Elektromobilität:Deutschland hat zu wenig Lade-Stationen für E-Autos

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Ausgerechnet der vergleichsweise kleine US-Konkurrent Tesla hat vorgemacht, worum sich die deutschen Autohersteller so sehr mühen: ein recht dichtes Netz an leistungsfähigen Ladestationen in Europa. (Foto: Jens Büttner/picture alliance/dpa)

Eine Steckdose für 50 000 Einwohner: Das Netz für Elektro-Autos ist in vielen deutschen Städten im internationalen Vergleich miserabel ausgebaut. Dabei hat Tesla gezeigt, dass es gar nicht so schwer ist.

Von Max Hägler und Stefan Mayr, Stuttgart, München/Stuttgart

Gut, man könnte sagen, Solingen ist eben ein Ausreißer. Dort gibt es praktisch gar keine Möglichkeit, ein Elektroauto aufzutanken. Eine öffentliche Ladesäule pro 52 909 Einwohner. An einer Hand allein sind an diesem Ort die Steckdosen abzählbar. Vorbereitet für die Mobilität von Morgen ist diese Stadt noch nicht. Aber Solingen ist kein Ausreißer, sondern das Schlusslicht eines müden Felds. Auch im Rest der Republik ist die Ladeinfrastruktur für Elektroautos miserabel, wie eine Analyse des Car-Instituts an der Universität Duisburg-Essen zeigt, die der Süddeutschen Zeitung vorliegt: Die Forscher haben in den 50 größten deutschen Städten insgesamt nur 1897 öffentliche Ladesäulen gefunden.

"Großstädte hierzulande sind mangelhaft vorbereitet auf die Mobilitätswende", sagt Institutsleiter Ferdinand Dudenhöffer. Am besten steht noch Stuttgart da, die Heimat von Bosch, Daimler und Porsche. Dort gibt es 180 öffentliche Ladestationen, die vor allem der landeseigene Energieversorger EnBW betreibt.

In München, Nürnberg und Augsburg stehen nur insgesamt 164 Ladesäulen

Wie unzureichend das Autoland Deutschland für alternative Antriebe gerüstet ist, zeigt sich im Vergleich mit dem Ausland. In Amsterdam kommt eine Ladesäule auf 650 Einwohner. In dieser Stadt alleine stehen 1300 Ladepunkte zur Verfügung. Die Duisburger Forscher haben die Angaben der sechs wichtigsten Ladesäulen-Datenbanken des Landes verarbeitet - denn eine offizielle Tankstellenübersicht gibt es nicht.

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Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) sah sich offensichtlich außerstande, solch eine Pflichtübung zu erledigen. Vielleicht auch, weil ausgerechnet das Heimatbundesland, das sich so gern als innovative Zukunftsregion preist, besonders stromlos ist: Bayern mit den Großstädten München, Nürnberg, Augsburg ist kaum besser als die ostdeutschen Länder oder Schleswig-Holstein ausgestattet: Nur 164 öffentliche Ladesäulen stehen insgesamt in den drei Städten. "Für E-Auto-Fahrer ist Deutschland eine Wüste, die sie in extremen Gebieten meiden sollten", sagt Dudenhöffer.

"Deutsche Politik und Automobilindustrie haben die Elektromobilität verschlafen"

Der oberste E-Auto-Lobbyist Kurt Sigl, Präsident des Bundesverbands der E-Mobilität, schimpft: "Die deutsche Politik und die Automobilindustrie haben die Elektromobilität verschlafen." Man kennt die Klagen und den Zusammenhang mit dem noch geringen E-Auto-Absatz: Da es nur wenige Ladesäulen gibt, verkaufen sich die Wagen noch schlecht. Und weil es so wenige E-Wagen gibt, lohnt der Betrieb von Ladesäulen nicht.

Aber mittlerweile steht fest: Es werden immer mehr Batterieautos auf die Straßen kommen. Mehr als Hundert verschiedene Modelle hat die Industrie für die kommenden fünf Jahre angekündigt. Das Angebot steigt, und die Rahmenbedingungen werden den Wandel befördern: Fahrverbote in Großstädten und vielleicht irgendwann auch eine Pflichtquote für alternative Antriebe, die in der EU-Kommission in diesen Wochen diskutiert wird - auch wenn Brüssel zunächst einmal davon absehen will.

