Süddeutsche Zeitung

Mobilität:Elektrolaster für den Lieferverkehr in den Städten

Zwei Zulieferer aus der Provinz in Deutschland bringen einen neuen, batteriebetriebenen Lkw auf den Markt - für den klimafreundlichen Betrieb auf kurzen Strecken. Die Kleinen legen sich dafür mit den großen Herstellern an.

Von Christina Kunkel und Benedikt Müller-Arnold, München/Wiehl

Markus Schell tritt selbstbewusst auf, aber das muss man wohl auch, wenn man vom Zulieferer zu einem wenigstens kleinen Lkw-Hersteller werden will. Der Chef des Familienunternehmens BPW Bergische Achsen hat ein halb durchsichtiges Zirkuszelt auf seinen Parkplatz stellen lassen. "Wir sind hier nicht in München, wir sind auch nicht in Stuttgart", gesteht Schell in Anspielung an die großen Lastwagenbauer MAN und Daimler Truck. Nein, wahrlich, man ist in Wiehl, einem 25 000-Seelen-Städtchen östlich von Köln, mit Tropfsteinhöhle und Fachwerkhäusern. Doch nun fällt hier der Vorhang, schallende Musik, über einen Laufsteg fährt ein batteriebetriebener Laster ins Zelt. Man zeige hier "den ersten Lkw, der es wirklich packt", sagt Schell.

Das wirkt hoch gegriffen für einen weithin unbekannten Mittelständler, dessen Geschichte 1898 mit Achsen für Kutschen begann. Mittlerweile stellt BPW vor allem Achsen und Bremsen für die Auflieger von Lastwagen her. Und seit 2018 tüftelt die Firma im Kleinen daran, Elektromotoren direkt an die Hinterachse von Nutzfahrzeugen zu bauen. So spart man sich das Getriebe und den großen Zentralmotor vorne. Gemeinsam mit dem Fahrzeug-Umrüster Paul aus Niederbayern hat BPW die Technik in gut 50 alte Mercedes-Diesel des Modells "Vario" eingebaut. Seitdem ist beispielsweise die Berliner Stadtreinigung mit ersten Elektrolastern unterwegs. "Heute gehen wir noch einen Schritt weiter", sagt Schell: Mit ihrem neuen Lkw wollen die Unternehmen vor allem beweisen, dass der Achsantrieb funktioniert.

Die Nachfrage nach Trucks ohne Lärm und Abgase wird größer werden

Denn selbstverständlich hat der Wandel besagter Marktführer in München oder Stuttgart längst ebenfalls begonnen. Zum einen treiben Klimaschutzvorschriften die Branche: Laut EU müssen die Hersteller die CO₂-Emissionen ihrer neu zugelassenen Fahrzeugflotte bis 2025 um 15 Prozent und bis zum Jahr 2030 um 30 Prozent senken - im Vergleich zum Zeitraum zwischen Mitte 2019 und Mitte 2020. Andernfalls drohen hohe Strafen. Zum anderen dürfte die Nachfrage nach Trucks ohne Lärm und Abgase in den nächsten Jahren steigen, wenngleich ein E-Lkw in der Anschaffung noch etwa das Dreifache eines Dieselfahrzeugs kostet. Denn Spediteure schauen nicht so sehr auf einmalige Ausgaben - sondern rechnen genau, wie viel sie ein Fahrzeug über den gesamten Betriebszeitraum kostet.

BPW-Chef Schell rechnet vor, dass der Preis seines neuen Lasters namens Bax bei 75 000 Euro beginne, wenn man die Förderung für klimafreundliche Nutzfahrzeuge einrechne. Derzeit übernimmt der Bund bis zu 80 Prozent der Mehrkosten eines E-Lasters. Wenn sich die Nachfrage nun mehr und mehr verschiebt, bleibt für Konzerne nur noch die Frage: Wie baut man möglichst schnell emissionsfreie, praxistaugliche Trucks in allen Segmenten?

