Einweg oder Mehrweg?:Wann Wasserflaschen wirklich nachhaltig sind

Einweg oder Mehrweg?: Eigentlich ist Recycling gut. Aber nicht, wenn zum Recyceln etliche Kilometer gefahren werden müssen.

Eigentlich ist Recycling gut. Aber nicht, wenn zum Recyceln etliche Kilometer gefahren werden müssen.

(Foto: Olivier Morin/AFP)
  • Anfang 1997 betrug die Quote von Mehrwegflaschen im Handel in Deutschland noch 72 Prozent, 2016 waren es nur noch 43 Prozent.
  • Das ist nicht schlimm. Denn recht oft sind Einwegflaschen sogar umweltfreundlicher als Mehrwegflaschen.

Von Michael Kläsgen

Mehrweg gilt vielen als das Nonplusultra beim Einkauf. Da passt der Kampagnen-Aufruf der neuen "Mehrweg-Allianz" ins Bild. Der Zusammenschluss von Getränkeverbänden und der Deutschen Umwelthilfe (DUH) warnt, Händler und Hersteller wie Aldi, Lidl, Danone, Nestlé oder Lekkerland würden die Mehrwegquote "boykottieren". Die "Angriffe der Einwegindustrie auf das Mehrwegsystem", heißt es, müssten gestoppt werden.

Tatsächlich ist die Lage so: Seit Anfang des Jahres ist im Verpackungsgesetz eine Mehrwegquote von 70 Prozent festgeschrieben. Die letzte offizielle Erhebung aus dem Jahr 2016 ergab laut der Gesellschaft für Verpackungsmarktforschung, dass die Quote nur noch bei knapp 43 Prozent lag. Noch nicht veröffentlichten Zahlen zufolge ist sie seither weiter leicht gesunken. 1997 betrug sie noch 72 Prozent. Deutschland war Mehrwegland. Jetzt strebt es eine Quote unterhalb dessen an, was mal Usus war. Klingt schlimm, aber ist es das auch wirklich?

Bei kurzen Transportwegen sind Mehrwegverpackungen besser

Experten wie Benedikt Kauertz vom Heidelberger Institut für Energie und Umweltforschung (Ifeu) sagen: "Ob Einweg oder Mehrweg besser ist, darf man nicht pauschal bewerten." Ähnlich äußert sich Produktspezialist Gerhard Kotschik vom Umweltbundesamt: "Es gibt nicht das eine Mehrweg-System." Soll heißen: Es gibt besseres und schlechteres Mehrweg und besseres und schlechteres Einweg. Dass zu Letzterem Einweggeschirr, Plastikwattestäbchen und Coffee-to-go-Becher zum Wegwerfen gehören, ist bei den Experten unumstritten. Nur: Wo liegt die Trennlinie bei Getränken?

Gerd Chrzanowski, die Nummer zwei im Schwarz-Konzern, zu dem Lidl und Kaufland gehören, sagt, zu fast 100 Prozent recycelte PET-Flaschen seien besser für die Umwelt als durch die halbe Republik transportierte Mehrwegflaschen. Chrzanowski meint dabei vor allem die 1,5-Liter-Plastikflasche aus dem eigenen Haus, die nur ein paar Cent kostet. Das hört sich nach Eigenwerbung an.

Aber selbst aus Ifeu-Sicht kann das unter bestimmten Voraussetzungen stimmen. Zum Beispiel, wenn man die PET-Flasche mit einer individuell gestalteten Mehrweg-Bierflasche vergleicht, etwa einer mit einem langen Hals, wie sie Radeberger herstellt, um ihr Produkt von der sogenannten "Maurer-Pulle" abzuheben. Dann kann die Ökobilanz der Mehrwegflasche schlechter ausfallen. Denn die schlanke Flasche Jever muss, falls sie am Alpenrand geleert wird, wieder zurück zum Abfüllort befördert, dort gewaschen und gereinigt werden, ehe sie wieder befüllt wird. Der Transport tilgt da den Mehrweg-Vorteil, den Standard-Bierflaschen haben, wenn sie von einem Pool, also von mehreren Abfüllern, verwendet werden.

Umweltbundesamt-Experte Kotschik gibt folgenden Tipp: "Das Beste für die Umwelt bei Getränken sind Mehrweg-Flaschen aus der Region." Das gilt prinzipiell auch fürs Wasser, wobei sich alle Experten einig sind, dass es das Beste wäre, würden die Menschen Leitungswasser trinken, gesprudelt oder nicht. Die Trinkwasserqualität in Deutschland gibt das her. Zudem würde auf diese Weise viel Verpackungsmüll eingespart, sagt Katharina Istel, Referentin für Ressourcenpolitik vom Naturschutzbund (Nabu), "und man müsste sich dann für immerhin bis zu elf Milliarden Liter an abgefüllten Getränken nicht mehr über Einweg versus Mehrweg streiten."

