Einzelhandel:Alles Drogerie oder was?

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Die Drogeriemarktkette von Erwin Müller umfasst bereits mehr als 640 Filialen. (Foto: dpa)

Die Regeln zur Ladenschließung haben skurrile Folgen für Mischbetriebe wie Müller

Von Michael Kläsgen, Klaus Ott und Nicolas Richter , München

Die Coronakrise hat skurrile Folgen für sogenannte Mischbetriebe. Zu sehen ist das etwa in einer Filiale der Drogerie Müller in der Münchner Innenstadt. Etliche Regale sind dort mit Plastikfolie verhängt und abgeklebt. Wo man sonst Wandhaken oder Nähnadeln kaufen kann, erkennt man die Ware nur noch in Umrissen hinter einer abweisenden Kunststoffbahn. Im ersten Stock der Filiale sind gleich zwei Drittel der Ladenfläche abgesperrt: Dort, wo die Kunden sonst CDs, DVDs oder den gesammelten Bürobedarf finden, steht: "Abteilung geschlossen!!!". Kopierpapier, Buntstifte oder die Kollektion der Eberhofer-Krimis sind damit für die Kunden unerreichbar.

In Zeiten von Corona ist vieles nicht nur für Kunden verwirrend, sondern auch für die Händler. Wer darf noch öffnen, wer nicht? Bundesweit ist das nicht einheitlich geregelt. Aber auch dort, wo die Vorgaben unmissverständlich erscheinen, ergeben sich Fragen. "Untersagt wird die Öffnung von Ladengeschäften des Einzelhandels", heißt es in der Allgemeinverfügung der bayerischen Staatsregierung vom 16. März. Oberstes Ziel ist es, das Coronavirus einzudämmen. Doch es gibt Ausnahmen. Dazu zählen der Lebensmittelhandel, Getränkemärkte und Drogerien. Was jedoch mit Läden geschieht, die beides anbieten - unbedingt Notwendiges wie Seife, Windeln, Tierfutter, aber auch nicht so Notwendiges wie Videogames und Büroklammern, ist weniger klar.

Manche Kunden verstehen nicht, warum sie hier nicht mehr zugreifen dürfen. (Foto: Nicolas Richter)

Die Bundesregierung will das Problem mit einer Positivliste regeln, die an die Länder verteilt wurde ("Stand: 18.03.2020, 18:00 Uhr) und Zweifel ausräumen soll. In der Praxis wirft die Liste aber weitere Fragen auf. So darf eine gesamte Filiale geöffnet bleiben, wenn der Sortimentsanteil von Lebensmitteln und Drogerieartikeln über 50 Prozent liegt. Abgeklebt oder verriegelt werden muss hingegen das "verbotene Sortiment", wenn der Anteil des Sortiments für den täglichen Bedarf unter 50 Prozent liegt. Festgelegt werden die Prozentanteile in jeder einzelnen Filiale, nicht für das ganze Unternehmen.

Welche Probleme das macht, sieht man in Rosenheim. Dort hat der Geschäftsführer einer örtlichen Firma mehrere Behörden wegen angeblicher Verstöße bei Müller-Drogerien angeschrieben. Anders als in München sollen dort Abteilungen für Schreibwaren, Parfümerie, Spielwaren und anderes offen sein. Der Firmenchef bezweifelt, dass dies rechtens sei. Die Vorgaben der Behörden würden so "ad absurdum geführt", steht in der Mail an das Landratsamt Rosenheim und an andere Behörden.

Alles Interpretationssache: Woanders darf man noch Shampoo kaufen, in dieser Müller-Filiale haben die Mitarbeiter das Regal mit solchen Produkten aber abgeklebt. (Foto: Nicolas Richter)

Das Landratsamt Rosenheim teilte auf Anfrage dazu mit, laut Informationen aus Bayerns Staatsregierung dürfe ein Mischgeschäft aller Art öffnen, wenn die zum Verkauf freigegeben Waren überwiegen würden. Diese Geschäfte "sollen alle Sortimente vertreiben können, die sie gewöhnlich auch verkaufen". Ob das für die Drogerie Müller zutreffe, "kann von hier leider nicht beurteilt werden", erklärte das Landratsamt. Es ist auch schwer vorstellbar, dass Behördenvertreter jetzt in die Läden gehen und mit dem Metermaß oder nach Umsatzzahlen bemessen, was nun verkauft werden darf und was nicht. Die Regelung lädt zu Spitzfindigkeiten ein: Muss der Flächenanteil über 50 Prozent liegen oder der Umsatzanteil in der Filiale?

Die Drogeriekette selbst, die dem Milliardär Erwin Müller gehört und die rund 900 Läden in Deutschland und anderen Staaten betreibt, weist die Vorwürfe zurück. Der Chef der Handelskette, Günther Helm, habe "unmissverständlich" angeordnet, dass alle Vorgaben von Behörden umzusetzen seien. Die Vorschriften seien jedoch regional unterschiedlich, erklärte eine PR-Agentur im Auftrag der Drogeriekette. Und Kunden in ganz Deutschland äußerten ihr Unverständnis über die Einschränkungen. "Menschen im Homeoffice, die dazu noch ihre Kinder daheim betreuen, beschweren sich massiv, wenn sie dringend benötigte Büromaterialien und Spielzeug nicht mehr bei Müller kaufen können." Schließlich sei dies ja auch in Supermärkten möglich, so die Agentur, die auch andere Handelsketten betreut.

Hier darf bei Müller keiner mehr durch. (Foto: Nicolas Richter)

Manche Müller-Filialen haben ganz offen, manche teilweise, andere sind geschlossen. Die Frage, was nun wo und wie gilt, betrifft alle Handelsketten, die alles Mögliche verkaufen. Neben Müller zählen dazu Firmen wie Tedi und Action oder Bau- und Verbrauchermärkte. Die bisherigen Vorgaben seien "nicht zielführend", sagt Joachim Stumpf, Geschäftsführer der Handelsberatung BBE. Die Menschen sollen ja zum Schutz ihrer Gesundheit zu Hause bleiben, aber wie ist ihnen das zu vermitteln, wenn aufgrund der Ausnahmen faktisch mehr Läden öffnen, als die Politik offiziell erlaubt. Die Positivliste nimmt auch den Weinhandel, Spirituosenläden, Süßwaren- und Feinkostgeschäfte aus. Auch Blumenläden dürfen weiter verkaufen, weil sie "als Unterform von Gartenmärkten anzusehen" sind. Insgesamt umfasst die Liste mehr als 30 Branchen und Betriebsarten.

Im Vergleich zu den Belastungen, denen Ärzte und Pfleger ausgesetzt sind, mag das alles eher banal erscheinen. Aber es geht immerhin um Arbeitsplätze und letztendlich geht es auch um die Frage, ob die gut gemeinten Regeln den Wettbewerb verzerren. Denn was Müller und die anderen Mischbetriebe nicht im Laden verkaufen dürfen, nimmt vielleicht die Konkurrenz ins Sortiment, die ohne Zweifel öffnen darf. Vorige Woche standen die Leute bei Aldi Schlange, um Desinfektionsmittel zu kaufen. Oder die Verbraucher bestellen die Sachen online. Die Folgen von Corona wären dann nicht nur skurril, sondern für Mischbetriebe eindeutig von Nachteil.

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