Einzelhandel:Lebensmittelhändler wollen ein bisschen mehr wie Amazon werden

Supermarkt der Zukunft

Amazon arbeitet am Supermarkt der Zukunft - und erhöht so den Druck auf deutsche Lebensmittelhändler wie Edeka, Rewe oder Lidl.

(Foto: dpa)

Rewe, Edeka & Co. basteln an vermeintlich wunderbaren Internetwelten, aus denen sich kein Kunde mehr verabschieden will. Doch wieder einmal geht es vor allem um eins: Daten.

Von Michael Kläsgen

Sie alle haben Angst vor Amazon, obwohl sie milliardenschwere Konzerne sind, Edeka, Rewe, Lidl und Aldi, ohne Ausnahme. Der Kauf der weltweit größten Biosupermarktkette Whole Foods durch den US-Konzern hat sie noch einmal darin bestärkt, etwas tun zu müssen und die Gegenoffensive weiter zu forcieren. Sonst könnte es so weit kommen, dass der US-Konzern ihnen einfach ein Stück ihres Geschäfts wegnimmt oder, noch schlimmer, sie als Einzelhändler einfach abknapst aus der Wertschöpfungskette. Denn wozu noch in den Supermarkt tigern, wenn man sich bei Amazon alles, was man braucht, liefern lassen kann?

Keiner posaunt laut heraus, wie und was er plant. Aber Eingeweihte wissen es. Ein Blick auf die Stellenausschreibungen verrät schon einiges: Da werden Big-Data-Analysten oder Junior SAP Hybris Business Analysten im E-Commerce gesucht. Es geht ums Onlinebuchen von Reisen und ums Musik-Streamen. Stünde nicht Lidl über den Job-Angeboten, kaum ein Laie kämen auf die Idee, dass hier der Holzpaletten-Discounter Arbeitsstellen anbietet.

Rewe Digital, die zahlenmäßig stärkste Amazon-Gegenmacht im Lebensmittelhandel, baut unter Hochdruck eine dem Kölner Konzern wohlgesonnene Community auf, wie das auf Neudeutsch heißt. Menschen, die Rewe nicht nur vom Brot-und-Butter-Kauf kennt. Jenseits des sogenannten Kerngeschäfts des Supermarkts bezirzen die Kölner neuerdings Weinfreunde auf weinfreunde.de und Tierliebhaber mit Hundefutter auf zooroyal.de. Die Konzerne wollen auf keinen Fall nur eine "Insel-Lösung". Oder wie es Gert Schambach, der Chef der Hit-Supermärkte, ausdrückt: Natürlich würde er als Händler davon träumen, dass der Kunde im Internet direkt Hit.de ansteuert und dort einkauft. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass das viele Menschen tun, ist eben doch sehr gering.

Deswegen ist vor allem für die großen vier Konzerne das Ziel, eigene Plattformen zu schaffen, die weit über den Supermarkt an sich hinausgehen und unterhaltsam sind, die "den Kunden gefangen nehmen", wie es ein Intimus nennt. Harmloser ausgedrückt, geht es darum, ein digitales Umfeld aufzubauen, das der Kunde nicht mehr so schnell verlassen will, weil er sich dort gut aufgehoben fühlt und alles bekommt, was er braucht. So, wie es der Fall ist in den Universen von Amazon, Google, Apple oder Facebook.

Nun gut, ein Stück weit sind Edeka und die anderen noch davon entfernt, gegen die Internet-Welten der US-Hegemonen anzustinken. Aber tatsächlich ist das ihre Ambition: Sie wollen weg von übermächtigen Social-Media-Diensten wie Facebook. Sie wissen, sie müssen es tun, aus Selbstschutz. Sie wollen nicht länger dulden, dass die amerikanischen Konzerne an ihren Inhalten prächtig verdienen, sie selber aber weitgehend leer ausgehen.

Deswegen wollen sie beispielsweise exklusive Preisaktionen nur noch auf der firmeneigenen App, der eigenen Plattform, spielen. Facebook soll vor allem dazu dienen, weitere Kunden, in das eigene Universum zu ziehen. Noch ist das alles im Aufbau begriffen und erst wenige Monate alt. Doch immerhin die sonst nicht sehr innovationsfreudigen deutschen Lebensmitteleinzelhändler wagen etwas. Sie probieren Neues aus. Und das tun sie, weil Amazon und die anderen US-Konzerne sie treiben.

Tritt Amazon bald auch in Deutschland einen Tsunami los?

Der Whole-Foods-Kauf ist für sie ein Weckruf. Den kassenlosen Supermarkt Amazon Go konnten die großen Vier noch als ferne Zukunftsvision abtun. Doch schon Amazon Fresh, den Online-Lieferdienst für frische Lebensmittel, der in Berlin bereits Realität ist, bezeichnete der frühere Rewe-Chef Alain Caparros als aufkommenden "Sturm". Was, wenn Amazon auch hierzulande eine Supermarktkette wie etwa Basic kauft? Tritt das dann den Tsunami los? In den USA hat der Whole-Food-Deal Händlern wie Walmart, Target oder Kroger Milliarden an der Börse gekostet.

Deutschland besitzt zwar den Vorteil gegenüber den USA, dass das Filialnetz hier dicht und der Preiswettbewerb hart sind. Walmart und andere ausländische Konkurrenten scheiterten an den hohen Markteintrittsbarrieren in Deutschland. Aber diesmal liegt die Sache anders. Der Grund dafür ist, dass Kundendaten zu einer Art Währung geworden sind.

Amazon hat von dieser Währung sehr viel, die deutschen Handelskonzerne so gut wie gar nichts. "Es ist schon verrückt", sagt ein Insider, "da geht die gleiche Person seit Jahren in den selben Supermarkt oder Discounter und kauft jedes Mal immer wieder ähnliche Artikel - und wir wissen nichts über sie." Bei Amazon hingegen loggt sich die gleiche Person bedenkenlos ein, wohlwissend oder ahnend, dass der US-Konzern jede Online-Suche und jeden Kauf speichert und bereits sehr viel Persönliches über seinen Kunden weiß.

Warum hat er bei Amazon nichts dagegen? Offenbar weil der Kunde bereit ist, mit seinen Daten zu bezahlen, wenn er einen klaren Nutzen davon hat, sagt ein Digital-Fachmann aus dem Einzelhandel, zum Beispiel wenn er als Gegenleistung einen einwandfreien Service erhält. "Die Schwierigkeit besteht darin, beim Ausprobieren neuer Technologien herauszufinden, was nur ein Hype oder ein Gadget und was wirklich sinnvoll ist", sagt der Fachmann. Der Nutzen könnte etwa darin bestehen, dass ein Bayern-München-Fan über seine Supermarkt-App auch in Echtzeit die Spielergebnisse erfährt. Und dass er vor dem Champions-League-Spiel ein persönliches Sonderangebot von seinem Supermarkt für Bier und Chips bekommt. Gadget oder sinnvoll? Aus Angst trifft man oft die falschen Entscheidungen.

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