Denn die Diskussion kann, je nach Sichtweise, zu überraschenden Erkenntnissen führen. Wer beispielsweise in Hamburg das etwas teurere Adelholzener Wasser aus dem Chiemgau trinkt, schützt die Umwelt damit laut Ifeu nicht unbedingt besser als jemand, der die große Flasche Billigwasser bei Lidl kauft. Denn der Discounter hat, anders als der Konkurrent Aldi, die Wertschöpfungskette von der Sammlung über Recycling, Herstellung, Befüllung und Vertrieb bei diesen dünnen PET-Flaschen komplett geschlossen. Das behauptet nicht nur das Unternehmen, sondern das räumen auch Umweltexperten jenseits der DUH ein. Bis auf den Deckel und das Etikett wird aus dem Flaschenköper wieder ein Flaschenkörper.

Wenn Hersteller auf eigene Flaschen setzen, ist das ein Rückschritt

Die Bewahrung der Schöpfung ist auch der Ordensgemeinschaft ein großes Anliegen, die das Adelholzener Wasser verkauft und den Großteil der Gewinne sozialen Zwecken zuführt. Die Produktionsabläufe sind ökologisch optimiert, außer dass Adelholzener seit knapp einem Jahr individualisierte Glasflaschen vertreibt. Diese müssen ähnlich wie die Radeberger "Long-Neck"-Flaschen wieder an ihren Ursprungsort gefahren werden. Reinigung und Transport trüben dann die Öko-Bilanz des Mehrweg-Produkts. Auch Gerolsteiner setzt neuerdings auf eigene Flaschen, obwohl Nachhaltigkeit längst ein gesellschaftlich überwölbenden Thema ist. Viele halten das für einen Rückschritt.

Die taillierten Perlglasflaschen aus dem Pool der Genossenschaft Deutscher Brunnen galten lange Zeit als Ökoreferenz für Mineralwasserhersteller. Das ist heute nicht mehr so. Inzwischen ist die PET-Mehrwegflasche des Pools nach Angaben der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie (BEV) die ökologisch günstigste Getränkeverpackung. Aber auch 1,5-Liter-PET-Einwegflaschen können mithalten. "Die bisherige Trennlinie zwischen Einweg und Mehrweg hat keinen Bestand mehr", sagt Peter Feller, BEV-Vize-Hauptgeschäftsführer.

Viele Umweltexperten teilen diese Ansicht. Wenn schon Flaschen statt Leitungswasser, dann Mehrwegflaschen aus der Region, egal ob aus Glas oder PET. In Ordnung sind auch große, leichte PET-Einwegflaschen mit hohem Rezyklatanteil. Das sind in der Regel ausgerechnet die Flaschen, die sich wabbelig anfühlen und die deswegen vom Verbraucher als minderwertig angesehen werden. "Bei kurzen Transportentfernungen sind Mehrwegverpackungen den Einwegverpackungen aber deutlich überlegen", ordnet Kotschik die Dinge ein.

Allerdings gibt es inzwischen viele verschiedene Mehrwegflaschenpools. Besonders umweltfreundlich sind jene, in denen leichte Flaschen möglichst oft mit einer möglichst großen Menge befüllt werden.

Nabu: Man sollte Mehrweg-Ziel durch Nachhaltigkeits-Ziel ersetzen

Zu den Hochzeiten des Mehrwegsystems hatten sich die Hersteller auf weitgehend einheitliche Standards geeinigt. Es herrschte eine Art Sharing Economy, als das Wort noch gar nicht verbreitet war. Standardisierte Flaschen wurden innerhalb eines Pools wiederverwendet. Doch dann brachte die Industrie Flaschen mit langen Hälsen oder Reliefs und auch Dosen wieder in den Verkauf. "Der Getränkemarkt ist letztlich ein trauriges Beispiel, wie ein funktionierendes umweltfreundliches Vertriebssystem über die Jahre kaputt gemacht wird und der Gesetzgeber einfach nur zuschaut", sagt Katharina Istel vom Nabu.

Faktisch ist es so, dass die im Verpackungsgesetz verankerte Zielquote von 70 Prozent nicht nur für Mehrweg, sondern auch für ökologisch vorteilhafte Einwegverpackungen gilt, also bereits erweitert wurde. Die Politik kam der Industrie damit entgegen. Auch liegt die Zielquote jetzt nicht nur unterhalb des bereits Erreichten, sondern relativ weit unter der alten Zielquote aus der Verpackungsverordnung, die 80 Prozent vorsah. Außerdem gibt es für das Erreichen der Quote weder eine Frist, beklagt Istel, noch Sanktionen bei Nichterfüllung. Die einzelnen Umweltorganisationen leiten daraus unterschiedliche Forderungen an die Politik ab. Die Deutsche Umwelthilfe verlangt eine Abgabe von 20 Cent zusätzlich zum Pfand auf Einwegplastikflaschen und Dosen. Andere fordern einen Mindestrezyklatanteil für PET-Einwegflaschen.

Kaum einer glaubt allerdings, dass sich die erweiterte Mehrwegquote in absehbarer Zeit erreichen lässt. Die Verbraucher steigen ohnehin kaum noch durch. Im Regal ist oft nicht zu erkennen, was Einweg und was Mehrweg ist. Oder es ist wie im Discounter: Da gibt es überhaupt keine Mehrweggetränke.

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