Electronic Entertainment Expo:Spielend lernen

Electronic Entertainment Expo: Planet Zoo ist eine Computer-Simulation, die dem Spieler auch Fachwissen vermittelt.

Planet Zoo ist eine Computer-Simulation, die dem Spieler auch Fachwissen vermittelt.

(Foto: OH)

Bei "Planet Zoo" werden Tiere aufgezogen und in die Wildnis entlassen. Bildungsspiele könnten zum Trend werden.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Wer in der vergangenen Woche über die Electronic Entertainment Expo (E3) in Los Angeles gelaufen ist, der könnte durchaus meinen, dass die Menschheit offenbar auf die Apokalypse vorbereitet werden müsse. Es gibt zum Beispiel ein Spiel, das ein dystopisches Post-Brexit-London (Watch Dogs Legion) zeigt, ein anderes das beinahe ausgestorbene Tokio (Ghostwire Tokio) und eines die fiktive kalifornische Stadt Night City (Cyberpunk 2077). Dazu gibt es die allseits bekannten Zombie-Terminator-Weltende-Schlachten (Zombie Army 4, Gears of War 5, Halo Infinite). Da fragt sich der Besucher, der nun alles über das Überleben nach der Katastrophe weiß, irgendwann: Gibt es denn kein Spiel, das sich mit der, nun ja, Rettung dieses Planeten in der Gegenwart beschäftigt?

Doch das gibt es tatsächlich, und Planet Zoo könnte ein Hinweis darauf sein, was in Zukunft außer der Apokalypse noch kommen könnte: Hersteller Frontier Developments, bekannt für Freizeitpark-Simulationen wie Rollercoaster Tycoon, Zoo Tycoon oder Jurassic World Evolution, hat dieses Spiel ganz bewusst so gestaltet, dass es nicht wie in vielen anderen Wirtschaftsspielen um die Maximierung von Umsatz und Profit geht, sondern darum, Tiere in einem Zoo artgerecht zu halten, sie aufzuziehen und in die Wildnis zu entlassen. Das gelingt nur dem, der möglichst viel über diese Tiere weiß.

"Wir haben bei den Recherchen festgestellt, dass wir ein paar Themen behandeln, welche die Leute gerade beschäftigen: Klimawandel oder das Aussterben von Tieren", sagt Entwickler Piers Jackson zur SZ: "Die Leute sollen die Informationen spielerisch aufnehmen, wir wollen ihnen nichts aufzwingen." Wer also einen Zoo baut, der lernt zum Beispiel, dass Giraffen sowohl als Einzelgänger als auch in einer Herde leben können, dass das Geschlecht beim Nachwuchs von Krokodilen von der Temperatur der Eier beim Brüten (bei weniger als 30 Grad Celsius schlüpfen Weibchen, bei 34 Grad ausschließlich Männchen) abhängt und dass sich Schimpansen über einen möglichst komplizierten Kletterparcours freuen. Jackson sagt: "Wir freuen uns, wenn diese Infos bei den Spielern ankommen und hängen bleiben."

Computerspiele mit Bildungsanspruch sind wahrlich keine neue Idee. Bereits 1971 gab es zum Beispiel Oregon Trail, bei dem der Spieler eine Familie durch die Vereinigten Staaten des 19. Jahrhunderts führen musste und nebenbei die Geschichte des Landes lernte - es wurde an zahlreichen Schulen in den Lehrplan aufgenommen. Bei Where in the World is Carmen Sandiego? (1985) mussten Diebe gejagt und Informationen über den nächsten Aufenthaltsort eingeholt werden, die Spieler lernten dabei nebenbei die Welt und ihre Länder kennen.

Reader Rabbit und Math Blaster (beide 1983) kümmerten sich um Linguistik und Mathematik. Bei SimCity (1989) and Civilization (1991) ging es um strategisches Denken, bei The Incredible Machine (1993) um Maschinenbau. Auf tragbaren Konsolen waren dann Knobelspiele wie zum Beispiel Dr. Kawashima's Brain Training (2005) erfolgreich. Bei Minecraft (2009) gibt es eine Version, die sich explizit an Kinder mit Aufmerksamkeitsdefizit richtet.

Kleiner Einschub, nicht nur für Videospiel-Nostalgiker: Die meisten dieser Klassiker können auf der Webseite der Internet-Bibliothek The Internet Archive im Browser (www.archive.org) gespielt werden.

Einer Studie des Marktforschungsinstituts NPD zufolge zocken 91 Prozent der amerikanischen Kinder im Alter von zwei bis 17 Jahren Videospiele. Die University of California, Irvine, hat zudem herausgefunden, dass Wissen zuverlässiger gespeichert wird, wenn es spielerisch vermittelt wird. Es hilft also, Aufgaben in immer kniffliger werdende Levels mit jeweiliger Belohnung am Ende aufzuteilen, wie es zum Beispiel in Jump-and-Run-Spielen geschieht. Oder: Lieber ein Videospiel über Geschichte, die Anno-Reihe zum Beispiel oder Age of Empires, als eine möglicherweise dröge Vorlesung. Und anstatt ein reines Zeitlimit bei Prüfungen zu setzen, sollte man lieber vorgehen wie beim Spiel The Typing of the Dead 2001, bei dem die richtige Schreibweise von Wörtern rechtzeitig in die Tastatur gehackt werden muss, um nicht von Zombies angegriffen zu werden.

Das Problem ist nur, und darüber wird nach Filmen wie "Vice" über den amerikanischen Vizepräsidenten Dick Cheney oder "Bohemian Rhapsody" über das musikalische Gesamtkunstwerk Freddie Mercury zum Beispiel auch in Hollywood debattiert: Sind Produzenten in der Pflicht, Fakten so korrekt wie möglich wiederzugeben, oder sind dramaturgische Kniffe erlaubt? Und wie sauber müssen diese Informationen in Videospielen recherchiert sein, wenn sie nicht für Schulen und Universitäten entwickelt werden, sondern für den Verkauf? Kann der Kunde diesen Spielen trauen?

"Wir haben ein sehr gut recherchiertes und detailliertes Lexikon in unser Spiel integriert", sagt Planet-Zoo-Entwickler Jackson: "Die Spieler werden aufgefordert, zu lesen und zu lernen." Die künstliche Intelligenz sei so gestaltet, dass jedes einzelne Tier eine eigene virtuelle DNA bekomme: "Es ist möglich, das Verhalten der Tiere zu studieren. Die Spieler werden auch sehr schnell bemerken, dass sie einen Fehler machen: einen falschen Baum pflanzen zum Beispiel oder Tiere im gleichen Bereich ansiedeln, die nun mal nicht zusammenpassen. Es geht tatsächlich um das Wohl der Tiere."

Auf der Electronic Entertainment Expo (E3) sind auch viele Besucher unterwegs, die sich verkleidet haben: Zombies zum Beispiel, Charaktere aus dem Popkultur-Phänomen Fortnite und legendäre Videospiel-Helden wie Master Chief aus Halo, Prinzessin Zelda oder Harley Quinn. Die Entwickler der Computerspiele dürften indes bemerkt haben, wie sehr sich gerade junge Leute - noch immer das Zielpublikum - eher für das Abwenden der Apokalypse interessieren, als für den Umgang mit einer Welt nach der Katastrophe. Deshalb dürfte es nicht überraschen, würde im kommenden Jahr jemand zum Beispiel ein Spiel vorstellen, das den Umgang mit der Klimakrise behandelt.

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