Einzelhandel:Der unerbittliche Machtkampf der Aldi-Erben

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Ein Familienstreit lähmt die Supermarkt-Kette. (Foto: dpa)

Die Familie streitet vor allem um ein Testament mit skurrilen Klauseln. Aber eigentlich geht es um etwas ganz anderes: um die Zukunft von Aldi-Nord.

Von Varinia Bernau und Michael Kläsgen, Essen

Er schickt ihm Gummibärchen. Ausgerechnet Gummibärchen. Als sein Bruder Berthold schwer krank in einem Bett in einem Schweizer Luxushotel liegt, dem Tod schon nahe, da geht sein Bruder Theo junior von seinem Büro in Essen-Kray zwei Minuten zur nächsten Filiale von Aldi Nord. Zur Verkaufsstelle 17, wie er weiß. Theo junior, einer der reichsten Männer der Republik, nimmt zwei Tiefkühltaschen und füllt sie randvoll mit Gummibärchen, Gebäck und allen Süßigkeiten, die sein Bruder so liebt. Theo Albrecht, 65, groß, schlank, volle weiße Haare, scheute bislang die Öffentlichkeit. So wie es sein Vater, Theo senior, der Gründer des großen deutschen Discounters Aldi Nord, zeitlebens getan hat.

Jetzt sitzt der Firmenerbe in einem Besprechungsraum in der Zentrale des Handelskonzerns und erzählt mit dem Zungenschlag der Menschen im Ruhrgebiet diese Geschichte. Der Sohn des Firmengründers hat beschlossen, das jahrzehntelange Schweigen zu brechen, denn er bangt um das Lebenswerk der Familie. Die Gummibärchen in den beiden Tüten sind einer der Schlüssel, um die Dramatik der derzeitigen Situation zu verstehen. "Ich merkte", erzählt Theo junior, "meinem Bruder die Rührung an, als er mich anrief, um sich zu bedanken." Er führt diese Szene an, um die tiefe innere Verbundenheit mit seinem Bruder bis zu dessen Tod im November 2012 darzulegen. Andere Familienmitglieder dagegen, und zwar ausgerechnet die Frau und die Kinder Bertholds, sagen, die Brüder hätten sich überworfen. Theo wolle sie aus dem Unternehmen drängen und sie um ihr Erbe bringen. Es geht dabei insbesondere um das Testament von Berthold und dessen Interpretation. Darüber ist ein Streit ausgebrochen, der das gesamte Discounter-Unternehmen Aldi Nord gefährdet.

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Modeshows, tiefe Dekolletés und teurer Schmuck. Das passte so gar nicht zum Stil der Dynastie

Das Drama, das sich derzeit darum abspielt, ist eine Geschichte mit vielen Wahrheiten. Eine Geschichte, in der gelogen und manipuliert, einander beleidigt und beschimpft wird. Bisher basierte der jahrzehntelange Erfolg des Konzerns auf dem Zusammenhalt der Familie. Seit dem Tod Bertholds bröckelt diese Einheit. Wer sich nicht bloß daran ergötzen mag, dass auch Multimilliardäre nicht sorgenfreier leben als alle anderen, der sieht in dem Machtkampf noch eine andere Geschichte. Eine von Schicksalsschlägen, menschlichen Abgründen und unvereinbaren Werten. Sie erinnert an die Buddenbrooks.

Werden auch die Aldi-Nord-Erben in Essen die Firma an die Wand fahren, so wie die dritte Generation der Kaufmannsfamilie in Thomas Manns Roman? Gegenüber stehen sich in diesem Streit zwei Familienzweige. Auf er einen Seite: Theo junior, seine Mutter Cäcilie, 88, und Emil Huber, 72, ein Jurist, der bereits das Vertrauen des Firmengründers Theo senior genossen hatte; Huber ist seit mehr als 41 Jahren eng in die Führung des Unternehmens mit eingebunden. Die drei sind, wohlwollend betrachtet, die Bewahrer - oder aus Sicht ihrer Gegner diejenigen, die an der Macht kleben und nicht loslassen können. Ihnen gegenüber steht der andere Familienzweig: Bertholds Witwe Babette und ihre fünf Kinder. Also die Vierlinge, drei Mädchen und ein Sohn, die im Jahr 1990 zur Welt kamen; und außerdem eine weitere Tochter, die zwei Jahre später geboren wurde.

