich bereichert zu haben.

Allein in der Zeit von 1989 bis 1993, als Loïk Le Floch-Prigent den Öl-Multi führte, sollen 183Millionen Euro veruntreut worden sein.

Acht Jahre hatten Staatsanwälte ermittelt und die Elf-Geschäfte zwischen Venezuela und Großbritannien untersucht. Die Leuna-Affäre bildete dabei nur einen Randaspekt. Immer wieder behaupteten die Angeklagten, dass sich auch Politiker bedient hätten und mit der schwarzen Kasse von Elf "Landschaftspflege" betrieben worden sei.

Alfred Sirven, Le Flochs Vertrauter, hatte gar gedroht, er könne mit seinem Wissen "die französische Republik 20 Mal in die Luft sprengen". Doch noch steht die Republik. Zwar ließ sich der diffuse Verdacht, Politiker seien bestechlich gewesen, nicht ausräumen.

Ein Netz von Schwarzgeldkonten

Aber am Ende des Verfahrens drängte sich auch den Staatsanwälten die Vermutung auf, diese Andeutungen könnten den Beschuldigten vor allem dazu gedient haben, von ihrem eigenen Vergehen abzulenken. Über ein Netz von Schwarzgeld-Konten mit teils skurrilen Namen wie "Tomate" oder "Languste" sollen sie vor allem in die eigene Tasche gewirtschaftet haben.

Die Staatsanwaltschaft hat deshalb für die drei Hauptangeklagten harte Strafen beantragt. Le Floch, der nach dem ersten Elf-Prozess um den ehemaligen Außenminister Roland Dumas wie Sirven bereits inhaftiert ist, soll für insgesamt fünf Jahre ins Gefängnis und 380.000 Euro zahlen.

Sirven und André Tarallo, unter Le Floch die Nummer zwei bei Elf, drohen jeweils acht Jahre Haft und eine Geldstrafe von fünf Millionen Euro. Das belastende Material ist so erdrückend, dass die Verteidiger ebenfalls auf schuldig plädieren — wohl um das Strafmaß zu verringern. Sie berufen sich dabei auf die "Naivität" ihrer Mandanten.

Was aufmerken lässt, denn der 59-jährige Le Floch leitete vier französische Großunternehmen, der 75-jährige Sirven kämpfte in der Resistance und im Korea-Krieg und tauchte schließlich nach dem Auffliegen der Affäre auf den Philippinen unter. Und Tarallo, 76, soll die Geschicke afrikanischer Staaten nicht zuletzt über den Präsidenten von Gabun, Omar Bongo, maßgeblich beeinflusst haben.

Gefangene des Systems

Doch die Anwälte argumentierten, die drei seien quasi Gefangene eines Systems gewesen, dessen Gerüst schon in den fünfziger Jahren unter Präsident Charles de Gaulle entstanden sei. In der Tat wurden unter de Gaulle bei Elf schwarze Kassen eingeführt, um sich damit Wettbewerbsvorteile gegenüber Konkurrenten zu verschaffen.

Öl war schon damals nicht irgendein Rohstoff, sondern ein Mittel, über dessen Besitz man sich international Einfluss verschaffen konnte. Nur dass die drei Männer offenbar nicht allein andere bestachen, sondern selber zulangten. Gewisse Entgleisungen gaben sie offen zu.

Sirvens Anwalt Pierre Haïk versuchte dies damit zu erklären, dass bei Elf damals alles erlaubt gewesen sei: "Übertretungen waren an der Tagesordnung, und Korruption war kein Delikt mehr."

Die Staatsanwaltschaft sprach hingegen von einer "systematischen Plünderung, deren Ausmaß einen schwindlig mache". Le Floch sei derjenige gewesen, der zwar das System nicht etabliert, es aber gebilligt habe. Sirvens Aufgabe sei es gewesen, für den Geldfluss zu sorgen.

Und an "Monsieur Afrique", André Tarallo, sei bei Elf niemand vorbeigekommen. Lebhaft wurde es in der elften Kammer des Pariser Strafgerichts, als ein Nebenkläger von Elf auftrat und behauptete, das "Trio" habe den Konzern in Sack und Asche gewirtschaftet, ihn als "Goldesel" missbraucht und das Image des Unternehmens ruiniert.

So gut sich die drei Angeklagten noch vor zehn Jahren verstanden haben mögen, so stark hatte sich ihr Verhältnis im Gerichtssaal abgekühlt. Dort feindeten sie sich an und würdigten sich kaum eines Blickes. Sirven rechnete mit Le Floch ab, beschuldigte ihn, von allem gewusst zu haben und der Auftraggeber gewesen zu sein. Seine eigene Rolle spielte er herunter, oder er berief sich auf Gedächtnislücken.

Le Floch, mal gefasst, mal larmoyant, wies jegliche Verantwortung von sich, stellte sich als Sündenbock dar und sprach davon, öffentlich gelyncht zu werden. Wohl kaum ein Spitzen-Manager ist tiefer gefallen als er. Statt in einer Konzernzentrale sitzt er in einer Zelle vor den Toren von Paris und darf nur seine Familie und seinen Anwalt sehen.

Gepeinigt von einer schweren Schuppenflechte pendelt er mehrmals wöchentlich vom Gefängnis ins Krankenhaus oder ins Gericht, wo er Sätze sagt wie: "Ich habe das alles nicht für mich gemacht, sondern für Elf." Dabei ist bekannt, dass Le Floch seine Ehescheidung von Elf bezahlen ließ.

Fast fünf Millionen Euro soll seine Frau als eine Art Schweigegeld erhalten haben: Wohnungen in Paris und London, eine Limousine und eine Monatsrente von 5000 Euro. Le Floch selbst ließ sich ein 816 Quadratmeter großes Anwesen im 16.Pariser Arrondissement im Wert von 9,3 Millionen Euro kaufen, dabei verfügte er bereits über eine 300 Quadratmeter große Dienstwohnung.

Auch Sirven gönnte sich ein Schloss und kleinere Residenzen. Und selbst für die Gartendekoration musste die Konzernkasse offenbar herhalten.

Kurz vor Ende der Plädoyers wurde es noch einmal spannend, als die in ihr Heimatland Norwegen zurückgekehrte ehemalige Untersuchungsrichterin Eva Joly wieder in Paris auftrat und ihr Buch zum Fall präsentierte.

Dessen These: Korruption herrsche in den angesehensten Konzernen, nur leider sei sich niemand dessen bewusst. Der Verkauf wurde erst vom Montag an gestattet, damit der Elf-Prozess nicht beeinflusst werden konnte. Auf einen Beleg der These Jolys warten manche gebannt.

Denn zumindest für den Elf-Prozess gilt, dass das Verfahren im Bewusstsein vieler Franzosen weit über die vermeintlichen Verfehlungen von 37 Personen hinausgehen. Gerichtet wird demnach auch über die Ära der zweiten Amtszeit François Mitterrands, als Korruption in Staatsunternehmen angeblich häufiger vorkam.

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