Um den Anschluss nicht zu verpassen, im Wortsinne, muss Deutschland aber nachsitzen und besser werden. Die Kommunen, die Autoindustrie, die Bundesregierung. Zwar gibt es seit dem Jahr 2009 einen "Nationalen Entwicklungsplan E-Mobilität", aber der sei von der Industrie "schlicht ignoriert" worden, sagt E-Auto-Mann Sigl.

Inzwischen gibt es Geld des Staates, damit die Dichte der Steckdosen höher wird, die teilweise mehr als 100 000 Euro kosten, wenn sie sich zum schnellen Laden von Autos eignen sollen. Unter anderem hat die Bundesregierung in diesem Jahr 300 Millionen Euro Fördergeld ausgeschrieben. Aus dem Topf können sich Firmen oder Kommunen bedienen - 15 000 Ladesäulen sollen damit entstehen. In drei Jahren soll das umständliche Suchen ein Ende haben, so das Ziel. Das sei alles zu langsam, sagt Sigl. Die staatlichen Investitionen in den Niederlanden oder in Norwegen für E-Mobilität seien viel höher: "Im Verhältnis zum Anspruch der Deutschen auf die Technologie-Führerschaft ist das ein Witz."

Zwar habe das Förderprogramm etwas in Bewegung gebracht. Aber neben der geringen Förderhöhe sei auch die Technik unzureichend: Sigl fordert ein mitdenkendes System, damit auch die oft befürchteten Stromnetz-Probleme in Ladespitzenzeiten in den Griff zu bekommen seien. Zudem gebe es weiterhin ein Durcheinander bei den Bezahlmethoden.

Dass sich in kurzer Zeit ein leistungsfähiges und weitverzweigtes Ladenetz aufbauen lässt, hat US-Hersteller Tesla gezeigt. An allen Autobahnen Europas stehen die sogenannten "Supercharger", die die Luxus-Autos aus Kalifornien mit Strom versorgen. Das Netz wurde sogar ohne einen einzigen Euro Subvention aus dem Boden gestampft. An dieser Stelle betonen die deutschen Konkurrenten gerne, dass Tesla ja bis heute tiefrote Zahlen schreibe.

Die deutschen Hersteller diskutieren viel - aber haben noch keine Schnelllader gebaut

Mittlerweile lästern die Manager bei Audi, BMW, Daimler oder Porsche aber nicht mehr nur über Tesla - sie versuchen nachzuziehen. Gemeinsam mit Ford haben sie nach einer unerwartet langen Wartephase nun tatsächlich eine gemeinsame Firma gegründet: Die European High Power Charging GmbH und Co. KG mit Sitz im Münchner Norden soll bis zum Jahr 2020 ein Netz mit besonders leistungsfähigen Ladesäulen über Europa legen. Vorgesehen sind 400 Schnell-Tankstellen im Abstand von etwa 130 Kilometern, die jeweils mehrere Steckdosen anbieten.

Noch in diesem Jahr soll das Joint Venture einen griffigeren Markennamen bekommen und vor allem die ersten Bauaufträge vergeben - geführt wird es aller Voraussicht nach von zwei Managern, einem vom BMW und einem von Porsche. Verhandlungen mit Grundstück-Eigentümern laufen und auch ein Förderantrag beim Bund ist gestellt. Zudem wollen Audi, BMW, Renault und die Siemens-Tochter Smatrics derzeit auf der Strecke von Amsterdam bis Wien zwei Dutzend solcher "Ultraschnell-Ladestationen" aufbauen, unterstützt durch das EU-Förderprogramm "Ultra-E".

Als Hersteller der Schnellladesäulen käme etwa die Schweizer ABB in Frage oder auch Porsche. Der Sportwagenhersteller hat gerade auf einer Messe ein schickes schwarzes, mannshohes Gerät präsentiert. Es soll auch Fahrer in großer Eile zufriedenstellen - und für Porsche ein neues Geschäftsfeld erschließen.

Allerdings: Solingen oder München werden von diesen Projekten nicht profitieren. Die Autohersteller wollen eben das Fernstraßennetz elektrifizieren. Stromrouten durch die Wüste ermöglichen, gewissermaßen.

© SZ vom 13.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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