Sie sind, je nach Blickwinkel, die Modernisierer, die sich um ihr Recht auf Mitsprache gebracht glauben - oder aber die Naiven, die sich von einem gewieften Anwalt ausnutzen lassen, um ein hart erarbeitetes Erbe einzuheimsen und zu verprassen. Bertholds Kinder reden nicht. Sie lassen sich von einem Rechtsanwalt vertreten, dem Partner einer großen Kanzlei, der mit diesem Mandat viel Einfluss bei Aldi Nord erlangen könnte. Er kannte Berthold seit der Jugend. Sie feierten Partys und spielten gemeinsam Golf. Nach Bertholds Tod wandte sich die Witwe Babette an ihn. Sie vertraute dem langjährigen Familienanwalt Huber nicht mehr und vielleicht hatte sie es noch nie getan. Babette, die Ehefrau von Berthold, passte nach Ansicht anderer Familienmitglieder nicht zur Welt der Aldis, die auf Sparsamkeit und Diskretion bedacht war. Damit fingen die Probleme an.

Babette saß bei glamourösen Modeshows in der ersten Reihe, trat als Zirkusdirektorin verkleidet im Karneval auf und zeigte sich in der Öffentlichkeit in eng anliegenden Kleidern mit teurem Schmuck und tiefem Dekolleté. Es wird kolportiert, dass sie bei Familienfesten im schönen Essener Süden am Baldeneysee angeblich auch mal recht unaldihaft gefeiert haben soll. Theo sagt, seine Schwägerin habe sich in den letzten Lebensjahren nicht mehr um ihren Mann geschert. Die Tüten mit den Gummibärchen habe sie ihm weggenommen und dem Personal des Hotels geschenkt, obwohl er sich doch so darüber gefreut habe. Sie lässt über ihren Anwalt ausrichten, sie habe sich bis zu Bertholds Tod liebevoll um ihn gekümmert.

Man muss dazu wissen, dass Berthold in seinen letzten Lebensjahren schwer krank war. Sein Selbstbewusstsein litt darunter, wie Theo erzählt, und er habe sich nach persönlicher Anerkennung gesehnt. Vielleicht fand er diese auch beim Kunsthändler Helge Achenbach, der ihm eine neue Welt zeigte. Über Achenbach entdeckte Berthold sein Faible für Oldtimer und für Gemälde. Gemeinsam waren sie auf Kunstmessen unterwegs. Wäre Berthold eine Figur in den Buddenbrooks, er wäre wohl der Christian, dem es schwerfiel, den Ansprüchen des Firmen-Patriarchen gerecht zu werden.

Babette hingegen glaubt, dass Achenbach ihren Ehemann ausgenutzt hat. Deswegen zieht sie nach Bertholds Tod gegen ihn vor Gericht. Sie sorgt dafür, dass er wegen der Übervorteilung ihres Mannes ins Gefängnis muss. Doch in der Familie führt das zum Eklat. Die Traditionsbewahrer hatten stets versucht, solcherlei Konflikte aus Scheu vor der Öffentlichkeit diskret hinter den Kulissen zu regeln. Babette verweist darauf, dass doch auch Theodor senior das Lösegeld für seine Entführung Anfang der 1970er von den Steuerbehörden zurückgefordert habe.

SZ-Grafik; Quelle: SZ-Recherche (Foto: sz)

Haben Babettes Kinder das Zeug dazu, einen Weltkonzern mitzulenken?

All dies sind Verletzungen, die immer wieder aufreißen, wenn die Familie nun um die Zukunft des Unternehmens ringt. Am explosivsten dabei ist die Frage, ob Babettes Kinder das Zeug dazu haben, einen Weltkonzern mitzulenken. Mehrlingsgeburten sind ein Risiko für die Gesundheit von Mutter und Babys; die Kinder werden häufig als Frühchen geboren und haben damit einen schwierigeren Start ins Leben als andere.

Bereits im Jahr 2008 verfasste Berthold Albrecht ein Testament, aus dem sich sein erhebliches Misstrauen gegenüber den eigenen Kindern lesen lässt: Sie sollen erst mit Ablauf ihres 32. Lebensjahres überhaupt Geld aus der üppig gefüllten Familienkasse bekommen. Davor sollen sie unter Beweis stellen, dass sie auf eigenen Beinen stehen können. Vom Nachlass, heißt es in einem anderen Punkt des Testaments, von dem die Süddeutsche Zeitung eine Kopie einsehen konnte, sollten alle Kinder erst mit Ablauf des 38. Lebensjahres der jüngsten Tochter profitieren. Das wäre im Jahr 2030. Und einige Versorgungen knüpfte Berthold auch an Bedingungen, wie etwa eine "solide Lebensführung".

