Elektromobilität:Anspruch und Wirklichkeit

Volkswagen Group's annual general meeting in Berlin

Proteste bei der Hauptversammlung von VW in Berlin.

(Foto: Hannibal Hanschke/Reuters)

Bei der Hauptversammlung versucht VW, sich als Klimaschutz-Konzern zu inszenieren. Richtig gut klappt das nicht - auch wegen einer Schülerin.

Von Max Hägler und Angelika Slavik, Berlin

Wo Volkswagen ist, da ist auch Protest, so ist es auch an diesem Dienstagmorgen in Berlin. Der Konzern hat zur Hauptversammlung in den "City Cube" beim Messegelände geladen, aber vor dem Eingang warten erst mal ein paar Demonstranten mit wenig schmeichelhaften Flugzetteln. "VW stoppen!" steht darauf und eine Art Beschreibung des Bösen: Ruin des Klimas und Schuld am Verkehrskollaps wird dem Konzern da vorgeworfen, außerdem "Lügen und Betrug".

In den vergangenen Jahren ging es bei den Aktionärstreffen mitunter auch drinnen hoch her, es wurde geschimpft, geflucht, manch erzürnter Anteilseigner verlas sogar ein Schmähgedicht auf den Konzern und seinen Dieselbetrug. Zudem sind sie im Konzern seit einiger Zeit ohnehin besonders nervös, wann immer große Ereignisse anstehen. Im Zug der Ermittlungen nach der Dieselaffäre gab es ein paar Mal spektakuläre Koinzidenzen: Zuletzt platzte die Nachricht von der Anklageerhebung gegen den früheren Konzernchef Martin Winterkorn mitten in die aufwendig orchestrierte VW-Show bei der Automesse in Shanghai. Das sei Absicht gewesen, behaupten manche in Wolfsburg. Was sich dieser Konzern jetzt wünscht, ist, dass diese Hauptversammlung so unspektakulär wie möglich ablaufen möge. Dass es nichts gibt, das ablenkt von der Inszenierung, die VW vorgesehen hat: Der Konzern, der nun der Elektromobilität zum Durchbruch und dem Klima zur Rettung verhilft. Ein neues Unternehmen - in Moral- und Emissionsfragen gleichermaßen sauber.

Es wird anders kommen.

Zunächst aber sprechen der Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch und der Vorstandschef Herbert Diess. Sie erzählen von der großen Nachfrage nach dem neuen Elektroauto ID.3, mit dessen Fertigung noch vor Jahresende begonnen werden soll. Von der Batteriefabrik, die sie mit dem Unternehmen Northvolt in Salzgitter bauen wollen. Von der immer weiter wachsenden SUV-Sparte, jeder vierte der zehn Millionen verkauften Wagen aus den Konzernmarken entspricht dieser Gattung. Und sie referieren sehr gute Zahlen: 236 Milliarden Euro Umsatz, ein Plus im Vergleich zum Vorjahr; insgesamt will das Management 2,4 Milliarden Euro Dividenden ausschütten. Die Zahlen machen auch die meisten Aktionärsvertreter glücklich, die im Anschluss zu Wort kommen: Ein stürmisches Jahr sei das für Volkswagen gewesen, aber jetzt sehe man ein "hervorragendes Ergebnis", sagt etwa Ulrich Hocker, Präsident der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz.

Es sieht aus, als könnte die Sache tatsächlich ohne große Aufregung über die Bühne gehen. Aber dann kommt Clara Mayer. Sie sei eine der Schülerinnen, die im Rahmen der "Fridays for future"-Demonstrationen auf die Straße gehen, sagt sie gleich zu Beginn, "und das nicht, weil wir gerne schwänzen, sondern gerade weil wir in der Schule sehr gut aufgepasst haben." Ihre Generation werde die Folgen der Klimakrise zu spüren bekommen, die frühere Generationen zu verantworten hätten. Und das VW-Klimaziel, den Co₂-Ausstoß der eigenen Pkws bis 2050 auf Null zu reduzieren? Ist im Vergleich zu anderen Unternehmen ambitioniert, aber der Aktivistin reicht das nicht: "Bis dahin ist es fast doppelt so lang, wie ich bislang gelebt habe", sagt sie, 2001 geboren. "Ist das Ihr Verständnis von einem radikalen Wandel?"

Die neuen Autos als Beitrag zum Klimaschutz zu bezeichnen, erscheine ihr überhaupt widersinnig, schließlich werden die Autos immer größer und schwerer, dementsprechend steige doch der Energiebedarf - das sei beileibe nicht klimaschonend, resümiert die Schülerin und schlussfolgert: "Was Sie hier tun, ist nicht genug." Ein Vertreter des Umweltverbandes BUND sekundiert: Der Konzernvorstand solle tunlichst vermeiden, die Elektroautos grüner zu rechnen, als sie es sind.

Als der Versammlungsleiter die Redezeit begrenzt, bricht ein Sturm der Entrüstung los

Diess, ganz nüchterner Ingenieur, räumt dann tatsächlich ein: Natürlich hänge die Klimabilanz davon ab, wie groß E-Autos sind und mit welchem Strommix sie betrieben werden. Es ist, als hätte die junge Frau der "Fridays for Future"-Bewegung mit ihrer Rede etwas aufgebrochen. Als Versammlungsleiter Hans Dieter Pötsch hernach die Redezeit begrenzt auf drei Minuten, gibt es Widerstand der Redner. Es ist kein Gemecker wie sonst immer bei diesen Versammlungen, es entwickelt sich ein wahrer Sturm. Drei Minuten seien zu kurz, um Themen wie Menschenrechtsverstöße oder eben das Pro und Kontra von Elektromobilität anzusprechen, kritisieren mehrere Aktionäre. Vor allem aber gerät der Aufsichtsratsvorsitzende selbst unter Druck. Immer mehr Redner kritisieren die schwierige Rolle von Pötsch. Von einer "Zumutung für die Aktionäre", spricht einer sogar. Es geht um das, was Fondsmanager Ingo Speich zuvor so beschrieben hat: Pötsch sei "Teil des alten Systems": Auch gegen ihn ermitteln Staatsanwälte wegen des Vorwurfs, Aktionäre im Jahr 2015 zu spät über den Dieselskandal informiert zu haben. "Treten Sie so schnell wie möglich von ihrem Amt als Aufsichtsratvorsitzender zurück", ruft er. An diesem Dienstag kommt es nicht dazu. Es bleibt alles ganz unspektakulär.

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