Einzelhandel:Kasse machen

Inside Morrison's 'M Local' Supermarket

In Großbritannien sind SB-Kassen im Einzelhandel bereits deutlich weiter verbreitet als in Deutschland.

(Foto: Simon Dawson/Bloomberg)

In rund 350 deutschen Supermärkten gibt es bereits Selbstbedienungskassen. Die Kunden nutzen sie nur zögerlich.

Von Marlene Thiele

Jeden Freitagabend das gleiche Bild: Die Supermärkte sind voll, vor den Kassenbändern staut es sich. Und samstagvormittags ist es noch schlimmer. Auch in einer Edeka-Filiale im Münchner Osten drängt sich die Kundschaft - das Bezahlen geht dann aber erstaunlich zügig. Die drei Kassiererinnen ziehen die Waren über die Scanner, Geld nehmen sie aber keines an. Stattdessen schicken sie die Kunden weiter zu einem von neun Kassenautomaten. Daneben gibt es noch acht reine Selbstbedienungskassen, an denen die Kunden gleich alles selbst erledigen. Zu Stoßzeiten können hier also bis zu 17 Kunden gleichzeitig bezahlen - obwohl nur drei Kassiererinnen Dienst haben.

Noch sind solche SB-Kassen im deutschen Lebensmittel-Einzelhandel eine Seltenheit. In gerade mal 350 Supermärkten gibt es inzwischen 1450 Selbstbedienungskassen. Ihnen stehen 200 000 herkömmliche Kassen gegenüber. Lediglich in Märkten der Supermarktkette Real können Kunden bereits seit 15 Jahren selbst scannen. In anderen Bereichen ist das System dagegen bereits verbreiteter, in Ikea-Möbelhäusern beispielsweise gibt es SB-Kassen seit zehn Jahren, auch in den Geschäften des Sportartikelhändlers Decathlon oder beim Baumarkt Bauhaus.

Ein Grund für die bisher langsame Verbreitung sind die Kosten: Der Umbau ist teuer, ein Vierer-Modul, also vier SB-Kassen, kosten rund 120 000 Euro. "Die Supermarktketten führen sie meist ein, wenn sie einen neue Filiale eröffnen oder eine bestehende umgestalten", sagt Frank Horst vom EHI Retail Institut, das die Technik auch in mehreren Studien untersucht hat.

"Viele Kunden sind mit den Kassen schlicht überfordert und machen Fehler beim Scannen"

Ein Ergebnis ist, dass die SB-Kassen tatsächlich viel produktiver sind: Ein Supermarkt schaffe mit ihnen auf gleicher Fläche und bei gleichen Kosten bis zu 40 Prozent mehr Kunden pro Stunde - vorausgesetzt freilich, die nehmen das System an. Im Supermarkt in München fällt aber auf, dass sich viele lieber in eine der langen Schlangen an der Bedienkasse einreihen, als selbst zu scannen. Einer EHI-Erhebung zufolge kennt gut die Hälfte der Befragten die SB-Kassen, doch nur 20 Prozent gaben an, sie auch zu nutzen. "Ich will mich nicht konzentrieren, deswegen gehe ich lieber zur Kassiererin", sagt etwa eine Kundin in dem Münchner Supermarkt, die gerade ihren Einkauf am Automaten bezahlt hat. "Ich glaube auch nicht, dass ich schneller wäre, wenn ich selbst scanne."

Und sie liegt richtig mit ihrer Vermutung: "Ein ungeübter Kunde benötigt am SCO-Terminal im Schnitt die zwei- bis dreifache Zeit im Vergleich zur Abwicklung am bedienten Check-out", heißt es in einer EHI-Studie. Trotzdem sei der Zeitfaktor für viele Nutzer entscheidend: An der Selbstbedienungskasse müssen sie keinem vorgegebenen Tempo hinterher hetzen und vor allem nicht so lange untätig in der Warteschlange stehen, weil meist viele, eher mäßig genutzte SB-Kassen zur Verfügung stehen.

