Elbvertiefung:Jetzt geht es um die Zukunft des Hamburger Hafens

  • Am Donnerstag entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über die Elbvertiefung und damit auch über die Zukunft des Hamburger Hafens.
  • Für die Region steht viel auf dem Spiel. Etwa 150 000 Arbeitsplätze hängen am Hamburger Hafen. Umweltschützer sehen den Naturraum Elbe gefährdet.
  • Einig sind sich Befürworter und Kritiker in einem Punkt: Ein Sieg der anderen Seite wäre eine Katastrophe.

Von Thomas Hahn und Angelika Slavik, Hamburg

Zum Hamburger Selbstverständnis gehört es, eine Metropole zu sein. Hafen! Handel! Reeperbahn! Hier passiert Großes. Das hier ist das Tor zur Welt.

Zur Hamburger Realität gehört es, bisweilen knapp hinter den eigenen Ansprüchen zurückzubleiben. Zum Beispiel wenn es um dieses Verfahren geht, das an diesem Donnerstag vom Bundesverwaltungsgericht entschieden wird: der Prozess um die Elbvertiefung. Kein anderes Gerichtsverfahren in den vergangenen Jahrzehnten war für die Zukunft der größten deutschen Hafenstadt so wichtig wie dieses. Und trotzdem waren deren Vertreter vor Gericht so schlecht vorbereitet, dass man zwischenzeitlich den Eindruck hatte, hier gehe es bloß um irgendeine Provinzposse.

Seit gut zehn Jahren wird in Hamburg darüber gestritten, ob die Fahrrinne für den Schiffsverkehr auf der Elbe noch einmal verbreitert und vertieft werden kann und soll. Hamburg und der Bund haben immer wieder überarbeitete Planungsunterlagen vorgelegt, gegen welche die Umweltschützer immer wieder klagten. Jetzt warten beide Seiten gespannt auf das Urteil und sind sich letztlich dabei sogar in einem Punkt einig: Ein Erfolg der jeweils anderen Seite wäre eine ziemliche Katastrophe.

Viele Reeder steuern inzwischen lieber Rotterdam an

Die Befürworter der Elbvertiefung sagen, wenn die Fahrrinne für die Schiffe nicht schleunigst ausgebaut wird, werde der Hamburger Hafen in der Bedeutungslosigkeit versinken. Tatsächlich ist der Hamburger Hafen für Containerschiffe immer schwerer zu erreichen. Hintergrund ist die Entwicklung in der Schifffahrtsbranche: Die Reedereien auf der ganzen Welt stecken seit Jahren in der Krise, weil sie für ihre Transporte am Markt nur sehr niedrige Preise durchsetzen können. Die Unternehmen haben deshalb immer größere Schiffe eingesetzt, in der Hoffnung, damit ihre Kosten pro transportiertem Container zu reduzieren.

Das Problem in Hamburg ist: Weil größere Schiffe auch mehr Tiefgang haben, passen viele der Riesenfrachter nur mehr bei absolutem Hochwasser durch die Elbe - und andere gar nicht mehr. Schiffe, die in den Hamburger Hafen einlaufen möchten, müssen also oft stundenlang in der Deutschen Bucht warten, um das richtige Tidefenster zu erwischen. Weil viele dieser Riesenschiffe aber auch um die 60 Meter breit sind, kommen an vielen Stellen der Elbe nicht zwei dieser Frachter aneinander vorbei. Für alle Schiffe, die raus- und reinfahren wollen, bedeutet das stunden-, manchmal tagelanges Warten.

Mehr als 150 000 Arbeitsplätze hängen in der Region am Hamburger Hafen

Aber Zeit ist ein knappes Gut in der Logistikbranche, deswegen steuern viele Reeder lieber andere Häfen an, den in Rotterdam zum Beispiel. Wenn es betriebswirtschaftlich irgendwann nicht mehr zu rechtfertigen sei, werde man Hamburg nicht mehr ansteuern, heißt es etwa bei der Reederei Hapag-Lloyd. "Da nützt die ganze Tradition dann auch nichts." Das Unternehmen fährt seit 170 Jahren von Hamburg aus in die Welt.

