Süddeutsche Zeitung

Elektrotechnik:Überall zu Hause

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Die saarländische Hager-Gruppe stellt Schaltschränke, Rauchmelder und Stecker her - und macht damit Milliarden-Umsätze. Das Geschäft läuft so gut, dass es für das Familienunternehmen fast ein Problem ist.

Von Elisabeth Dostert, Blieskastel

Irgendwas muss immer angeschafft werden. 70 bis 100 Millionen Euro gibt die saarländische Elektrotechnik-Gruppe Hager jedes Jahr für Maschinen und Gebäude aus. Die Erweiterung am Hauptsitz in Blieskastel ist bald fertig: drei Stockwerke, ein Untergeschoss, insgesamt 1750 Quadratmeter. Für Familienunternehmen wie Hager sind Neubauten ein zementiertes Lebenszeichen: Wer wächst, wer Erfolg hat, der braucht Platz.

Die Gruppe ist in den vergangenen Jahren kräftig gewachsen. Der Bau boomt und mit ihm die Geschäfte. Das Familienunternehmen stellt Zählerschränke her, Kabelkanäle, Lichtschalter, Bewegungsmelder, Klemmen, Steckdosen, Rauchmelder, Videosprechanlagen für die Haustür, Energiespeicher, Ladesäulen für Elektroautos und vieles mehr - Dinge, die in fast jedem Haus stecken und ohne die vieles nicht funktioniert. "Wir bieten die komplette Elektroinstallation für Wohn- und Zweckgebäude", sagt Firmenchef Daniel Hager, 47. Trotzdem kennt die Firma nicht jeder, denn auf den Produkten steht kein gut sichtbarer Markenname, wie auf dem Fernseher, dem Backofen oder dem Kühlschrank.

"Wir hoffen, dass wir im vergangenen Jahr 2,2 Milliarden Umsatz geschafft haben", sagt der Unternehmer. Als er 2008 Vorstandschef wurde, waren es noch 1,3 Milliarden Euro. Damit gehört Hager zu den größten deutschen Familienunternehmen. Ohne Zeitarbeiter, deren Zahl Hager nicht nennen will, beschäftigt die Gruppe 11 500 Mitarbeiter, davon 3200 in Deutschland, allein 1300 in Blieskastel. Hager ist ein klassischer Mittelständler, Eigentum und Leitung liegen in der Hand einer Familie. Kindergarten, Angst und Mittelstand - diese Begriffe sind so typisch für Deutschland, dass sie häufig nicht einmal übersetzt werden. "Für mich ist Mittelstand eine Haltung, die von der Familie getragen wird", sagt Hager. Er trat 2003 in die Firma, nach dem Wirtschaftsstudium und Stationen bei anderen Firmen. Verluste habe die Gruppe nie gemacht. Sie sei komplett eigenfinanziert. Auch das ist typisch für deutsche Mittelständler.

Die Rahmenbedingungen für ein weiteres Wachstum sind gar nicht so schlecht

Familienunternehmen wie Hager gibt es überall - in den Großstädten und auf dem Land, selbst dort, wo man glaubt, dass nach einer langen Bahnfahrt durch Wiesen und Wälder gar nichts mehr kommt, kommt eine Fabrik. Nach Blieskastel hat es die Hagers Anfang der 80er-Jahre verschlagen, am alten Standort in Ensheim wurde es zu eng. 2013 wurde er ganz aufgegeben. Das Werk in Blieskastel wuchs und wächst.

Die Rahmenbedingungen für ein weiteres Wachstum der Gruppe sind gar nicht so schlecht, auch wenn dem Chef zu jedem positiven Faktor sofort ein "Aber" einfällt. Es ist die Klage eines Mittelständlers über die Politik und die Faktoren, die er selbst nicht bestimmen kann - von denen aber seine Zukunft abhängt. Mittelstandsalltag. Es gibt viele Trends, von denen Hager profitieren könnte: Urbanisierung, Digitalisierung, Software, Klimapaket, Elektromobilität. Der Bauboom dauere an, schon wegen der niedrigen Zinsen und der Wohnungsnot in den Großstädten. Renovierung und Sanierung seien relativ krisenfest. Und es gebe einen "Riesenstau", der abgearbeitet werden müsse. "Im Elektrohandwerk gibt es Wartezeiten von drei bis vier Monaten", sagt Hager. "Die Projekte sind da, aber wir kriegen die PS nicht auf die Straße."