Viele Angestellte vermuten hinter der Begeisterung ihrer Arbeitgeber für die SB-Systeme vor allem eines: dass sie Personalkosten einsparen wollen. "Schon jetzt werden Überstunden abgebaut und weniger neue Leute eingestellt", sagt Suzana Bauer, die dem Betriebsrat mehrerer Kaufland-Filialen in der Oberpfalz vorsitzt. 2017 begann die Kette, ihre Märkte mit SB-Kassen auszustatten. Das habe die Situation der Mitarbeiter in verschiedener Hinsicht verschlechtert. Vom EHI heißt es zwar, in keinem der befragten Läden sei Personal abgebaut worden, weil stets bediente Kassen bestehen bleiben und die SB-Kassen eine Assistenz erfordern. Gerade diese Arbeit sei aber sehr stressig, sagt Bauer: "Der Dienst dauert nur zwei Stunden, aber danach sind die Kassierer immer total platt."

Auch die zuständige Mitarbeiterin in dem Markt in München hat gut zu tun. Sie läuft zwischen den acht SB-Kassen hin und her, tippt hier etwas auf dem Bildschirm, zieht dort ihre Chipkarte durch den Automaten. Noch sind viele Kunden von dem System überfordert und in regelmäßigen Abständen leuchten die Geräte rot auf, etwa weil das Gemüse falsch gewogen wurde, oder weil ein Altersnachweis erforderlich ist. Die Assistenz muss immer wieder helfen, Material holen und den Kunden sagen, welche Kasse sie aufsuchen sollen, damit kein Stau entsteht. Laut einer EHI-Umfrage unter Mitarbeitern bevorzugt denn auch "rund die Hälfte der Befragten noch den gewohnten, herkömmlichen Arbeitsplatz an der Bedienkasse".

"Die Arbeitsverdichtung im Einzelhandel ist brutal", sagt Dominik Datz von der Gewerkschaft Verdi. "Wie soll das in zehn oder 20 Jahren aussehen? Kaufen wir dann alles nur noch mit dem Smartphone?" Damit spielt er auf den ersten Supermarkt von Amazon an. Dort, in Seattle, wird jedes entnommene Produkt von Kameras registriert und der Preis nach dem Einkauf automatisch vom Amazon-Konto abgezogen. Eine Kasse gibt es dort gar nicht mehr.

Dass viele Kunden nun, so vermeintlich unbeobachtet, das Bezahlen gleich ganz "vergessen", scheint dagegen kaum ein Problem. Die bisherigen Nutzer offenbar sind sehr gewissenhaft: 95 Prozent der befragten Händler sagen jedenfalls laut EHI, dass die Diebstahlrate nicht gestiegen sei. Außerdem beugen die Kassen Tricksereien wie ausgetauschte Etiketten vor, etwa indem sie die Ware abwiegen und mit dem Gewicht des richtigen Produkts vergleichen. Außerdem sollen die Assistentinnen Stichproben durchführen und es gibt Sicherheitspersonal und Videokameras. Die Händler in Deutschland sagen, wer klaut, der klaut fast immer im Laden und nicht erst am Kassenband. Deswegen sei es egal, wie bezahlt wird.

Andere Länder, die bereits mehr Erfahrung mit SB-Kassen haben, berichten trotzdem von vermehrtem Ladendiebstahl: In Australien beispielsweise ist einer Studie zufolge 2016 so ein Schaden von 9,3 Milliarden australischen Dollar entstanden. Eine britische Studie aus dem selben Jahr hat herausgefunden, dass vier Prozent der Waren nicht gescannt wurden.

Kaufland-Betriebsrätin Bauer glaubt aber nicht, dass immer kriminelle Energie dahintersteckt: "Viele Kunden sind mit den Kassen schlicht überfordert und machen Fehler beim Scannen." Und noch müssen sie sich auch nicht mit der Technik auseinandersetzen. Die SB-Kassen sind bisher immer nur ein Angebot - es gibt stets auch mindestens eine bediente Kasse. Bis auf Weiteres.

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