Brisant wird es einen Monat vor dem Tod Bertholds im Oktober 2012, zum Zeitpunkt der Gummibärchen-Übergabe: Zum genauen Ablauf kursieren natürlich unterschiedliche Versionen, weil Kränkungen und Missgunst im Spiel sind. Berthold ist kaum mehr in Essen. Er lässt sich im schweizerischen Bad Ragaz kurieren. Dann greift er zum Telefon und ruft den Hausjuristen Huber an mit der Bitte, ihm das Testament zu bringen. Es gibt nur zwei Schlüssel zum Tresor in der Villa in Essen-Bredeney. Wer die hatte, ist strittig. Huber jedenfalls, den Berthold als Testamentsvollstrecker bestimmt hat, lässt die Panzerknacker kommen, bricht den Safe auf und findet unten rechts das gesuchte, verschlossene Dokument.

Nun darf man rätseln, warum Berthold das Testament tatsächlich haben wollte. Weil er es zugunsten seiner Kinder ändern wollte, wie Babette behauptet? Oder weil er darin, kurz vor seinem Tode, etwas ändern wollte, das er in der Satzung der Familienstiftung bereits geändert hatte? Das Bizarre: Berthold verstarb einen Monat nachdem er das Testament erhalten hatte, aber er veränderte daran nichts. Außerdem wurde es bis heute nicht vollstreckt.

Es blieb bei dem für die Kinder nicht sehr vorteilhaften, mit überaus sorgfältiger Handschrift verfassten Text. Babette und ihre Kinder riefen Huber noch am Tag zu sich, als Berthold in der Schweiz eingeäschert wurde. In der Hotelsuite verlas Huber das Dokument. Theo und seine Mutter Cäcilie waren zur Beerdigung nicht eingeladen. Beide bezichtigen Babette bis heute, ihnen nicht einmal den Aufbewahrungsort der Urne mitgeteilt zu haben, sodass sie keinen Ort zur Trauer hätten. Babette hingegen wirft ihrer Schwiegermutter vor, kurz nach der Beerdigung im Essener Golf-Club Bridge gespielt zu haben.

Das Testament entscheidet über viel mehr als nur die Frage, wie gut es sich die Hinterbliebenen mit Bertholds Milliardenvermögen gehen lassen können. Es entscheidet auch über die Zukunft von Aldi Nord. Denn so enge Grenzen der Vater seinen Kindern beim Zugriff auf das persönliche Vermögen gesetzt hat, den Zugriff auf das Vermögen der Stiftung begrenzte er nicht. In der Jakobus-Stiftung hatte Berthold seinen Anteil am Firmenkapital angelegt. Daraus kann laut Testament sehr wohl Geld ausgeschüttet werden - etwa zur Förderung der Ausbildung oder zum Aufbau einer unternehmerischen Existenz seiner Kinder. Das Dokument lässt aber Raum für Interpretationen. Und diesen haben die Kinder und die Witwe offenbar genutzt: Mehr als 25 Millionen Euro nach Steuern ließen sie sich seit 2013 jedes Jahr ausschütten. Das Geld sei, sagt ihr Anwalt, in den Erhalt von Immobilien und in die Pflege der Kunstsammlung geflossen.

Die Mitglieder der Familie müssen "den Anforderungen eines guten Vorbildes genügen"

Das Geld wäre im Unternehmen besser investiert, hält ihnen heute ihr Onkel Theo junior entgegen. Dabei hatte er einst sogar angeboten, der Ausschüttung von jährlich 25 Millionen Euro zuzustimmen - wenn Babette und ihre Kinder sich im Gegenzug nicht weiter ins Unternehmen einmischen. Theo will sie im Sinne seines Bruders zur Sparsamkeit anhalten. Wenige Woche nach dem Tod von Berthold übergibt der Anwalt Huber einer von Bertholds Töchtern ein Memorandum of Understanding, das zum Eklat führt. In dem Dokument, das der SZ vorliegt, sind wesentliche finanzielle Verbesserungen für die Nachkommen vorgesehen im Vergleich zum Testament.

Das Alter von 38 Jahren, von dem an es Geld geben soll, wird als Versehen Bertholds tituliert. Jedes Kind soll fortan monatlich 7500 Euro nebst Auslagen für Auto, Wohnung, Urlaub, Versicherung oder Studienkosten erhalten. Die Summe soll zwei Jahre später erhöht werden. Ihre Mutter Babette soll eine Million Euro sofort und jedes weitere Jahr eine weitere Million erhalten. Sie bekommt diverse Immobilien in Essen und darf die Kunst- und Oldtimer-Sammlung ihres Mannes behalten und ausbauen. Das Memorandum enthält aber auch Verhaltensregeln, die schwer durchsetzbar sind. So heißt es in dem Dokument: "Daher müssen die Familienmitglieder den Anforderungen eines guten Vorbildes genügen - was nicht nur die Sympathiewerte des Unternehmens positiv beeinflusst, sondern das Unternehmen als Anbieter und auch als Arbeitgeber attraktiv bleiben lässt."

Kurzum: keine Yacht, kein Privatjet, keine Eskapaden. Diese Verhaltensregeln machen die Kinder stutzig. Woher dieses Misstrauen? Hatten sie, die schon um den Schutz der Anonymität zu wahren, nicht protzen können, jemals dazu Anlass gegeben? Wo sie doch, wie ihr Anwalt betont, mit Easyjet fliegen und bei Zara einkaufen. Die Zweifel von Bertholds Kindern werden noch dadurch genährt, dass Huber für die Vollstreckung des Testaments gemäß der Neuen Rheinischen Tabelle ein Honorar fordert, das sich bis 2030 auf 10,5 Millionen Euro summieren würde. Heute heißt es aus seinem Umfeld, dass er die Vollstreckung kaum so lange durchgeführt hätte - und diese Hochrechnung nur ein Ablenkungsmanöver sei. Schließlich verzichtete er darauf, das Testament zu vollstrecken und erhielt kein Geld. Theo ist auf seiner Seite und betont, Huber habe kein persönliches Interesse in der ganzen Angelegenheit.

Doch es ist zu spät: Die Kinder werden die Zweifel, Anwalt Huber sei ihnen nicht wohlgesonnen, nicht los. Und bei ihnen keimt ein schrecklicher Verdacht: Wurden sie womöglich schon viel früher getäuscht? Und zwar damals im Dezember 2010, als Berthold die Satzung der Jakobus-Stiftung änderte?

In diese brachte Berthold im Jahr 2001 sein Firmenkapital ein. Sie ist neben der von Theo junior gegründeten Lukas-Stiftung und der Markus-Stiftung eine von drei Gesellschaftern, die über Aldi Nord bestimmen. Alle drei Stiftungen müssen sich aber einig sein, wenn wichtige Entscheidungen getroffen werden. Etwa wenn die Discountmärkte im Ausland modernisiert, Filialen etwa in Ostdeutschland geschlossen oder Mandate von Managern verlängert werden müssen.

Am 23. Dezember 2010 änderte Berthold diese Satzung in einem wesentlichen Punkt: Statt drei Sitzen waren nun nur noch zwei für die Vertreter seiner Familie vorgesehen, daneben ein Sitz für einen Manager von Aldi Nord sowie einer für einen Anwalt, der das Unternehmen seit Langem berät: Huber. Und wenn er abtritt, folgt jemand aus seiner Kanzlei in Essen. In einem solchen Kräfteverhältnis wären Bertholds Kinder darauf angewiesen, Kompromisse zu erringen - zum Wohle des Unternehmens. Das sei Bertholds letzter Wille gewesen, beteuert Theo Albrecht. Witwe Babette und ihre fünf Kinder fühlen sich hinausgedrängt - und haben die Satzung vor Gericht angefochten.

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Es soll sogar strittig sein, ob Berthold, als er die Änderung unterzeichnete, geschäftsfähig war. Es wird gestreut, dass er in dem Moment unter dem Einfluss starker Medikamente stand. Im Sommer 2010 hatte Berthold die ärztliche Prognose erhalten, kein sehr langes Leben mehr führen zu können. Zu etwa der gleichen Zeit starb der Übervater Theo senior. Sind das Indizien für eine mögliche Schwäche? Dokumente hingegen belegen, dass Berthold in dieser Zeit auf Dienstreise in den USA und dem europäischen Ausland war.

Theo, der bei den Buddenbrooks der tugendhafte und tüchtige Thomas wäre, hält schützend seine Hand über seinen Bruder. Aber wird das ausreichen, um wieder Frieden herzustellen? Am Ende entscheiden die Richter, ob die Satzungsänderung zulässig und tatsächlich der letzte Wille von Berthold Albrecht gewesen ist. Die Richter entscheiden damit nicht nur über die Machtverhältnisse in der Jakobus-Stiftung. Sie entscheiden auch über die Zukunft des großen deutschen Discounters.

© SZ vom 04.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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