Süddeutsche Zeitung

Einzelhandel:Um 20 Uhr soll Schluss sein

Der Chef der Supermarktkette Tegut fordert kürzere Ladenöffnungszeiten, um Energie zu sparen. Ist das eine gute Idee angesichts der Konsumflaute?

Von Michael Kläsgen

Die Wohnung mit 19 Grad heizen, kürzer und nicht mehr so warm duschen, das Licht ausschalten - an Vorschlägen zum Energiesparen mangelt es nicht. Der Geschäftsführer der Supermarktkette Tegut bringt jetzt eine weitere Idee ein, die alle Bundesbürger direkt in ihrem Alltag betreffen würde: kürzere Ladenöffnungszeiten. Nur noch bis 20 Uhr einkaufen, so wie das im Moment eigentlich nur in Bayern und dem Saarland üblich ist.

Bayern und das Saarland galten in den Augen vieler Konsumenten daher bislang im Vergleich zu anderen Bundesländern eher als rückständig. Der Servicegedanke würde angesichts der harten 20-Uhr-Grenze aus Sicht der arbeitenden Bevölkerung zu kurz kommen, so das Argument. Tegut-Chef Thomas Gutberlet sieht Bayern und das Saarland vielmehr gerade wegen ihrer kurzen Ladenöffnungszeiten als Vorbild, zumindest solange Energie knapp zu werden droht.

Er glaubt, damit sogar zwei der Probleme lösen zu können, die den Einzelhandel gerade umtreiben: "Kurzfristig würde eine Reduzierung helfen, Energie zu sparen", sagte Gutberlet der Lebensmittelzeitung. Und: "Langfristig würde es das Berufsbild im Einzelhandel wieder attraktiver machen." Das heißt, nicht nur die laut Handelsverband seit Jahresanfang um 150 Prozent gestiegenen Stromkosten belasten Einzelhändler derzeit so sehr, dass angeblich jeder zweite um seine Existenz fürchtet. Sondern es fehlen auch ausreichend junge Berufsanfänger beziehungsweise Mitarbeiter überhaupt, die bis spät in den Abend hinein im Supermarkt oder in anderen Einzelhandelsgeschäften arbeiten wollen.

Gutberlet hält es jedenfalls für so wichtig, öffentlich über Ladenschlusszeiten zu diskutieren, dass er einen Brief an die Regierungen der Bundesländer geschrieben hat. Das war vor vier Wochen, eine Antwort hat er bislang nicht erhalten.

"Jetzt bekommen wir oft den Ärger der Kunden zu spüren"

Es ist auch ein heikles Thema. Den Einzelhandel belastet im Moment auch zudem noch, dass viele Menschen sparen. Auch an Lebensmitteln, die im Durchschnitt wesentlich teurer geworden sind. Ist es da klug, die Öffnungszeiten zu verkürzen? Dann haben die Verbraucherinnen und Verbraucher ja noch weniger Zeit, ihr Geld auszugeben.

Doch Gutberlet steht mit seinem Vorschlag nicht allein da. Dieter Hieber, mit 16 Märkten im Südwesten der Republik einer der umsatzstärksten selbständigen Kaufleute von Edeka, hat schon Fakten geschaffen. Er macht seine Märkte vorübergehend mittwochs schon am Mittag zu. Grund dafür ist allerdings nicht in erster Linie das Energiesparen, sondern Personalnot. Viele hätten seit Beginn der Pandemie unter Extrembedingungen gearbeitet. Viele fühlten sich ausgelaugt, jetzt komme noch Frust hinzu. "Am Anfang der Pandemie wurden wir im Lebensmittelhandel wie die Helden gefeiert", sagte Hieber der Fachpresse, "jetzt bekommen wir oft den Ärger der Kunden zu spüren, wenn Waren teurer werden oder gar nicht erst da sind. Die Stimmung ist angespannt."

Diese Lücken klaffen weiterhin in den Regalen vieler Einzelhändler, nicht nur in Supermärkten. Laut einer Umfrage des Münchner Ifo-Instituts klagten im August 77,5 Prozent der Händler über Lieferprobleme. Im Moment sehe es nicht so aus, teilte das Institut mit, als würden sich die Probleme vor Weihnachten allesamt lösen lassen. Die Ursache dafür seien insbesondere die wiederholten Lockdowns in China. Fabriken und Häfen würden dadurch immer wieder lahmgelegt. Kein Einzelhändler in Deutschland kann dagegen kurzfristig etwas ausrichten.

Lieferengpässe, Inflation, Kaufzurückhaltung, Personalnot und steigende Stromkosten, zumindest an Problemen mangelt es den Händlern derzeit nicht. Tegut, ein Teil der Genossenschaft Migros Zürich, könnte wie Edeka-Hieber bei sich selbst anfangen. Einige der gut 270 Märkte in Deutschland haben noch von sieben bis 22 Uhr geöffnet. Aber was Tegut bisher reduziert hat, sind nur die Öffnungszeiten vieler Bedientheken - die Konkurrenz hat die teils ganz abgeschafft. Das spart Strom und vor allem Personalkosten, macht die Märkte für viele aber auch unattraktiver.

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