Elektronische Versicherungen:Wunsch und Wirklichkeit

In der Welt der digitalen Versicherung hakt es häufig. Eine britische Firma will das ändern und einen Knoten zwischen Startups und etablierten Versicherern aufbauen. Große Akteure sind schon mit an Bord.

Von Herbert Fromme, Köln

Die neue Versicherungswelt klingt fantastisch: Versicherung ohne Papierkram, nur per App, Internet oder Mail? Ganz einfach, werben Startups wie Knip, Clark, Finanzchef24 oder Asuro. Den besten Preis finden Kunden über elektronische Vergleichsplattformen wie Check24 oder Verivox, das zumindest sagen die Plattformen. Auch Versicherer wie Allianz, Axa und Generali bieten elektronische Versicherungsordner und Online-Abschlüsse.

Die neue elektronische Versicherungswelt hat allerdings einen großen Makel - es hakt bei der Datenkommunikation an allen Ecken und Enden. Die angeblich so einfache Einrichtung des digitalen Versicherungsmanagements, die Startups versprechen, kann Monate dauern. Das liegt nicht daran, dass die neuen Unternehmen schlechte Software haben, im Gegenteil, sie ist meist clever. Vielmehr ist der Datenaustausch mit den Versicherern langwierig und kompliziert. Unter der Motorhaube der digitalen Versicherung sieht es ziemlich schmutzig aus.

Der britische Spezialanbieter Acturis will das ändern. Die deutsche Tochter sitzt in einem schmucklosen Zweckbau in Grafschaft im Ahrtal, weit weg von den Lofts in Berlin, die typisch sind für die Fintechs oder Insurtechs, wie sich die neuen Anbieter im Finanz- und Versicherungsbereich nennen. Und doch ist das Unternehmen in der rheinland-pfälzischen Provinz für die Digitalisierung der Versicherungswirtschaft sehr wahrscheinlich wichtiger als die meisten anderen Startups.

Acturis baut eine zentrale Abwicklungsplattform für Versicherer, Makler, Agenturen, Online-Anbieter, Vergleichsplattformen - kurz alle, die Versicherungen anbieten oder verkaufen. In Großbritannien und den Benelux-Ländern funktioniert das schon, in Deutschland noch nicht.

"Jeder Vermittler und jedes Vergleichsportal braucht Verbindungen zu zahlreichen Versicherern, das sind unendlich viele Verbindungen, die hergestellt werden müssen", sagt Deutschlandchef Marc Rindermann. Technisch geht das über Übersetzungsprogramme, sogenannte Schnittstellen. "Diese Vielzahl ist betriebswirtschaftlich Unsinn und technisch nicht nötig." Gelingt es, eine zentrale technische Plattform in der Mitte zu platzieren, wird die Digitalisierung sehr viel billiger und für zahlreiche Anbieter mit Uralt-Systemen überhaupt erst möglich, sagt Rindermann.

Acturis baut eine Plattform für alle, die Versicherungen anbieten oder verkaufen

"Viele Anbieter haben IT-Systeme, die 20 oder 30 Jahre alt sind", sagt er. "Da stellt sich die Frage, ob ein Versicherer ein neues Angebot beispielsweise für die Hausratversicherung mit allen Problemen auf diesen Systemen einrichten will, oder ob er einen Dienstleister beauftragt, der den gesamten Betrieb inklusive Policenausstellung und Inkasso erledigt." Will der Versicherer das machen, muss er seine neue Hausratpolice mit hohem technischen Aufwand für Vermittler digital zugängig machen und in einem weiteren Schritt für die Anforderungen der Vergleichsportale anpassen. Viele Anbieter sind dazu technisch kaum in der Lage.

Auch für große Anbieter, deren IT schon moderner ist, macht es Sinn, ihre Angebote auf die Plattform zu stellen. In Großbritannien arbeiten Weltmarktgrößen wie Allianz, Axa und AIG auf der Acturis-Plattform. In Deutschland bereitet die Axa das vor. Im August 2016 soll es so weit sein.

Das Prinzip funktioniert nur, wenn in der Mitte eine Firma sitzt, die nicht selbst Versicherungen verkaufen will, also keinerlei Provisions- und Vertriebsinteresse hat.

Die Briten waren klug genug, den Angriff auf den deutschen Markt nicht von der grünen Wiese aus zu starten. Sie kauften zwei bestehende Unternehmen: Das Softwareunternehmen Assfinet bietet seit 25 Jahren Verwaltungsprogramme für Versicherungsmakler an, rund 5700 Vermittler arbeiten mit der Software. Rindermann ist einer der Gründer und neben seiner Acturis-Rolle weiter Chef der Tochter.

Außerdem übernahm Acturis das Vergleichsportal NAFI in Höxter, auf dem Kunden kostenfrei Preise von Autoversicherungen vergleichen, die Versicherungen aber nicht abschließen können. NAFI lebt deshalb nicht von Provisionen für Versicherungsabschlüsse, sondern von Gebühren für die Markt- und Preisanalysen, die das Unternehmen für Versicherer und Vertriebe erstellt.

"Wir arbeiten seit vielen Jahren an der Schnittstellenproblematik, um verschiedene Systeme zusammen zu bringen, und haben auch Initiativen für die Vereinheitlichung mit gegründet", sagt Rindermann. Dazu gehörte 2006 die Brancheninitiative Prozessoptimierung. "Aber auch die beste Schnittstelle bringt enorm viele Probleme mit sich", sagt er. "Da gibt es Dubletten, falsche Daten, falsche Zuordnungen, da muss dann sehr viel nachgearbeitet werden."

Kann sich das Unternehmen mit seiner Plattform etablieren, könnte das weitreichende Konsequenzen für den Versicherungsmarkt und die Verbraucher haben. Denn die Digitalisierung wäre dann kein Alleinstellungsmerkmal der mittleren und großen Versicherer mehr - auch kleine Anbieter mit älteren IT-Systemen könnten mitmischen. Und für die Kunden würden die Versprechen vieler Startups, das Versichern künftig einfacher und schneller geht, auch Wirklichkeit.

Acturis-Deutschlandchef Rindermann zeigt sich denn auch selbstbewusst: "Wir sind viel weiter in der Digitalisierung als viele Startups".

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: