Konsum:Warum Deutschland gerade den Kaufblues hat

Noch nie hatten die Bundesbürger so wenig Lust aufs Einkaufen wie im Moment. Die Gründe dafür scheinen auf der Hand zu liegen, aber vieles ist auch Psychologie.

Von Michael Kläsgen

War da was? Ach ja, vergangene Woche startete der Sommerschlussverkauf. Früher mal ein Ereignis, das bei nicht wenigen Kaufreflexe auslöste. Stichwort: Schnäppchenjagd. Rein in die Stadt, vermeintlich günstig Sachen kaufen, die man womöglich nicht mal unbedingt brauchte. Noch ein Käffchen trinken. Und dann daheim in den Einkäufen schwelgen. Der Shoppingrausch verschob sich dann von Jahr zu Jahr immer mehr ins Internet. Und dieses Jahr?

Verkündet der Handelsverband HDE das "Allzeittief". Die Deutschen haben, salopp ausgedrückt, gerade kein Bock auf Shopping, nullkommanull Bock. Alle Kaufreflexe sind quasi zum Erliegen gekommen. Die Stimmung ist nicht nur schlecht, sie ist mies. Die Erkenntnis basiert auf Zahlen des Bundesamts für Statistik. "Seit Beginn der Zeitreihe", wie die Statistiker das nennen, also seitdem sie 1994 begannen, die Einzelhandelsumsätze für die gesamte Bundesrepublik zusammenzurechnen, war der Einbruch im Vergleich zum Vorjahresmonat noch nicht so groß gewesen. Vermutlich ließe sich die historische Bedeutung des Einbruchs noch weiter in die Vergangenheit zurückverfolgen, wenn die Zahlen früher erfasst worden wären. Jetzt also ein Minus von real 8,8 Prozent. So stark sanken die Umsätze der Einzelhändler im Juni, wenn man die Inflation herausrechnet. Lässt man die Inflation drin, sanken die Umsätze auch noch um 0,8 Prozent.

Doch das ist auch schon wieder Vergangenheit. Wohlwollend betrachtet könnte man sagen, dank, nun ja, der Inflation verlief das erste Halbjahr für die Einzelhändler umsatzmäßig gerade eben noch so okay. Unerfreulich wird's für sie erst noch. Der Verband erwartet, dass die kommenden Monate erst richtig mau werden könnten, und das gilt in abgeschwächtem Maße auch für den Onlinehandel. Da ist der ganz große Boom ohnehin vorbei, den die diversen Lockdowns angefacht hatten. Als die Geschäfte wieder öffneten, sanken die Online-Umsätze. An mangelndem Selbstbewusstsein gebricht es den Onlinehändlern trotzdem nicht. Sie kratzen inzwischen an der 100-Milliarden-Euro-Umsatz-Schwelle und halten sich für die Beglücker der shoppingmäßig notleidenden Dorfbevölkerung. Nur gehen die Dauerkrisen eben auch an der nicht spurlos vorbei.

"Sie trifft die deutschen Konsumenten besonders hart, weil sie sehr preissensibel sind."

Die hohe Inflation schreckt querbeet Verbraucherinnen und Verbraucher ab. "Die hohe Inflation ist der entscheidende Faktor. Sie trifft die deutschen Konsumenten besonders hart, weil sie sehr preissensibel sind und die Inflation eine Größenordnung erreicht hat, wie wir sie seit 50 Jahren nicht mehr erlebt haben", sagt der Konsum-Experte Rolf Bürkl vom Marktforschungsunternehmen GfK. In Kauflaune kommt da kaum mehr einer. Viele sparen oder üben Verzicht - bewusst oder auch ungewollt, weil das Geld fehlt.

Der Ukraine-Krieg drückt allen irgendwie auf die Stimmung. Und die steigenden Energiepreise haben entweder schon ihre Spuren im Haushaltsbudget hinterlassen oder drohen das noch zu tun. Die durch die diversen Krisen ausgelösten Realeinkommensverluste machen sich längst bemerkbar. Viele überlegen, ob sie ihr Geld nicht lieber in den Urlaub als in eine neue Anschaffung stecken sollen, und entscheiden sich nach den langen strapaziösen Corona-Jahren für die Ferien. Das Geld fehlt dann für Konsumausgaben, für die neue Küche, das Auto oder Möbel. Oder größere Ausgaben werden erst mal aufgeschoben.

Und teure Lebensmittel werden gemieden. Noch mal schnell zum Bio-Fachmarkt? Eher nicht. Während Corona wollten sich viele noch etwas gönnen, mittlerweile achten wieder mehr auf den Preis. Gerade auch im Lebensmitteleinzelhandel sind die Umsätze zurückgegangen, bei den Supermärkten eher als bei den Discountern. Markenhersteller und Bio-Produzenten spüren das. Mit am stärksten leiden allerdings die Bekleidungshändler unter dem Konsumblues der Bundesbürger. Ladenbetreiber hatten während der Hochphase von Corona schon mit diversen Lockdowns zu kämpfen, weil sie nicht als systemrelevant galten. Jetzt sind die Geschäfte wieder offen, aber Mode ist gerade generell ziemlich out. Weil keiner weiß, was so genau kommt, ist die Zurückhaltung in den Boutiquen und auch online groß, und das gilt allgemein im gesamten Einzelhandel.

Der Handelsverband HDE konstatiert zweierlei: "Ein Post-Corona-Konsumboom fällt in diesem Jahr definitiv aus", sagt ein Sprecher. Und zweitens: "Die weitere Entwicklung des privaten Konsums ist in hohem Maße ungewiss." Kurzum: Es ist nicht gut und es wird wohl noch schlechter. Und dafür gibt es gute Gründe.

Wie viel Psychologie steckt in der Kaufzurückhaltung?

Wie jeden Monat hat der Verband 1600 Personen befragt. Aber so deprimierend wie diesmal waren die Ergebnisse der Umfrage selten. Die Menschen wissen, dass sie weniger Geld zur Verfügung haben werden; sie wissen aber nicht, wie viel Nebenkosten sie beispielsweise nachzahlen müssen; sie wissen auch nicht, um wie viel teurer das Leben wegen der Inflation sonst noch wird. Die meisten rechnen zwar nicht mit einer noch weiter steigenden Inflation, aber wann und ob sie wieder auf welches Maß sinkt, kann auch keiner sagen.

Es herrscht also Verunsicherung pur und bei vielen das Gefühl, das Geld besser zusammenhalten zu müssen. HDE-Chef Stefan Genth verwies vor vier Wochen auf den psychologischen Faktor in dieser Gemengelage. Viele hätten Angst, dass das Geld am Monatsende nicht reichen wird. Aus Sicht vieler fühlt sich die Inflation noch höher an, als sie tatsächlich ist. Manche hätten zwar das Geld, um sich mehr zu leisten. Sie tun es aber nicht, weil die Vorsicht dominiert, besser jetzt nichts falsch zu machen.

Die Furcht vor einer Rezession trage ihren Teil dazu bei, geht aus dem Konsum-Barometer des HDE hervor. Auch hier gilt: Im ersten Halbjahr hat sich die deutsche Wirtschaft eigentlich ganz gut gehalten. Im Juli fiel der Ifo-Geschäftsklimaindex dann auf den niedrigsten Wert seit Juni 2020. Auch der Indikator des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) sank deutlich: Es kumulieren sich Sorgen über die Energieversorgung, die Folgen des Zinsanstiegs der Europäischen Zentralbank und weitere Lieferengpässe wegen der harten Corona-Politik in China. All das trübt die Konjunkturaussichten. Laut HDE wird der private Konsum gesamtwirtschaftlich in den kommenden Monaten als Stabilisator eher ausfallen.

"Die Verunsicherung ist in allen Bevölkerungsteilen groß, aus unterschiedlichen Gründen. Da vermischen sich reale Fakten mit Psychologie. Manche mussten sich schon verschulden, weil das Geld fehlt. Bei manchen stieg die Sparquote während der Lockdowns zwar, aber auch sie sind verunsichert. Wir haben es mit einer Krisen-Gemengelage zu tun, die wir so noch nicht kannten", sagt Rolf Bürkl.

Das mit dem Sommerschlussverkauf hätte in diesem Jahr übrigens sowieso nicht so gut geklappt. Die Sonderangebote dienen vielen Händlern, Baumärkten und Möbelhäusern, aber vor allem den Textilhändlern in aller Regel ja dazu, ihre Lager zu räumen und Platz für neue Ware zu schaffen. Dieses Jahr sind aber gar nicht so viele Restbestände vorhanden, sondern viele Lager eher leer. Denn wegen der gerissenen Lieferketten wurden sie nicht ausreichend aufgefüllt oder das, was vorhanden war, schon verkauft. Kein Sommerschlussverkauf - auch ein Krisenindikator.

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