Kleinere Lkws werden für das Verteilen der Ware an Geschäfte eingesetzt

Denn Lkw ist nicht gleich Lkw. Da gibt es die kleineren Laster, die etwa für Lieferungen von Logistikzentren zu Geschäften eingesetzt werden, also oft in den Städten. Für diesen Verteilverkehr sind elektrische Trucks mit einer Reichweite von 200 bis 400 Kilometern meist ausreichend, weil die Tagesfahrleistung in der Regel nicht darüber liegt. Geladen werden diese Lkws dann etwa über Nacht, wenn sie in Betriebshöfen stehen.

Genau dieses Segment wollen BPW und Paul mit ihrem neuen 7,5-Tonner bedienen. Mit einem sogenannten Kofferaufbau bietet der Stromer Platz für 15 Standardpaletten, das ist mehr als ein gewöhnlicher Transporter etwa für Umzüge oder die Paketzustellung. Die Firmen werben freilich damit, dass sie alle möglichen Aufbauten montieren können: vom städtischen Mülllaster bis zum Pritschenwagen für die Gärtnerei.

Die Unternehmen arbeiten nach eigenem Bekunden derzeit an einer europäischen Typengenehmigung für ihr neues Modell. "Die ersten werden im Februar ausgeliefert", kündigt BPW-Chef Schell an. Der Maßstab ist freilich noch sehr klein: 200 Vorbestellungen habe man für das kommende Jahr. Danach könne man auf bis zu 1000 Bax jährlich gehen.

Produziert werden soll in Vilshofen in der Nähe von Passau

Die Montage soll bei Paul in Vilshofen an der Donau erfolgen. "Im Moment können wir das mit unseren vorhandenen Ressourcen stemmen", sagt Prokurist Christian Huber. Je nach Nachfrage sei man aber auch bereit, die Kapazitäten auszubauen. Einzelteile kauft Paul ohnehin von großen Markenherstellern zu, die Batterien etwa von BMW, Technik wie die Klimaanlage von anderen Zulieferern. Entsprechend rustikal und hemdsärmelig kommt der bis zu 7,80 Meter lange Bax denn auch rüber.

Klar ist, dass gleichzeitig auch die meisten etablierten Hersteller beginnen, ihre Flotte umzubauen. So startete etwa Daimler Truck Anfang Oktober in Wörth nahe Karlsruhe die Produktion des "eActros". Auch Volvo, Scania oder Renault haben erste elektrische Trucks. Dazu kommen neue Hersteller wie etwa die schwedische Firma Volta Trucks, die gemeinsam mit Steyr in Österreich von 2022 an emissionsfreie Lkws produzieren will. Zuletzt ließ das schwäbisch-amerikanische Gemeinschaftsunternehmen Nikola-Iveco aufhorchen, als es im September in Ulm eine Fabrik für Elektro- und künftig auch Brennstoffzellen-Trucks eröffnete. Als erster Hersteller präsentierte Nikola-Iveco eine elektrische Sattelzugmaschine, die mit bis zu 560 Kilometer Reichweite durchaus langstreckentauglich ist. Noch dieses Jahr sollen die ersten Exemplare gebaut werden. Auch in Ulm erlebte man übrigens bei der Präsentation der neuen Laster grenzenloses Selbstvertrauen, als Nikola-Chef Mark Russell direkt die Losung ausgab: "The sky is the limit."

Betrachtet man dann doch wieder die weltlichen Probleme, liegt aus ökologischer Sicht auf der Langstrecke die größte Hürde: Den Großteil der CO₂-Emissionen verursacht nicht der Verteil- oder Lieferverkehr, sondern die großen, schweren Trucks, die Hunderte Kilometer pro Tag zurücklegen. Für diese Modelle setzen fast alle Hersteller auf Wasserstoff als Energieträger. Doch bis die ersten Modelle auf den Markt kommen, dürfte es mindestens noch zwei oder drei Jahre dauern.

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