Auch die Häuser werden immer vernetzter. Wobei: "Es muss nicht jeder Schalter ferngesteuert sein", findet Hager. Die Digitalisierung schafft auch Probleme. "Die vernetzte Welt wird nicht allein von uns bestimmt." Die Gruppe hat schlechte Erfahrungen gemacht: Rauchmelder mussten wegen eines Softwareproblems vom Markt genommen werden. Sie waren mit den Systemen anderer Hersteller vernetzt und die Schnittstelle zu deren Software funktionierte nicht. Das ist bei vielen Produkten so, sie müssen mit den Produkten anderer Hersteller kommunizieren.

Und dann sind da die politischen Unsicherheiten: "Die Wirtschaft braucht Klarheit. Wir verkaufen keine iPhones", sagt Hager: "Elektrotechnik ist ein standardgetriebenes Geschäft. Unsere Produkte werden für die nächsten 30,40 Jahre hergestellt." Heißt: Solange über Standards nicht entschieden ist, warten die Firmen mit eigenen Investitionen ab und die Kunden auch. Manchmal klingt Hager wie ein Lobbyist, und das ist er auch. Er ist Vorsitzender im Fachverband Elektroinstallationssysteme im Zentralverband der Elektrotechnik- und Elektroindustrie (ZVEI).

Es gibt gute Ideen, am Klimapaket findet Hager durchaus gefallen. "Ohne Elektrotechnik ist die Energiewende nicht zu schaffen." Seine Industrie habe viele Lösungen zu bieten. Aber es gibt Pläne, die klingen nur gut, sind aber vielleicht unrealistisch. Hager erläutert das an einem Beispiel, den Plänen zum Aufbau einer Lade-Infrastruktur für Elektroautos. Hager hat selbst Ladesäulen entwickelt. "Wenn sie eine Million Ladesäulen bis 2025 in Deutschland aufstellen wollen, müssen jeden Tag 360 Stück installiert werden", rechnet er vor: "Dafür gibt es nicht genügend Handwerker, ganz zu schweigen von den langwierigen Genehmigungsverfahren."

In den vergangenen Jahren sind viele regionale Anbieter verschwunden

In Blieskastel stellt die Gruppe unter anderem Zählerkästen in allen möglichen Größen und Ausstattungen her, 2019 waren es 370 000 Stück. Die Produktfamilie ist der größte Umsatzbringer. Allein 5700 Tonnen Stahl verbrauchte Hager nach eigenen Angaben für die Zählerkästen. Der größte Produktionsstandort befindet sich im elsässischen Obernai, knapp zwei Stunden Autofahrt entfernt. Weltweit wird an mehr als 20 Standorten produziert. "Es gibt viele länderspezifische Standards und Normen, weil die Elektrifizierung national betrieben wurde", erzählt Hager. In den vergangenen Jahren habe sich der Markt konsolidiert, viele regionale Anbieter seien verschwunden. An der Marktbereinigung hat sich auch die saarländische Gruppe beteiligt. Durch Übernahmen kamen Marken wie Berker und Daitem dazu oder Ende 2017 der Energiespeicherspezialist E3/DC. Es gibt laut Hager ein paar überregionale Konkurrenten wie ABB in Deutschland, Legrand und Schneider in Frankreich und Siemens in Großbritannien - alles börsennotierte Konzerne. Rund 90 Prozent seiner Erlöse macht Hager in Europa, gut die Hälfte allein in Frankreich und Deutschland.

Hager verkauft seine Ware ausschließlich über den Elektrofachhandel. "Der Elektriker entscheidet über das Fabrikat", sagt Hager. Da zähle der Preis, "aber nicht nur". Die Gruppe pflege einen "engen Draht" zu den Handwerkern, sie werden geschult. In den vergangenen Jahren sei die Gruppe im Schnitt um zwei bis fünf Prozent gewachsen, allein 2019 waren es sieben Prozent. "Aber die Trauben fallen einem nicht einfach in den Mund. Man muss schon hart dafür arbeiten."

Was Hager dann beschreibt, das ist wohl eine Art Wachstumsschmerz. "Unsere größte Baustelle ist es, mit dem Wachstum zu wachsen", sagt Hager: "Sie müssen Mitarbeiter haben, die das Wachstum mittragen. Ein Unternehmen ist wie ein Zirkuszelt. Sie brauchen starke Stämme, an denen sie das Zelt aufziehen können." Es fällt nicht leicht, Mitarbeiter zu finden. Allein in Deutschland habe die Gruppe derzeit 140 offene Stellen. Der Fachkräftemangel sei mittlerweile ein weltweites Problem.

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Quelle:
SZ vom 21.01.2020
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