Elektroschrott:So will Apple den Smartphone-Schrott retten

Damaged display on smartphone

Auch kaputtes Handys sind noch etwas wert - theoretisch. Denn die Rohstoffe aus den Smartphones zu gewinnen ist oft schwierig.

(Foto: blackday - Fotolia)
  • 60 verschiedene Rohstoffe stecken in Smartphones, darunter 30 Metalle. Doch sie aus den Geräten zu befreien ist schwierig.
  • Apple hat nun einen Roboter entwickelt, der die seltenen Stoffe aus alten Geräten entfernt.
  • Solche Ansätze sind vielversprechend, doch es gibt ein Problem: Die Kapazitäten sind begrenzt - und die Nachfrage nach neuen Geräten nimmt kein Ende.

Von Sebastian Jannasch, Amsterdam

Er ist gut 30 Meter lang, hat 29 Arme und soll im Takt von elf Sekunden eines der größten Probleme der Elektronikindustrie lösen. Liam heißt die neueste Entwicklung aus dem Ideenlabor von Apple. Nach drei Jahren Forschung wollen die amerikanischen Entwickler nun mit dem Roboter den Elektronikmarkt aufräumen, buchstäblich. Denn Liam wurde geschaffen, um iPhones in kürzester Zeit in ihre Bestandteile zu zerlegen: Aus Akku, Kamera, Vibrationsmodul und Display können so Inhaltsstoffe wie Metalle und Glas leichter wiedergewonnen und für neue Geräte verwendet werden. Zurzeit gehen wertvolle Rohstoffe oft in die Müllverbrennung oder enden als Straßenbelag.

Der Erfolgszug der Smartphones hat eine schmutzige Kehrseite: Überall auf der Welt wachsen Elektromüllberge. Verbraucher schließen Handyverträge, die ihnen im Jahresrhythmus die neuste mobile Technik beschert. Die alten Geräte landen im Hausmüll oder werden aus Angst vor Datenraub in die Schublade gesteckt. In Deutschland liegen dem Branchenverband Bitkom zufolge 100 Millionen Handys ungenutzt herum. Insgesamt wurden 2013 knapp 160 000 Tonnen Elektroschrott aus IT-Geräten eingesammelt.

Die Branche hat diese Umweltsünde erkannt. "Es gibt zunehmend Druck von den Verbrauchern, umweltbewusster zu produzieren, Energie zu sparen und Recycling voranzutreiben", sagt Tom Dowdall, Elektronikexperte bei Greenpeace. Die Lösung könnte dabei im Problem liegen: Die Altgeräte sind wahre Rohstofflager. 60 verschiedene Stoffe, darunter 30 Metalle stecken in Smartphones. Allein in den im Jahr 2015 in Deutschland verkauften gut 26 Millionen Smartphones schlummern wahre Schätze, die noch immer nicht vollständig gehoben werden.

Mehr Handys verkaufen und die Natur schützen: Das geht noch nicht

"Die Gewinnung der Rohstoffe belastet die Umwelt enorm und findet oft unter menschenverachtenden Arbeitsbedingungen statt", sagt Johanna Sydow von der Umweltorganisation Germanwatch. Kinderarbeit in Bergwerken und mangelnde Sicherheitsvorkehrungen sind keine Seltenheit. Wichtige Metalle wie Gold, Zinn und Wolfram kommen teils aus Bürgerkriegsgebieten wie dem Kongo, wo Warlords mit dem Rohstoffhandel ihre Kämpfe finanzieren. Umweltschützer setzen ihre Hoffnung deshalb auf die urbane Mine: die Wiedergewinnung der Stoffe durch Recycling.

Apples Ingenieure glauben, mit Roboter Liam den richtigen Weg gefunden zu haben. In einem niederländischen Industriepark zwischen Amsterdam und Antwerpen arbeitet Liam seit einigen Tagen in einem fensterlosen Fabrikgebäude daran, defekten iPhones ihre Bestandteile zu entnehmen. Zunächst wird das Gehäuse aufgespalten, um Display und Rumpf zu trennen und den Akku zu lösen. Anschließend beugen sich präzise programmierte Roboterarme über die winzigen Schrauben, saugen sie heraus, um an die Innereien mit den begehrten Inhaltsstoffen zu gelangen. Dann dreht, zieht und klickt der Roboter die Einzelteile wie Lautsprecher, Kameras und Vibrationsmodul aus der Schale und sortiert sie in getrennten Auffangboxen.

Die Initiative ist mehr als PR, sagen selbst Apple-Kritiker

Was selbstverständlich erscheint, ist neu beim Recycling von Elektromüll. In großen Aufbereitungsanlagen werden Handys üblicherweise zusammen mit anderem Elektroschrott zu einer heterogenen Masse geschreddert, die anschließend nach Metallen gefiltert wird. "Am besten wäre es, alle Geräte in ihre Einzelteile zu zerlegen, um die enthaltenen Stoffe rein und in hoher Konzentration wiederzugewinnen", sagt Ronald Philipp vom Verband der Entsorgungswirtschaft. So könnten die Rohstoffe schnell wieder in den Kreislauf zurückkehren.

