Einzelhandel:Preisdruck zulasten der Beschäftigten

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Real-Mitarbeiter protestieren gegen das Vorhaben des Unternehmens, die Tarifbindung des Handelsverbandes zu verlassen. (Foto: Roland Weihrauch/dpa)

Die Warenhauskette Real will den Handelsverband Deutschland - und damit die Tarifbindung verlassen. Das ärgert Gewerkschafter.

Von Benedikt Müller, Düsseldorf

Im Handel gibt es zwei Welten: Da sind einerseits gestandene Ketten wie Kaufland oder Real, die Beschäftigte noch nach Tarif bezahlen. Und andererseits Angreifer wie der Online-Händler Amazon, die allenfalls niedrigere Tarife der Logistikbranche zahlen wollen. Oder selbständige Kaufleute, die nicht der Tarifbindung des Handelsverbands Deutschland (HDE) unterliegen - obwohl sie womöglich einen Edeka- oder Rewe-Markt betreiben. Doch weil all diese Händler im harten Wettbewerb stehen, prallen diese Welten aufeinander. Auch in dieser Woche.

So schimpft die Gewerkschaft Verdi, dass die Kette Real "hochgradig verantwortungslos" handle. Umsatz und Gewinn der Warenhäuser schrumpfen. Real beklagt, dass ihre Lohnkosten bis zu 30 Prozent höher seien als bei Konkurrenten, die nicht nach Tarif zahlen. Daher verhandeln Verdi und die Kette seit zwei Jahren über einen neuen Tarifvertrag. Doch Real kritisiert eine "offenkundige Blockadesituation". Die Handelskette will nun den HDE verlassen und in einen kleineren Arbeitgeberverband wechseln. Dann könnte Real auch ohne Verdi Tarifverträge schließen.

Die Gewerkschaft kritisiert diese Kampfansage. "Offenbar ist den Verantwortlichen im Metro-Konzern ein tariflich garantierter Schutz der 34 000 Beschäftigten beim Tochterunternehmen Real völlig egal", sagt Stefanie Nutzenberger von Verdi. Real wolle sich "auf Kosten der Beschäftigten" einen Vorteil im Verdrängungswettbewerb verschaffen. "Wir stellen uns auf eine harte Auseinandersetzung in diesem Generalkonflikt ein", sagt Nutzenberger.

Zwar betont Real, man wolle Gehälter der bestehenden Beschäftigten nicht kürzen. Verdi befürchtet allerdings, dass die Kette langfristig bis zu 40 Prozent niedrigere Löhne anbieten könnte. "Schon jetzt sind die Verdienste zu knapp für ein auskömmliches Leben im Alter", kritisiert Gewerkschafterin Nutzenberger: Selbst nach 45 Jahren Vollzeit erhalte eine Verkäuferin nur etwa 1200 Euro Rente im Monat.

Ein solcher Konflikt schwelt bei vielen Unternehmen im Dienstleistungssektor: Wohl wollen die Arbeitgeber heutigen Beschäftigten nicht weniger Geld zahlen. Neuen Mitarbeitern bieten sie aber schlechtere Konditionen, um im Wettbewerb bestehen zu können. Beispielsweise stellt die Deutsche Post zusätzliche Paketboten seit dem Jahr 2015 nur noch im Tochterunternehmen DHL Delivery ein - zu mehr Wochenstunden und niedrigeren Löhnen.

Doch dann gibt es noch die ganz andere Welt: Firmen, in denen Mitbestimmung und Tarifverträge noch nicht verbreitet sind. So lässt Verdi am Mittwoch Lager von Amazon, TK Maxx oder Tedi in Nordrhein-Westfalen bestreiken. Sie bezahlen ihre Beschäftigten nicht nach dem Tarif des Handels - obwohl sie anderen Einzelhändlern Konkurrenz machen. "Die Arbeitgeber heizen mit ihrer ablehnenden Haltung zur Tarifbindung den gnadenlosen Verdrängungswettbewerb im Einzelhandel auf dem Rücken der Beschäftigten zusätzlich an", kritisiert Silke Zimmer von Verdi.

Die Gewerkschaft fordert, dass die Politik Geschäftsmodelle unterbinden sollte, die auf Lohndumping aufbauten. "Es wird höchste Zeit, die Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen im Handel zu erklären", sagt Nutzenberger. Im Großhandel, vielen Handwerks- und Industriezweigen, hat der Staat Tarifvereinbarungen als verbindlich für alle Firmen eingestuft - nicht so im Einzelhandel.

© SZ vom 29.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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