Mehr als 150 000 Arbeitsplätze hängen in der Region direkt oder indirekt am Hamburger Hafen. Was soll aus dieser Stadt werden, wenn der in die Regionalliga absteigt? Aber die Gegner haben eben auch gute Argumente. Unter anderem wirtschaftliche: Apfelbauern fürchten um ihre Erträge, wenn die Elbe vor ihren Plantagen kein Süßwasser mehr hergibt, weil sich durch die Vertiefung die Brackwasserzone verschiebt. Fischer fürchten um ihre Gründe, wenn veränderte Strömungsgeschwindigkeiten mehr Schlick in den Fluss tragen. Deich-Anrainer haben Angst vor ungeahnten Hochwasserständen. Und natürlich geht es um den Schutz von Fauna und Flora. Die Debatte darüber hat echte Berühmtheiten hervorgebracht. Das Sumpfkraut Schierlings-Wasserfenchel, die heringsartige Finte, die geschützte Lachseeschwalbe - sie sind zu Symbolen für den Aufstand des Umweltschutzes gegen die große Hamburger Hafenwirtschaft gewachsen.

Dass das für manchen wie Satire klingt, ärgert die Vertreter der Umweltverbände. Kann schon sein, dass viele Unternehmer sie als unverbesserliche Romantiker sehen, welche die Unversehrtheit einzelner Uferschnepfen-Eier über das Schicksal eines gesamten Wirtschaftsstandorts stellen. Aber erstens sehen sich die Umweltschützer als Anwälte eines ganzheitlichen Naturraumes Fluss, in dem jede einzelne Tier- und Pflanzenart nur das Symptom für eine Landschaft im Gleichgewicht ist.

Hamburger Hafen

Der Hamburger Hafen aus der Vogelperspektive

(Foto: picture alliance / dpa)

"Etikettenschwindel?", fragt der Richter. "Maybe", gesteht der Anwalt

Zweitens verteidigen sie aus ihrer Sicht nicht irgendein abgefahrenes Grünzeug oder eine fortschrittsfeindliche Anti-Wirtschafts-Lobby - sondern geltendes Recht, namentlich die Wasserrahmen- und Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie der EU. Die Botschaft der Umweltverbände: Nicht der Schierlings-Wasserfenchel ist schuld daran, dass sich die Fahrrinnenanpassung seit 2007 verzögert, sondern Hamburg und der Bund mit ihren schlampigen Unterlagen. "Zehn Jahre Planfeststellungsverfahren mit Gerichtsverfahren ist auch nicht unser Ziel", sagt BUND-Geschäftsführer Manfred Braasch, "das Problem kommt nicht von den Umweltverbänden, sondern von der Missachtung des Umweltrechts in den Planungsunterlagen."

In der Tat war es für die Kläger bisher nicht schwer, die Elbvertiefer in Verlegenheit zu bringen. Bei der jüngsten Verhandlung in Leipzig im Dezember wirkten sie besser gelaunt als die Planer, und sie setzten erfolgreich Nadelstiche. Am ersten Tag musste der Vorsitzende Richter Rüdiger Nolte gleich mal die Verhandlung unterbrechen, weil ihn ein Gutachten beeindruckte, das der Darmstädter Wasserbau-Professor Ulrich Zanke für die Umweltschützer vorgelegt hatte. Demnach funktioniert das Strombaukonzept nicht, mit dem die Planer veränderte Strömungsgeschwindigkeiten und höhere Wasserstände dimmen wollen (siehe Grafik). Das Konzept nach Berechnungen der Bundesanstalt für Wasserbau ist das zentrale Argument für relativ milde Auswirkungen der Vertiefung auf die Elbe. Trotzdem waren die Hamburger erst am nächsten Morgen in der Lage, zu Zankes Gutachten Stellung zu nehmen. Sie taten es als "Schimäre" ab.

Außerdem sahen die Hamburger schlecht aus, als sich herausstellte, dass sie eine Ausgleichsfläche, die sie für den Schierlings-Wasserfenchel ohnehin hätten anlegen müssen, auf die geforderten Ausgleichsflächen für die Elbvertiefung anrechnen wollten. "Also ist das an der Stelle ein kleiner Etikettenschwindel?", fragte der Richter Rüdiger Nolte. "Maybe", antwortete der Anwalt der Planer, vielleicht. Das ist, immerhin, ziemlich lässig in einem Verfahren, an dem doch die Zukunft dieser Stadt hängt.

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