Elektroschrott: SZ-Grafik; Quelle: Eigene Berechnungen, Öko-Institut (Schätzungen), Bitkom

SZ-Grafik; Quelle: Eigene Berechnungen, Öko-Institut (Schätzungen), Bitkom

Derzeit gehen einige Stoffe sogar ganz verloren, wie zum Beispiel die gefragten Seltenerdmetalle Praseodym und Neodym, die in Smartphones unersetzlich sind. Eine Wiedergewinnung wäre möglich, ist aber angesichts der niedrigen Marktpreise unwirtschaftlich. Die Kalkulation könnten Entwicklungen wie Liam ändern. Durch die gezielte Sammlung der Bestandteile stehen die Rohstoffe in größerer Masse und höherer Qualität zur Verfügung - und werden so interessant für spezialisierte Recycler.

Mit seiner Umweltinitiative beweist Apple einmal mehr sein Gespür für Trends und geschicktes Marketing. Nachdem der Konzern jahrelang von Umweltaktivisten für die ausbeuterische und energieintensive Produktion in China gescholten worden ist, will sich Apple unter Chef Tim Cook nun an die Spitze der Bewegung zu einer nachhaltigen Produktion setzen.

Apples Umweltbilanz ist bei Weitem nicht makellos

Auf seiner Website präsentiert der Konzern seine Erfolge bei der Öko-Wende: 93 Prozent des Strombedarfs für Büros, Stores und Rechenzentren werden aus erneuerbaren Energien gedeckt, giftige Stoffe wie Quecksilber wurden aus den Geräten getilgt, die klimaschädlichen Emissionen je Gerät sinken. "Was wir am besten können, ist Innovation. Im Produktdesign haben wir das bewiesen, nun wollen wir es in gleicher Weise bei der Herstellung zeigen mit dem Ziel, die Auswirkungen auf die Umwelt zu reduzieren", sagt Lisa Jackson der Süddeutschen Zeitung. Die 54-Jährige verantwortet seit 2013 Apples Umweltprogramm. Zuvor führte sie in Obamas Kabinett die Umweltbehörde EPA. Tatsächlich gestehen sogar Kritiker ein, dass die Initiativen für die Natur mehr sind als PR. "Was den Einsatz von erneuerbaren Energien und die Entfernung von toxischen Stoffen aus den Handys angeht, liegt Apple vor Wettbewerbern wie Samsung", sagt Tom Dowdall von Greenpeace.

Und doch ist Apples Öko-Bilanz bei Weitem nicht makellos. Vor allem die Produktion verschlingt weiter enorme Energie: Knapp 80 Prozent von Apples 38,4 Millionen Tonnen CO₂ entfallen auf Rohstoffgewinnung und Fertigung. Hier sieht Apple vor allem seine Zulieferer in der Pflicht. "Mit unserer Unterstützung sollen sie investieren. Neue Kapazitäten für erneuerbare Energien müssen aufgebaut werden", sagt Lisa Jackson. So will Apple dafür sorgen, dass in den nächsten vier Jahren zwei Gigawatt sauberer Energie in China installiert werden.

Doch der Konzern steckt in einem Dilemma: Anleger erwarten Produktneuheiten, die Kunden ins Staunen und möglichst zum Kaufen bringen. Das wiederum kurbelt die Nachfrage nach Ressourcen an. Der Wachstumskurs lässt Apples Gesamtausstoß von Treibhausgasen bislang weiter steigen. "Das Geschäftsmodell der Branche ist weit davon entfernt, nachhaltig zu sein", sagt Tom Dowdall. Ein Ausweg wären Handys, die auch ohne Roboter leicht zu reparieren sind. Ein niederländisches Start-up kommt diesem Ziel mit seinem Fairphone am nächsten. Bisher ist es aber nur ein Nischenprodukt.

Vorerst ruhen die Hoffnungen auf dem Recycling. Damit künftig mehr Altgeräte richtig entsorgt werden, greift von Ende Juli an ein Gesetz in Deutschland, das große Elektronikmärkte dazu zwingt, Handys auch dann zurückzunehmen, wenn kein neues Gerät gekauft wird. Ob die Rohstoffe anschließend wieder in Telefonen landen, hängt auch davon ab, ob Apples Vorstoß in der Branche Schule macht. Denn Apples Roboter in den Niederlanden und in Kalifornien können pro Jahr nicht mehr als 2,4 Millionen iPhones zerlegen. Im vergangenen Jahr verkaufte der Konzern mehr als 230 Millionen Handys.

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