Süddeutsche Zeitung

Elektromobilität:Grüne Batterien

Wie klimafreundlich sind Elektrofahrzeuge wirklich? So viel ist sicher: Der Stand der Diskussion hinkt dem Stand der Technik hinterher. Denn es hat sich viel getan. Alle deutschen Autohersteller und die großen Zulieferer schwenken auf Nachhaltigkeit um.

Von Joachim Becker

Oldtimer ab Werk: Der letzte Trabi war pink und fuhr direkt ins Museum. 34 Jahre lang war Zwickau für seine Zweitakter eher berüchtigt als berühmt. Knatternd und stinkend zogen die Nuckelpinnen ihre bläulichen Ölfähnchen durch's Land. Was an Viertaktern folgte, war vermeintlich sauberer. Doch VW Polo & Co werden an den kommenden Abgashürden scheitern. Bis 2030 muss der CO₂-Ausstoß auf 55 Gramm pro Kilometer fast halbiert werden: "Das ist mit reinen Verbrennern definitiv nicht erreichbar", sagt Volkswagen-Konzernchef Herbert Diess. Deshalb steht am sächsischen Traditionsstandort nun Europas größtes E-Werk.

Schichtende nach mehr als 100 Jahren: Statt Verbrenner laufen in Zwickau nun täglich 300 Stromer vom Band. Wenn die Fabrik unter Volllast produziert, werden es drei Mal so viele sein. "Zwickau ist das Herz unserer Elektro-Offensive", jubelt VW-Markenchef Ralf Brandstätter. Die Herzschrittmacher (um im Bild zu bleiben) werden mit Ökostrom betrieben. Das Prinzip: Energieverbrauch in der Produktion vermeiden, erneuerbare Energien nutzen, unvermeidbare Emissionen kompensieren. Kritiker halten die Öko-Idylle für ein nettes Märchen. Denn in der Vorkette können hundert Mal so viele Klimagase entstehen. Erst ab 2024 will die EU Angaben zum CO₂-Fußabdruck der Batterien vorschreiben. Das macht die Stromer angreifbar.

Alte Zahlen in den Datenbanken machen Elektrofahrzeuge schlechter als sie heute sind

Tatsächlich kann die Produktion eines Elektroautos doppelt so viel Energie benötigen wie die eines Verbrenners. Nach VW-Angaben verursacht ein ID 3 mit 62 Kilowattstunden (kWh) Akkukapazität in der gesamten Entstehungsphase 13,7 Tonnen CO₂, während ein vergleichbarer Golf 8 Benziner nur auf 6,8 Tonnen kommt. Diesen Startnachteil holt der Stromer in der Nutzungsphase (200 000 Kilometer) auf. Selbst mit dem europäischen Strommix hat er am Ende seiner Lebenszeit in der Gesamtbilanz zehn Tonnen CO₂ weniger im Klimarucksack. Trotzdem tappt der Verein Deutscher Ingenieure (VDI) - wie viele vor ihm - in die Retro-Falle: "Politik und Teile der Industrie setzen voll auf den batterieelektrischen Antrieb. Die neue VDI-Studie 'Ökobilanz von Pkws mit verschiedenen Antriebssystemen' zeigt jedoch, dass eine solche einseitige Fokussierung eher kontraproduktiv für die Umwelt ist."

Zu dieser Einschätzung kann nur kommen, wer in den Rückspiegel statt nach vorne schaut. Die VDI-Autoren um Prof. Thomas Koch, einem Experten für Dieselmotoren am Karlsruher Institut für Technologie (KIT), geben zu, dass viele Informationen aus den Datenbanken drei Jahre alt oder älter sind. Aber was nützen historische Mittelwerte beim Strommix, wenn in Zwickau und anderswo längst klimaneutral produziert wird? Der größte Nachteil der Stromer ist momentan, dass sie sich noch nicht aus geschlossenen Recyclingketten bedienen können. "In 15 bis 20 Jahren werden wir in der idealen Elektrowelt leben", prognostizierte Stefan Sommer, der bis zum Juni dieses Jahres VW-Einkaufschef war: 90 Prozent der Rohstoffe würden dann recycelt - bei Batteriezellen genau wie heute schon bei Motorenteilen. Am VW-Standort Salzgitter werden Akkus bereits wiederaufbereitet. Aber nur in einer kleinen Pilotanlage, weil noch gar nicht genug Elektroautos verschrottet werden.

"In Europa rechnen wir erst zwischen 2026 und 2028 mit einem zu recycelnden jährlichen Batterievolumen von über zehn Gigawattstunden (GWh)", so Axel Thielmann vom Fraunhofer ISI. Der Bedarf an neuen Akkus könnte allerdings um Zehnerpotenzen größer sein. Denn die EU will ihre Klimaziele bis 2030 mit 30 Millionen Elektroautos erreichen. Im vergangenen Jahr fuhren lediglich 615 000 von 243 Millionen Pkw in Europa komplett abgasfrei (ohne Plug-in-Hybride). Das waren etwa 0,25 Prozent der gesamten Autoflotte. Wenn die Zahl der Stromer in zehn Jahren um fast das 50-fache steigen soll, dann muss es sich wirklich um "Nullemissionsfahrzeuge" handeln. Höchste Zeit also für eine Reise zurück entlang der Lieferketten. Etwa nach Wroclaw, wo Zellmodule mit Grünstrom gefertigt werden. Im früheren Breslau werden nicht nur die Güterzüge für das 500 Kilometer entfernte Braunschweig bestückt. Auch die Zellen für den Jaguar i-Pace, den Mercedes EQC und Porsches Taycan werden hier gefertigt.

Das ist erst der Anfang. Für 1,5 Milliarden Euro baut das südkoreanische Chemieunternehmen LG Chem gerade die Jahreskapazität auf mehr als 35 GWh aus. Das ist vergleichbar mit Teslas Gigafactory in Nevada und reicht für über 500 000 Elektroautos. CATL, Marktführer in China, investiert etwa zwei Milliarden Euro in Thüringen, um ab 2022 zunächst einmal BMW zu beliefern. Die Münchner sind zusammen mit VW auch an dem schwedischen Start-up Northvolt investiert. Neben der ersten Fabrik im nordschwedischen Skellefteå soll bis 2024 eine Batterieproduktion in Salzgitter entstehen. Der chinesische Konzern Svolt investiert ebenfalls zwei Milliarden Euro in eine Batteriefabrik im Saarland, um Hochvolt-Akkus im großen Stil nachhaltig zu fertigen. Und Mercedes lässt sich von der chinesischen Firma Farasis vom neuen Produktionsstandort Bitterfeld aus beliefern. Kürzere Transportwege und Grünstrom in der Zellproduktion reduzieren den CO₂-Ausstoß genauso wie energieeffiziente Fertigungsverfahren und ein energiedichterer Chemie-Cocktail.

Deutschland wird also zum Akku-Power-Haus, auch die Zellmaterialien sollen hier neu angemischt werden. Aus gutem Grund: "Für mehr als 40 Prozent des CO₂, das bei der Fertigung von Elektroautos entsteht, ist die Batterie verantwortlich. Allein die Hälfte davon entfällt auf das Kathodenmaterial", erklärte Peter Schumacher auf einer europäischen Batterie-Konferenz vor wenigen Tagen. Der Chef des BASF-Bereichs Kathodenmaterial hat alle Zahlen parat: Für ein Elektroauto mit einer (sehr großen) Batteriekapazität von 100 kWh werden allein 125 Kilogramm Kathodenmaterialien benötigt. Der momentan beliebteste Zelltyp NCM 622 (Nickel-Kobalt-Mangan-Mix im Verhältnis 6:2:2, das auch beim VW ID 3 zum Einsatz kommt) enthält mehr als 50 Prozent Nickel. Dieses Industriemetall ist zwar nicht selten, muss aber energieintensiv aus dem Berg gekratzt und raffiniert werden. Und der Strom dafür wird in Asien meistens mit Kohle erzeugt. Mit dem Ergebnis, dass ein Mittelklasse-Elektroauto über 200 000 Kilometer Laufleistung allein wegen der Kathoden ein CO₂-Äquivalent von 25 g/km erzeugt. Von wegen Nullemissionsfahrzeug.

In Schwarzheide, etwa 50 Kilometer nördlich von Dresden, wird deshalb eine neue Anlage für Kathodenmaterialien gebaut. In der Fabrik sollen in zwei Jahren auch Vorprodukte aus dem finnischen Harjavalta verarbeitet werden, ausreichend für insgesamt rund 400 000 vollelektrische Fahrzeuge: "Wir werden den Stromverbrauch bei der Fertigung in Schwarzheide um mehr als 45 Prozent gegenüber den heutigen Fertigungsstandorten in Asien senken! Auch bei der Gewinnung von Nickel wird unser finnischer Partner die Industrie-weit niedrigsten Ausstoß von Klimagasen haben", versprach Peter Schumacher auf der Batterie-Konferenz, die vom Bundeswirtschaftsministerium veranstaltet wurde. Unterm Strich sollen die Kathodenmaterialien von BASF etwa 30 Prozent weniger CO₂ verursachen als die bisher besten Produkte aus Asien. Sobald die geplante Wiederaufbereitungsanlage in Schwarzheide auf Hochtouren laufe, lasse sich der Ausstoß des Klimagases sogar um 60 Prozent reduzieren.

Alles Zukunftsmusik? BMW hat den Anteil von Sekundär-Nickel beginnend mit dem neuen i X3 bereits auf bis zu 50 Prozent erhöht. "Auch der Abbau und die Verarbeitung von Kobalt und Lithium erfolgen ökologisch und sozial nachhaltig. Davon haben wir uns bei Vor-Ort-Besichtigungen in den Minen in Australien und Marokko selbst überzeugt", erläutert BMW-Einkaufsvorstand Andreas Wendt.

Alle deutschen Autohersteller und die großen Zulieferer schwenken auf Nachhaltigkeit um; nicht nur in der Produktion, sondern auch in der Lieferkette. Firmen mit ambitionierten Klimazielen gelten als zukunftssicher, deshalb fordern Finanzanalysten zunehmend genauere Nachweise für Nachhaltigkeit. Mittlerweile wachen auch die Kunden auf. Bis zu wirklich klimaneutralen Produkten und einem Öko-Siegel für Batterien ist es aber noch ein gutes Stück Arbeit.

Nachhaltige Energie

Verantwortlich: Peter Fahrenholz

Redaktion: Katharina Wetzel

Illustration: Stefan Dimitrov

Anzeigen: Jürgen Maukner

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5147051
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 16.12.2020
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.